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Soziale Spielregeln für geistlichen Bereich

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Der Mann am Telefon war sehr, ungehalten. Er hatte mich angerufen, um mit mir einen Aussprachetermin für die folgende Woche zu vereinbaren, und ich hatte ihm gesagt, daß ich da bereits im Urlaub sei. Seine Antwort: Priester und Urlaub, unerhört! Ein Priester hat einfach immer da zu sein! Alle meine Argumente, daß auch ein Geistlicher einmal ausspannen müsse, prallten an seiner Entrüstung ab. Ein Priester sei nicht ein Mensch wie andere, er brauche daher auch keinen freien Tag und keinen Urlaub. Mein Gesprächspartner blieb dabei.

Ein Ausnahmefall? In dieser Radikalität gewiß. Doch steht nicht ähnliches Denken oder vielleicht einfach Nicht-Denken dahinter wenn jemand sonntags um halb eins, wo sich auch der Pfarrer nach anstrengendem Dienst zum Essen setzt, anruft, um sich eingehend nach den für eine kirchliche Trauung nötigen Dokumenten zu erkundigen? Gelten soziale Spielregeln, die anderswo selbstverständlich sind, im geistlichen Bereich nicht?

Mit dem Ausdruck „selbstverständlich" ist wohl ein wichtiges Stichwort zur Charakteristik des neuen, seit 1. Jänner 1980 geltenden Priesterdienstrechtes der Erzdiözese Wien gefallen. Ein Laie stellte nach der Lektüre trocken fest: Eigentlich heutzutage lauter selbstverständliche Dingie."

Verschiedene andere Diözesen Österreichs haben schon früher ein solches Priesterdienstrecht verfaßt und damit, ebenso wie nun die Erzdiözese Wien, gewiß wenig neues Recht geschaffen. Größtenteils wurden dabei im Laufe der Jahre ergangene Weisungen übersichtlich gesammelt bzw. neu in Erinnerung gerufen. In vielem wurde einfach schriftlich festgehalten, was bereits in guter praktischer Übung war, wobei einzelnes freilich präzisiert oder auch neu geklärt werden mußte. In nicht wenigen Punkten allerdings werden auch Weichen für die Zukunft gestellt.

So mag es für viele Priester z. B. als Zukunftsmusik klingen, wenn ini Abschnitt über die Arbeitszeit ein voller dienstfreier Tag pro Woche und darüber hinaus - nach Möglichkeit - pro Monat ein Tag für geistliche Einkehr festgelegt ist. Auch der jährliche Urlaubsanspruch von vier bzw. ab dem 20. Dienstjahr von fünf Wochen war bisher, besonders bei vielen Pfarrseelsorgem am Lande, nicht wahrnehmbar.

Bedenkt man, daß heute viele Arbeitnehmer zwei, ja manche sogar zweieinhalb freie Tage pro Woche haben, während es bei Seelsorgern kein freies Wochenende und schon gar keinen freien Feiertag gibt, so scheint dieses Urlaubsausmaß gewiß nicht zu umfangreich angesetzt. Im Kommentar zum Dienstrecht wird deshalb mit Hinweis darauf, daß ein ausgelaugter und müder Priester weder sich noch seiner Gemeinde Gutes erweist, die Inanspruchnahme des Urlaubs auch für den Fall urgiert, daß Not am Mann ist.

Vieles bleibt im Abschnitt über die Arbeitszeit ohnehin offen, wenn es da heißt, dem Wesen des priesterlichen Berufes entsprechend könne eine tägliche oder wöchentlichcAr-beits-zeit nach Stunden nicht festgelegt werden. Gehörten doch zur priesterlichen Tätigkeit u. a. auch Gebet, Studium, Vorbereitung und Sorge um die Mitbrüder.

Ein ausländischer Mitbruder teilte mir in dem Zusammenhang mit, bei ihnen sei auch die wöchentliche Arbeitszeit des Priesters grundsätzlich mit 40 Stunden limitiert. Doch scheint die ausdrückliche Nichtbe-grenzung der Stundenzahl schon deshalb realistischer zu sein, weil ein Großteil der Arbeit in kirchlichen Gemeinden und Organisationen von Laien ehrenamtlich, oft neben einer 40-Stunden-Woche und neben einer Familie geleistet wird. Wie könnte sich da ein Priester mit Berufung auf das Ende seiner Dienststunden zurückziehen wollen?

Ein längerer Abschnitt des Priesterdienstrechtes regelt die Anstel-lungs- und Versetzungsmodalitäten für Pfarrer, Provisoren, Kapläne und kategoriale Seelsorger. Dem altgedienten Kleriker wird hier vor allem auffallen, wie großes Gewicht auf das Gehört-Werden und die möglichste Berücksichtigung der Meinung aller jeweils Betroffenen gelegt wird. Ein sicher sehr sympathischer Zug dieser Ordnung. Auch innerhalb bestehender Seelsorgeteams sollen - so ein weiteres Kapitel - gegenseitige Information, Aussprache, Absprache sowie gemeinsames Tragen der Verantwortung groß geschrieben werden.

Zu dem so wichtigen, heute oft so schwierigen Anliegen Religionsunterricht liest man u. a., daß Pfarrseelsorger, soweit es das Ausmaß ihrer seelsorglichen Verpflichtungen erlaubt, an den Schulen ihres Bereiches

Religionsstunden übernehmen sollen. Leider wird dies mit sinkender Priesterzahl immer seltener möglich sein, immer mehr müssen Laien diesen Dienst übernehmen. Zwischen ihnen und den Priestern besteht im Religionsunterricht grundsätzlich Gleichberechtigung. Die Priester aber sollen sich nicht nur als Seelsorger der Schüler, sondern auch deren Eltern, der Kollegen und insbesondere der Laienreligionslehrer verstehen.

Im Zusammenhang mit Schule und Unterricht seien jene Passagen hervorgehoben, die von der Fortbildung des Priesters sprechen. Ausdrücklich steht in den Erläuterungen zum Dienstrecht, daß von jedem Seelsorger die jährliche Teilnahme an einem Fortbildungskurs erwartet wird, der sich über mehrere Tage erstreckt. Wenn sich diese Erwartung erfüllt, wird gewiß vieles in Schule und Seelsorge, in Predigt und innerkirchlicher Diskussion besser laufen.

Abschnitte, auf die hier nicht näher eingegangen wird, regeln das gemeinsame Wohnen und Leben von Priestern, die Vorsorge für den Krankheitsfall, überpfarrliche Zusammenarbeit, Laisierung und Pensionierung.

Nicht übergangen sei der Hinweis auf die Interessenvertretung des Klerus durch den Priesterrat, ein im Auftrag des 2. Vatikanischen Konzils installiertes, größtenteils gewähltes Priestergremium zur Beratung des Bischofs. Bei Beschwerden und Konflikten können Mitglieder des Priesterrates um Intervention bei den entsprechenden vorgesetzten Stellen ersucht werden.

Hier scheinen frühere Befürchtungen vor einer sogenannten „Priestergewerkschaft" überwunden zu sein. Nun wäre ja einerseits im Hinblick auf den Charakter der Kirche sowie das besondere Verhältnis von Bischof und Priestern eine Gewerkschaft tatsächlich fehl am Platze, anderseits aber hat man mit demokratischen Einrichtungen gerade in unserem Land durchaus gute Erfahrungen.

Als besonders wohltuend am gesamten Papier sei die klare, einfache Sprache vermerkt. Die Dienstrechtskommission des Priesterrates unter Prälat Franz Stubenvoll, die den Text vorbereitete, und der Priesterrat selbst dürfen sich über eine gelungene Arbeit freuen.

„Glauben Sie, daß die Rechte des einzelnen Priesters in der Kirche ausreichend geschützt sind?" Diese Frage beantwortete im Rahmen der großen österreichischen Priesterbefragung 1971 nur die Hälfte der Priester mit ja. Ganze 43% antworteten mit nein. Eigentlich ein bedenkliches Ergebnis. Kardinal Franz König bezieht sich in der Präambel zum Priesterdienstrecht darauf, wenn er von ihm sagt, es werde einerseits der Diözesanleitung helfen, möglichst einheitlich vorzugehen, den Priestern aber größere Rechtssicherheit bringen und auch ein reibungsloseres Zusammenwirken aller zum Wohle der Diözese ermöglichen.

Vielleicht kann dieses Dienstrecht auch dazu beitragen, Rechte und Pflichten des priesterlichen Dienstamtes transparenter zu machen und so dieses in den Augen junger Menschen attraktiver zu gestalten.

(Der Verfasser ist geschäftsführender Vorsitzender des Wiener Priesterrates.)

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