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„Aue Macht den Räten“

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Zu Beginn der ersten Session der Wiener Synode ertönten warnende Rufe, unter anderem auch der Hinweis auf die „Sowjetisierung der Kirche“, die aus einer Machtübernahme durch kollegiale Leitungsgremien zu erwachsen drohe. Es schien dann, als habe die Synode den Weg des Kompromisses gefunden, um diese Klippe zu umsegeln. Der Ausdruck „kollegiale Leitung“ wurde vermieden; dafür wurde der Auftrag erteilt, das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht näher zu umschreiben. Es würde zu weit führen, wollte man hier noch einmal die Gesamtproblematik darstellen, die mit einem so mißverständlichen Ausdruck wie „kollegiale Leitung“ verknüpft ist Im rechtlichen Sinn würde dies bedeuten, daß an die Stelle des Bischofs, des bischöflichen Vikars, des Dechanten und des Pfarrers ein Kollegium tritt und jeder Rechtsakt vom Gesamtkollegium gesetzt werden muß, weil er sonst ungültig wäre (can. 205 3). So wenig wie die Leitung einer Pfarre, läge die Leitung der Diözese in der Hand eines einzigen. An die Stelle des Bischofs würde ein Kollegium treten, dem der Bischof als wesentlich gleichberechtigtes Mitglied angehört, selbst wenn er als primus inter pares die Funktion eines Versammlungsleiters zu erfüllen und die Beschlüsse dann auch durchzuführen hätte, oder auch nur dürfte.

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Zu Beginn der ersten Session der Wiener Synode ertönten warnende Rufe, unter anderem auch der Hinweis auf die „Sowjetisierung der Kirche“, die aus einer Machtübernahme durch kollegiale Leitungsgremien zu erwachsen drohe. Es schien dann, als habe die Synode den Weg des Kompromisses gefunden, um diese Klippe zu umsegeln. Der Ausdruck „kollegiale Leitung“ wurde vermieden; dafür wurde der Auftrag erteilt, das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht näher zu umschreiben. Es würde zu weit führen, wollte man hier noch einmal die Gesamtproblematik darstellen, die mit einem so mißverständlichen Ausdruck wie „kollegiale Leitung“ verknüpft ist Im rechtlichen Sinn würde dies bedeuten, daß an die Stelle des Bischofs, des bischöflichen Vikars, des Dechanten und des Pfarrers ein Kollegium tritt und jeder Rechtsakt vom Gesamtkollegium gesetzt werden muß, weil er sonst ungültig wäre (can. 205 3). So wenig wie die Leitung einer Pfarre, läge die Leitung der Diözese in der Hand eines einzigen. An die Stelle des Bischofs würde ein Kollegium treten, dem der Bischof als wesentlich gleichberechtigtes Mitglied angehört, selbst wenn er als primus inter pares die Funktion eines Versammlungsleiters zu erfüllen und die Beschlüsse dann auch durchzuführen hätte, oder auch nur dürfte.

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Nach dem deutlichen Abstimmungsergebnis wäre es müßig, jetzt nochmals zu untersuchen, welche Möglichkeiten theoretisch denkbar und vielleicht auch in der Geschichte verwirklicht worden sind. Wollte man die Fragestellung erneut zur Debatte stellen, stünde man so weit wie vor dem Beginn der ersten Session. Man wende nicht ein, daß der Verzicht auf die Wendung „kollegiale Leitung“ nicht ausdrücklich in den abzustimmenden Text aufgenommen wurde. Es wurde der breitesten Öffentlichkeit zur Genüge klargemacht, welche Bewandtnis es mit dem „heißen Eisen“ hatte und wie die Lösung gefunden wurde. Vor der Synodalversammlung wurde zu wiederholten Malen dargelegt, daß nicht von einer kollegialen Leitung im juristischen Sinn gesprochen werden kann. Es sei dies vielmehr eine Sache der Gesinnung und der Arbeitsweise. Um dies nicht mit dem rechtlichen Begriff zu vermengen, wurde geraten, auf die Zweideutigkeit des Begriffes „kollegiale Leitung“ zu verzichten. Die Kompromißformel, die dann gefunden wurde (Blasche, Dordett), versucht die Dinge wieder flüssig zu machen, indem lediglich von Mitsprache und Mitbestimmung geredet wird. Auch den Berichterstattern, nicht nur kirchlicher Blätter, wurde es klar, worum es bei diesem sogenannten Kompromiß gegangen war.

Diözese = Teilkirche

Damit versuchte man auch dem Konzilstext gerecht zu werden, der von der Diözese als einem Teil des Gottesvolkes sprach, so daß dem Bischof die Sorge für eine Teilkirche anvertraut ist, die er in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium auszuüben hat. (Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe, 11). Der Priester wird nicht als Mitglied eines Gremiums der kollegialen Leitung bezeichnet, sondern als engerer Mitarbeiter des Bischofs. Das gilt in vorzüglicher Weise dem Pfarrer, der nicht nur als Mitarbeiter des Bischofs, sondern als eigentlicher Hirte eines bestimmten Teiles der Diözese bezeichnet wird (ebd. 29, 30). Nach diesem Ergebnis atmete man erleichtert auf und zieh den Propheten der „Sowjetisierung“ eines Pessimismus, der bestenfalls einem Mißverständnis entsprungen sein konnte.

Die Klarstellung, die man auf der ersten Session erzielt zu haben glaubte, dauerte allerdings weniger als ein Jahr. Bereits das „Wiener Diözesanblatt“ vom 1. Dezember 1969 rückte die Begriffe Kollegialität, Leitungsgremien und Mitbestimmungsrecht erneut in eine vertraute Nachbarschaft (Seite 150).

Erneut: Herrschaft der Räte

Die Vermischung dieser Begriffe war ein weiterer Schritt, den eine Arbeitskommission vollzog, der es zugekommen wäre, nach den Bestimmungen und im Geist der Synode zu handeln. Die Vorlage der Kommission V/A trägt den Titel „Pastorale Gremien“ (S. 69). Bereits auf der nächsten Seite der Vorlage an die zweite Session 1970 erfährt man, daß es eigentlich „Leitungsgremien“ sind, und der erste Satz stellt lapidar fest: „Auf allen Ebenen ist der Rat das kollegiale Leitungsorgan“. Das Staunen wird noch größer, wenn es in den Erläuterungen heißt, daß die „pastoralen Gremien“ nicht nur Beratungsorgane, sondern „kollegiale Leitungsorgane“ sind. Dafür beruft sich die Kommission V/A auf die Grundsatzbeschlüsse der ersten Session. Mit welchem Recht hier die Berufung auf die Synode ausgesprochen wird, ist beim besten Willen nicht einzusehen. Nicht einmal die bereits verwässerte Promulgation der synodalen Beschlüsse im Diözesanblatt läßt diese Schlußfolgerung zu.

Wollte man die Grundsätze der Kommission V/A auf die Konse-^ quenz der Aussage prüfen, käme man allerdings zu einer wesentlichen Grenze. Das Prinzip der kollegialen Leitung gilt zwar auch für den Bischof, sq daß er entgegen dem Recht auf die alleinige Ausübung der Gesetzgebung sowie auf die Funktion des obersten Richters und Verwaltungsorgans zu verzichten hätte. Wem gegenüber macht er jedoch sein Einspruchsrecht geltend, wenn er gegen die Beschlüsse des Diöze-sankollegiums Rekurs einlegen will? Das hat die Kommission nicht bedacht. Konsequenterweise hätte man auch die Metropolitan-, Primitial-und Patriarchalgremien normieren müssen. Vielleicht wollte man das nicht tun, um die päpstliche Gesetzgebung nicht anzutasten. Was verschlägt es; sie wurde ohnedies schon angetastet, als der Bischof entmachtet und einem Leitungsgremium zuliebe geopfert wurde.

So nicht!

Man wende nicht ein, daß dies alles doch nur im Sinne eines Rates zu geschehen habe. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Man könnte partikularrechtlich noch weiter gehen und zumindest für Pfarre, Dekanat und Vikariat diesen Rat mit einer größeren Verbindlichkeit ausstatten. Wenn das Ratsgremium einhellig oder mit einer überwiegenden Mehrheit seine Meinung zu erkennen gegeben hat, so darf der „Amtsträger“ nicht handeln, bis nicht eine höhere Instanz (in der Vorlage unfachlich als „Schiedsgericht“ bezeichnet) den Fall entschieden hat. Uber die einzelnen Varianten dieses Einspruchsrechtes braucht hier nicht gehandelt zu werden; sie ließen die Möglichkeit offen, daß entweder der „Amtsträger“ vorstellig wird, oder die Rekursmöglichkeit dem Gremium, gegen dessen Rat der Pfarrer, Dechant oder Vikar handeln will, eingeräumt wird.

So gesehen, wird das vielleicht als zu unzureichend empfundene Beispruchsrecht zu einem wirklichen Einspruchsrecht. Wenn wir im Sinne der staatlichen Demokratie von einer Kontrolle der Macht sprechen, so kann dieses Prinzip in der Kirche doppelt verwirklicht werden. Es ist zunächst die Kontrolle seitens des Vorgesetzten, an dessen Ingerenz (Erlaubnis, Einspruch und Visitation) das untergeordnete Organ gebunden ist. Es ist aber ebenso gut bei einem Einspruchsrecht, dazu noch einem partikularrechtlich weiter ausgebauten, die Kontrolle der Macht garantiert. Dabei sind wir uns dessen bewußt, daß die Dinge gegen zwei Gefahren hin abzugrenzen sind. Der Alleingang eines kirchlichen Vorgesetzten könnte sich tatsächlich der Kontrolle entziehen und organisatorische, wirtschaftliche und selbst seelsorgliche Schäden verursachen. Wenn heute Kunstwerke aus Kirchen entfernt, ja vielleicht sogar vernichtet werden, um damit das Ende des Barockzeitalters anzukündigen, so ist der Pfarrkirchenrat entweder nicht gefragt worden oder er hat versagt. Umgekehrt kann ein stark strapaziertes Beispruchsrecht dazu führen, daß manche Initiative erstickt und der Priester nützliche Initiativen nicht entfalten kann. Es ist nur zu hoffen, daß die Überprüfung eines Konfliktes zwischen Amtsträger und beratendem Gremium eine befriedigende Lösung findet. Sofern nur auf einen Erfolg gehofft werden kann, mag selbst das Übel hingenommen' werden, daß die Agenden von Gremium zu Gremium geschleppt werden, damit eine gre-miale „Schiedsgerichtsbarkeit“ ausgeübt werden kann. Der Verzicht auf Oberinstanzen, die im Zuge weiterer Gremien schließlich den Ordinarius zu überprüfen haben, kann dadurch eine Rechtfertigung finden, daß die Instanzenhäufung vermieden wurde. Sonst müßte die Tätigkeit beratender Gremien zum utopischen Gebilde heranwachsen.

Die Vorlage beschränkt sich jedoch nicht darauf, von einer bloßen Mitwirkung mit beratender Stimme zu sprechen. Von beiden Möglichkeiten eines Mitsprache- und Mitbestimmungsrechtes war in der Promulgierung vom 1. Dezember 1969 noch die Rede, in diesem Sinne hatte auch die Synode gesprochen. In der Vorlage wird festgestellt, daß eine derartige Differenzierung der Agenden „nicht möglich“ sei (71). Es ist zuzugeben, daß diese Differenzierung nicht unterschiedslos für alle ratgebenden Gremien erfolgen kann. Auch der Codex spricht nur generell von einem consilium oder einem consensus, wenn er in can. 105 das Beispruchsrecht normiert. Die Festlegung im einzelnen erfolgt später, dann nämlich, wenn die verschiedenen kirchlichen Organismen in ihrer Funktion umschrieben werden. So vermochte es dei* kirchliche Gesetzgeber, in mindestens fünf Fällen das Beispruchsrecht im Sinne einer Zustimmung auszuformen, in mehr als dreißig canones ist es der Rat, den der Vorgesetzte einzuholen hat. Sollte es sich jedoch als unmöglich herausstellen, diese Unterscheidung herauszuarbeiten (wir verneinen es), so kann die Aufgabe eines beratenden Gremiums eben nur die Erteilung eines Rates sein.

Nach Abschluß der ersten Session wußte die Presse zu berichten, daß es erste Gehversuche einer Demokratie waren, die hier vorgeführt wurden. Das hohe Niveau der Darlegungen, der Wille zum Kompromiß, das Ausbleiben von Parteibildungen und der versöhnliche Abschluß berechtigten trotz aller Schönheitsfehler den Einsatz von Kraft, Zeit und nicht geringen materiellen Mitteln.

Die Arbeitsweise einer Kommission, der die Zitierung von Synodaltexten nur ein Lippenbekenntnis sein konnte, hat die Gefahren von neuen Spannungen heraufbeschworen. Wenn es nicht gelingt, hier die notwendigen Klarstellungen vorzunehmen, so kann die zweite Session nicht von jenen Belastungen freigehalten werden, die den Beginn der Synode in nicht unerheblichem Maße getrübt haben.

Eine kommissionelle Tätigkeit stellt den Sinn einer Synode in Frage, wenn unter Berufung auf das Prinzip der Ermächtigungsdemokratie die Entscheidungen der Synode verbogen werden. Das bittere Gefühl wird nicht ausbleiben, daß der Einsatz persönlicher Arbeit und Zeit verloren war, und der materielle Aufwand, für den der Kirchenbeitragszahler aufzukommen hat, sich nicht lohnten. Der Geist der Brüderlichkeit jedoch, der ohnedies nicht gerade Triumphe feiert, wird auf diese Weise verlöschen. Der Großteil der Synodalen muß es als peinlich empfinden, daß unter dem Deckmantel von Dialog, Pluralismus und Demokratie die Redlichkeit angetastet wird. Ich schließe mich dem Wort eines Synodalen an: „Man wird offen reden müssen!“

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