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Sich im Körper wohlfuhlen und anderen Gutes tun

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Rund 26.000 Jugendliche gehen pro Jahr durchs Don Bosco Haus/Wien: Sie sind nicht bloß Besucher, sondern bereit Herausforderungen anzunehmen.

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Rund 26.000 Jugendliche gehen pro Jahr durchs Don Bosco Haus/Wien: Sie sind nicht bloß Besucher, sondern bereit Herausforderungen anzunehmen.

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Eine zerdrückte Cola-Dose, ein Seil, ein Packung Chips, ein Asterix-Heftl, eine Ansichtskarte aus Paris ... Der Salesianerpa-ter Hans Schwarzl bereitet in einem angenehmen, lichten Raum im Wiener Don Bosco-Haus in der St. Veit-Gasse 25 im 13. Bezirk eine erste Begegnungsrunde für fünfzehnjährige Schüler vor, die - animiert wahrscheinlich von ihrem Religionslehrer - sich und einander besser kennenlernen, über ihre Probleme reden und sie möglicherweise auf dem Hintergrund des Glaubens neu sehen und beurteilen lernen wollen. Die einfachen Dinge des Lebens, mit denen Schüler heute umgehen, sie kaum beachten, wegwerfen, zerknüllen, bilden einen Einstieg, der etwas mit der „salesianischen Spiritualität” zu tun hat. Was so hochtrabend klingt, ist nichts anderes als die Erfahrung gles in Becchi (Pie-mont), 30 Kilometer östlich von Turin, 1815 geborenen Priesters und „Sozialpädagogen” Giovanni Bosco, der den Alltagserfahrungen große Bedeutung beimaß und Jugendliche lehrte, wie man Gott im Alltag entdecken kann.

Während Pater Schwarzl sich auf eine neue Begegnung mit Jugendlichen vorbereitet, ist das Stiegenhaus von Lärm erfüllt, eine Kärntner Schülergruppe hat soeben ihre „Zelte” abgebrochen und reist ab. Ein Kommen und Gehen in diesem Haus der Begegnung, kein Aneinander vorbei, ein Miteinander wird angestrebt. So ist es nicht verwunderlich, daß eine spontane Antwort vieler Teilnehmer an Jugendorientierungstagen (früher: Einkehrtage) und Wochenendveranstaltungen (von der Gesamtzahl der Teilnehmer sind etwa Drei Viertel Erstteilnehmer) auf die Frage, was sich für sie in den Tagen im Don Bosco Haus verändert habe, antworten: die Klassengemeinschaft.

Keine verstaubte Erziehung

Pater Rudolf Osanger, diplomierter Sozialpädagoge, wie die meisten Sa-lesianer Don Boscos, ist stolz darauf, daß 90 Prozent der Jugendlichen gerne wiederkommen und wieder mitmachen würden. „Das ist eine Form kirchlicher Aktivität, die von Jugendlichen akzeptiert und gewünscht wird”, so Osanger zur Furche. Nun, im Don Bosco-Haus in Wien 13 ist das schon von den äußeren Bedingungen her verständlich: Einzel-, Zweibett- oder Dreibettzimmer geben den Jugendlichen einen „eigenen Bereich”, für den sie verantwortlich sind; größere und kleinere Tagungsräume voll Licht und mit allen elektronischen Medien ausgestattet, die junge Leute gern haben und brauchen, laden zum Treffen und konzentrierten Auseinandersetzen ein; der musischen Betätigung sind kaum Grenzen gesetzt; der Hof mit einer Feuerstelle zum Grillen, die Spielweise und parkähnliche Grünanlagen sind magische Anziehungspunkte; der Festsaal läßt Film- und Theateraufführungen zu; die Hauskapelle, vom

Architekten mit Jugendstilelementen, gemäß der Hietzinger Umgebung, gestaltet, mit dem Licht von oben über dem Altar, ist Herz des Hauses. Das jüngst aus aktuellem Anlaß vielbeklagte „verstaubte” katholische Erziehungswesen erweist sich an diesem Ort als Vorurteil. Die Annahme des Angebots der Salesia-ner in Wien 13 durch 26.000 Jugendliche und junge Erwachsene spricht eine deutliche Sprache

Die meisten Jugendlichen, die ins Don Bosco-Haus kommen, haben keine Ahnung, was sie erwartet. Viele, so Pater Osanger, stellten sich zunächst ein Kloster vor, wo man viel betet, sitzt und Vorträge hört (das war ja tatsächlich eine „alte” Form religiöser Einkehrtage, die die heutige mittlere und alte Generation noch erlebte, so sie sie mitmachte). Nachher ist der Eindruck ein ganz anderer: Die jungen l^eute sind vor allem von der Jugendlichkeit der Priester angenehm überrascht. Osanger: „Wir selbst müssen ,in' sein, was Mode, Geschmack, Kultur, Musik, Literatur und Sprache der Jugendlichen betrifft.”

Hemmschuh Amtskirche

Bei den Jugendorientierungstagen, wo Schüler ab der 8. Schulstufe zusammenkommen können, wird über jene Dinge nachgedacht, die Jugendlichen heute Kopfzerbrechen bereiten: Partnerschaft, Drogen, Alkoholismus, Sinn des Lebens. „Auch die Frage nach Gott kommt immer wieder' , sagt Pater Osanger. „Sie war in den letzten zwei bis drei Jahren wieder stärker und sehr ehrlich da.” „Ganz schwierig und kaum zu diskutieren, ist die Frage nach der Kirche”, gibt der Salesianerpater zu. Es gebe so viele Tagesthemen in der Kirche, die das Wesentliche verstellten, sodaß Jugendlichen nicht klarzumachen sei, was Kirche ist - eben

weil man nur mehr die „Amtskirche” sehe und die negativen Entwicklungen, die berichtet werden.

An den Wochenenden geht es um Tanz, Meditation, Glaubensfragen, wieder Partnerschaft. 150 solche Veranstaltungen finden jährlich statt. Dazu kommen 150 Orientierungstage, Projekttage, wo man sich über kirchliche und soziale Berufe, die im weitesten Sinne der Kirche angehören, informieren kann. Alles in allem sind es 600 Veranstaltungen im Jahr, die in' Haus Don Bosco stattfinden.

Jüngste „Renner” in der St. Veit-Gasse waren die Wochenenden über „Liebe zwischen Traum und Wirklichkeit”. Siebzehnjährige mit und ohne Partner/in konnte hier offen und frei über ihre Träume von Liebe, Partnerschaft und Sexualität mit anderen reden; dabei ging's - wieder gemäß Don Bosco - darum, „der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen”. „Satanismus - geheimnisvolle Kraft oder Highway To Hell”, ein mit 120 jungen Menschen sensationell gut besuchtes Wochenende, ging der Frage nach, was dahinter steckt, daß manche Popgrößen, Magier und viele Jugendliche der Macht des Bösen vertrauen. „Meditieren mit Leib und Seele” will junge Leute auch zur Ruhe, Stille kom-

men lassen, es geht um die Findung der Mitte des Lebens, um das Erfahren von Angewiesensein durch Berühren und Sich-Öffnen. Jugendliche ab 17 konnten zwei Tage lang in „Körperfeeling” den eigenen Körper spüren und sich im eigenen Körper wohlfühlen lernen, einüben, auf andere zuzugehen, sich selbst und anderen etwas Gutes tun - mit Körperübungen und Massage. „Kon-fronto Don Bosco”, zu dem sich Jugendliche aus Österreich, Deutschland, Tschechien, der Slowakei und Ungarn zusammenfanden, vermittelte Inhalte der salesianischen Spiritualität unter dem Motto „Gott im Alltag begegnen” (siehe Kasten unten). Freizeitangebote, Bergwochenenden, Fahrten nach Israel, Taize und Kroatien ergänzen das weite Angebot. Im Sommer findet wieder, zum dritten Mal, ein Eurotreff im Don Bosco-Haus statt, zu dem junge Leute aus elf Nationen erwartet wer-' den. P. Siegfried Müller, der Leiter des Don Bosco-Hauses, wird diesen Treff führen.

In der St. Veit-Gasse arbeiten Sa-lesianerpatres und Don Bosco-Schwestern mit Laien gleichberechtigt zusammen. Finanziell hält man sich mit Subventionen aus der Ordensfamilie und der Erzdiözese Wien über Wasser. Pater Osanger: „So ein Betrieb wäre sonst defizitär. Wir verlangen beispielsweise für Jugendliche 250 Schilling pro Tag für Vollpension. Verdiener, also junge Erwachsene, zahlen ein bißchen mehr.”

Brennpunkt Zölibat

Ein großes Anliegen für Pater Osanger ist es auch, den Jugendlichen den Zölibat als glaubwürdige Lebensform zu vermitteln. Momentan, auch aufgrund der Berichte im Zusammenhang mit dem „Fall Groer”, habe er den Eindruck, daß alles nur destruktiv gesehen werde, der Zölibat sehr stark in Mißkredit geraten sei. Erst unlängst habe ihm eine Therapeutin frank und frei erklärt, sie halte Menschen im Zölibat für krank, weil der Zölibat hindere, echte Beziehungen aufzubauen.

Mit ähnlichen Erfahrungen und Fragen ist auch Pater Petrus, Ansprechpartner für 220 Studenten, davon 30 HTL-Schüler (siehe furche 14, Seite 3), konfrontiert. Er sagt, das „Zeichen Zölibat” wird von Jugendlichen nur dann verstanden, wenn sie sehen, wie glaubwürdig es der Betreffende lebt. Durch den „Fall Groer” ist bei Jugendlichen die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Zölibats wieder aufgetaucht. Pater Petrus über seine Erfahrungen im „Sa-lesianum” in der Hagenmüllergasse, im dritten Wiener Gemeindebezirk, einem Studentenhaus und Jugendzentrum, zur furche: „Im großen Bereich wird diese Frage nicht gestellt, aber zu zweit oder zu dritt, da klingt sie schon an. Man muß auch ein Feingespür dafür haben, ob man bei Jugendlichen so etwas anspre-

chen kann. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Frage, ob ich nur mit einer Frau glücklich werden kann und wie es mir selber dabei geht. Wer wirkliches Interesse hat, stellt mir diese Fragen, andere tun das sowieso nicht. Wir sprechen natürlich solche Jugendliche mit Interesse schon darauf an, ob nicht die Möglichkeit, Priester zu werden, besteht, gewissermaßen als Anstoß, nicht aufdrängend. Die Grundfrage ist, ob ein zölibatäres Leben auch Sinn hat, und nicht nur die Ehe.”

Nicht für dumm verkaufen!

Im Zusammenhang mit dem „Fall Groer” muß Pater Petrus auch Rede und Antwort stehen. Jugendliche sehen das so, daß ausgerechnet jemand, der beispielsweise Wiederverheiratete „abkanzelt”, selber Fehler gemacht hat. Der Salesianer aus der Hagenmüllergasse verweist dann immer darauf, daß es der besondere Umgang mit Schuld sei, der Christen von der Hatzgesellschaft unterscheide. „Wenn jemand Interesse an Aufdeckung hat, dann bin ich auch dafür. Nicht jedoch, wenn man jemandem was auswischen will. Leider hat es auf die Anschuldigungen patscherte Antworten gegeben; das darf man nicht, man darf die Menschen nicht für dumm verkaufen.”

Freundschaft und Kameradschaft, Gemeinschaftserlebnis, sind Ziele, die das „Salesianum” in der Hagenmüllergasse mit einem offenen Haus den Studenten und Schülern (ab 15) bieten will. Die jungen Leute sollen einander kennenlernen, beim Bier-trinken in den Begegnungsräumen die Nachbarn auf dem gleichen Stockwerk und vielleicht aus anderen Stockwerken kennenlernen. Das Miteinanderreden ist das Entscheidende. Freizeitangebote dienen als Ausgleich für die Schule beziehungsweise Universität. Die Heimplätze in der Hagenmüllergasse sich äußerst begehrt. 150 suchen pro Jahr neu um einen Heimplatz an, nur 30 können neu aufgenommen werden. In der Hagenmüllergasse gibt es noch ein Jugendzentrum mit Freizeitangeboten am Nachmittag, eine Jugendherberge sowie ein Lehrlingsheim im „Turm”. Vom Kochen (an der Pinwand in der Küche sind offenbar barbusige Mädchen erlaubt), gemeinsam lernen, über die Freizeitgestaltung bis zu den Diskussionsrunden geschieht sehr viel gemeinschaftlich im Haus. „Allein das Freizeitangebot macht es aber nicht aus, was uns attraktiv macht”, so Pater Petrus zur furche. Es geht um die persönlichen Interessen der Jugendlichen, um ihre Erfahrungen, um das Erleben von Gemeinschaft und auch um eine unaufdringliche religiöse Erziehung.

Auskünfte: Don Bosco Haus,

St Veit-Gasse 23, 1130 Wien, Tel 0222/877 92 62. Salesianum, Hagenmüllergasse 31, 1030 Wien, Tel 0222/ 711 841113 oder 520

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