7118817-1996_26_06.jpg
Digital In Arbeit

„Wir wissen selber nicht, wie es weitergehen soll!”

19451960198020002020

„Burn-out-Syndrom” bei Geistlichen: Ein vom Canisiuswerk geplantes Therapiezentrum soll Abhilfe schaffen.

19451960198020002020

„Burn-out-Syndrom” bei Geistlichen: Ein vom Canisiuswerk geplantes Therapiezentrum soll Abhilfe schaffen.

Werbung
Werbung
Werbung

DIEFURCHE: Ist der heutige Priester in einer Identitätskrise? Franz Grabenwöger: Auf jeden Fall. Ich möchte die Situation gar nicht beschönigen. Die Identitätskrise der Priester ist vielfach eine Glaubenskrise. Viele resignieren, haben Zweifel an ihrem eigenen Berufsbild und können sich mit den derzeitigen kirchlichen Strukturen nicht identifizieren. Hinzu kommen die enormen körperlichen und geistigen Belastungen. Viele Mitbrüder achten in der Seelsorge darauf, möglichst gut über die Bunden zu kommen nach dem Motto „nach mir die Sintflut”. Sie können gar nicht mehr anders, weil sie ausgebrannt sind. Das Hauptproblem vieler Priester ist der Zeitmangel. Das zweite Problem ist der Zölibat. Dieser fördert das Einzelkämpfertum und die Vereinsamung. Ehrlich gesagt, wir wissen selber nicht, wie es weitergehen soll!

ieKijRCME: Was tut das Canisiuswerk dagegen? grabenwöger: Wir wollen gemeinsam mit der Bischofskonferenz und den Ordensgemeinschaften ein sogenanntes „Becreationhaus” gründen, um Priestern und Ordensmitgliedern, die in Not sind, zu helfen. Wir haben bereits zwei konkrete Projekte in Aussicht: entweder einen alten Gasthof in der Nähe des Europaklosters in St. Gilgen oder ein Haus in Pernegg bei Geras. Dort sollen sich Geistliche einige Zeit (zum Beispiel „Sabbatmonate”) erholen können, um zu sich selbst zu finden. Dort planen wir auch, gemeinsam mit Ärzten und Therapeuten Heilungsmöglichkeiten für psychisch kranke Geistliche (zum Beispiel Alkoholiker) anzubieten. Leider ist die Finanzierung noch nicht geregelt. Doch die Bischöfe und Ordensoberen müssen bedenken, wieviel Geld sie sich bei jedem wiederhergestellten geistlichen Menschen ersparen.

DIEFURCHE: Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es noch? grabenwöger: Den meisten Geistlichen fehlt eine gute Kontaktperson. Ordensleute haben es mitunter leichter. Bei Weltpriestern sollte man daher die Dekanatsgemeinschaften fördern, in denen sich rund zehn Priester nicht nur zu Konferenzen treffen, sondern auch Fortbildungskurse besuchen, Ausflüge und andere Freizeitaktivitäten unternehmen. Eine weiterer Lösung gegen die Vereinsamung besteht darin, daß drei oder vier Priester eine Gemeinschaft bilden, gemeinsam in ein Pfarrhaus ziehen, sich eine gute Haushaltshilfe leisten und von dort ihre Pfarren betreuen. Leider sind in der Wiener Erzdiözese alle diesbezüglichen Modelle für die Weltpriester gescheitert. Doch ich bin zuversichtlich, daß der Heilige Geist immer neue Wege findet. Ein solcher könnte die Aufhebung des Pflichtzölibats für Weltpriester sein.

DIEFURCHE: Sollte sich nicht schon bei der Ausbildung etwas ändern? grabenwöger: Wenn ich mir die Seminare hierzulande anschaue, hat sich in den letzten Jahren gewiß einiges zum Positiven geändert. Doch es müßte noch mehr darauf Wert gelegt werden, die Gemeinschaft untereinander zu fördern. Heute gibt es sehr viele Spätberufene, was zu begrüßen ist. Denn ein junger Mann, der bereits studiert oder einen Beruf ausübt, ist reifer und hat mehr Lebenserfahrung als jemand, der direkt vom Gymnasium ins Seminar eintritt. In Wien wird heuer erstmals ein „Einsteigmonat” durchgeführt für Männer, die sich der Frage der Berufung zum Priestertum stellen und den Seminaralltag kennenlernen wollen. Eine gewisse Gefahr der Engführung besteht aber darin, wenn die Kandidaten von einer ganz bestimmten spirituellen Richtung kommen und gegen „Erweiterungsversuche” auf geistlichem Gebiet sind. In Wien hat bereits die Hälfte der Seminaristen ein Nahverhältnis zu irgendeiner spirituellen Gemeinschaft. Hier müßte man bei der Ausbildung Sorge tragen, daß der Berufene für alle da ist und nicht nur einseitig seine eigene spirituelle Richtung fördert. Problematisch kann beispielsweise das Neokatechumenat sein. Diese nicht unumstrittene Erneuerungsbewegung betreibt in unserer Diözese jetzt in Sparbach ein eigenes Seminar. Deren Regens sitzt sogar im Priesterrat. Viele Menschen fragen sich besorgt, warum wir ein solches zweites Seminar brauchen. Diese Stimmen müssen vom Bischof ernst genommen werden. Die Spannungen in den Pfarren mit Geistlichen, die dem Neokatechumenat angehören, sind ja bekannt.

DIEFURCHE: Wie kann man den Priesterberuffür junge Menschen attraktiver machen? grabenwöger: Das Canisiuswerk hatte in seiner Geschichte immer andere Schwerpunkte. Dieser liegt derzeit im gemeinsamen Priestertum aller Getauften. In der Kirche gibt es viele Dienste, einer davon ist die Priesterweihe und der Ordensstand. Wir wollen heute in erster Linie jungen Menschen bei ihrer Berufsentscheidung helfen. So machen jährlich über 300 Jugendliche bei unseren Briefkursen mit. Im Herbst beginnen wir wieder mit den Themen „Berufsentscheidung - eine Herzensentscheidung” und „Gottsuchern auf der Spur”. Außerdem bieten wir für 18-bis 30jährige, die vor einer Berufsentscheidung stehen, ein halbjähriges Seminar mit Workshops an. Sollte sich jemand für den Priester- oder Ordensstand entscheiden, bekommt er von uns darüber weitere Informationen. Daneben organisieren wir den jährlichen Weltgebetstag für Geistliche Berufe, der leider nicht immer auf große Besonanz stößt. Viele Priester wollen diesen nicht mehr durchführen, was auf die anfangs geschilderte Identitätskrise zurückzuführen ist. In diesem Jahr bat ich etwa die 58 Wiener Dechanten, mich über die diesbezüglichen Aktivitäten in den Pfarren zu informieren. Nur sechs haben bisher geantwortet. Großer Beliebtheit erfreut sich unsere zweimal im Jahr herausgegebene Broschüre „Energie für die Seele tanken”, in der die geistlichen Angebote vieler Ordensgemeinschaften zusammengefaßt sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung