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Touristen, eine „Plage" für die Jugend

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Das idyllische Dorfbild mit ßlasmusikkapelle und Touristen geht immer mehr an den Bedürfnissen der Dorfjugend vorbei. Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen und Selbstmord bestimmen den Alltag. Initiativen sollen Abhilfe schaffen. Dazu Beispiele aus Salzburg.

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Das idyllische Dorfbild mit ßlasmusikkapelle und Touristen geht immer mehr an den Bedürfnissen der Dorfjugend vorbei. Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen und Selbstmord bestimmen den Alltag. Initiativen sollen Abhilfe schaffen. Dazu Beispiele aus Salzburg.

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Heuer ist hier wenig los", meint Bernhard. Den ganzen Tag war er im Zeller Strandbad und hat auf dem Heimweg noch schnell im „Sbasecafe" im benachbarten Thumersbach, Salzburg, vorbeigeschaut. Der lauschige Gastgarten vor dem Musikclub ist gut besucht. Er ist in den Sommermonaten zu einem Treffpunkt für einheimische Jugendliche geworden. Zu zehnt sitzen sie an den Tischen und sind froh, daß wenigstens dieses Beisl noch nicht von den Touristen entdeckt wurde. Bier und Ripperln gibt es zu vernünftigen Preisen, was in den Touristenhochburgen eine Seltenheit ist.

Die Retreiber des „Sbasecafe" stammen alle drei aus der Region und haben in ihrer Teenangerzeit unter dem mangelnden Freizeitangebot für Jugendliche gelitten. Nach zähen Verhandlungen mit der Gemeinde konnten sie den Club schließlich vor zwei Jahren eröffnen. Das ehemalige Strandcafe wurde in Eigeninitiative zu einem Veranstaltungsort mit Ruhne für Live-Musik ausgebaut und ist seitdem ein Treffpunkt für Jugendliche aus der ganzen Region. Techno und Housemusik werden dort gespielt, Bands aus Wien und der näheren Umgebung kommen, um den Jugendlichen so richtig einzuheizen.

Es ist zu einer Oase geworden, die niemand mehr missen möchte. Auch der Salzburger Kulturverein „Akzente" hat die Notwedigkeit solcher Veranstaltungsorte erkannt und unterstützt die Initiative. Das Sbasecafe wurde ebenso in das im April gegründete „Jugendprojekt Pinzgau" integriert wie die Initiative von Harry Liebmann, der in Piesendorf einen Fun-Park für Skater aufbauen möchte.

„All diese Ideen", erzählt der Leiter des Jugendprojektes, Harald Brandner von „Akzente Salzburg™, „gehen von den lauten selbst aus." Er selbst fungiert als Bindeglied zwischen den Gemeinden und den Jugendlichen, kümmert sich um die Verwaltungswege und klopft die Möglichkeiten ab.

Die ganze Woche ist er im Pinzgau unterwegs, um die Projekte zu besprechen und mit den Initiatoren die Ideen auszuarbeiten, und auch um die Projekte bei den anderen publik zu machen sowie Synergien herzustellen.

In Saalfelden ist in den vergangenen Monaten ein Kinder- und Jugendzentrum entstanden. „Es war höchste Zeit", meint Zentrumsmitarbeiterin Verena Ehm, die schon vor der offiziellen Eröffnung bis zu 50 Kinder am Tag betreute. Sie kommen her, spielen Tischtennis oder Gitarre, reden über ihre Probleme.

Die durchschnittlich Vierzehnjährigen fühlen sich von einer Gruppe Neonazis bedroht, die sich täglich auf dem Postplatz versammelt. Sie haben vor allem die Skateboardfahrer attackiert, die für ihre antirassistische Einstellung bekannt sind. Einer wurde sogar zusammengeschlagen, als er allein unterwegs war. Seitdem bewacht die örtliche Polizei das Geschehen. Auch die bosnischen Jugendlichen trauen sich nicht mehr allein auf die Straße, sind nur noch in Gruppen unterwegs. Jetzt können sie wenigsten bei den „Move For Fun" Aktionen mitmachen, einer Sport-Initiative, bei der sich die Jugendlichen zum Streetball, Badminton und Volleyball treffen können.

Die großen Trends sind allerdings Skateboardfahren und In-Line-Ska-ten. Überhaupt ist Sport die häufigste Freizeitbeschäftigung. Die Kinder werden auf Skiern und Snowboards groß, gehen im Sommer schwimmen oder skaten. Eigentlich mögen sie das Leben in der freien Natur. Probleme haben sie nur mit den vielen Touristen. „Die kommen her, haben die neuesten Sachen im Gepäck und führen sich auf, als ob sie zu Hause wären. Meine Schüler sind total aggressiv", beklagt der Pädag-Student Christian Eder, der im Oberpinzgau-er Touristen-ort Neukirchen Religion unterrichtet. Die Eltern der meisten haben eine Pension oder ein Hotel, und in der Saison müssen die Kinder hintanstehen. „Auf der emotionalen Ebene fehlt denen was", beobachtet der künftige Lehrer.

Immer mehr Jugendliche flüchten in die Scheinwelt der Drogen. In Zell am See wurde vor zwei Wochen ein achtzehnjähriger Dealer mit 600 Pillen der Designerdroge Ecstasy verhaftet. Obwohl die Hauptabnehmer Touristen und nicht die Einheimischen sind, kommen auch die Dorfjugendlichen mit den Drogen in Kontakt, werden auf offener Straße angesprochen, wie ein Fünfzehnjähriger vom Jugendzentrum erzählt.

Im Mai ist ein Süchtiger an einer Überdosis gestorben. Der Tod vom „Schmutzer", wie ihn alle genannt haben, hat große Betroffenheit ausgelöst. Mütter haben in Briefen ihre Ohnmacht ausgedrückt, die sie angesichts der Situation empfinden.

Die Jugendlichen pilgern zum' Grab, bringen Blumen und Murmeln, nehmen die Gitarre mit und trauern.

Peargroups sollen nach dem Projektmodell künftig präventive Arbeit leisten. Die Suchtgefährdeten sind eben nicht die, die freiwillig ins Zentrum kommen, weiß Verena Ehm vom Jugendzentrum Saalfelden. „Die haben ihre eigenen Beisln und bleiben unter sich."

Sie hat einen großen Bedarf nach Individualität bei den Jugendlichen beobachtet und gibt ihnen Mut, es auszudrücken, indem sie selbst ihre Haare orange gefärbt hat. Die Toleranz der Bevölkerung ist jedoch gering. Die Jugendlichen sollen sich in das idyllische Dorfbild einfügen, gut angezogen sein und in der Blasmusikkapelle spielen. Wer das nicht will, kann entweder selbst etwas initiieren oder aber" wegziehen, in die Stadt, so wie viele der Klassenkameraden Pädag-Student Christian Eder. Er selbst ist nach drei Studienjahren in Innsbruck mit einem mulmigen Gefühl nach Piesendorf zurückgekehrt... Mittlerweile ist er sicher, daß er bleiben möchte. Zusammen mit anderen hat er gerade die erste Ausgabe der Jugendzeitung „Szenehoagascht" herausgegeben, in der Jugendliche über ihre Situation schreiben.

„Eigentlich haben wir uns nur zusammengesetzt und nachgedacht, worüber wir gerne berichten würden", erzählt Eder. Die großen Themen waren dann Alkohol, Selbstmord und Drogen.

Die engagierten Jungredakteure hatten sogar schon Gelegenheit, mit Landeshauptmann Franz Schausber-gerüber ihre Bedürfnisse zu sprechen, als er bei einer Besichtigungstour im Pinzgau unterwegs war. Vom Jugendprojekt Pinzgau ist er begeistert. Schließlich ist es den Initiatoren gelungen, alle 28 Gemeinden dafür zu gewinnen, auch finanziell. Zusätzlich wird das Projekt vom Familienministerium und dem Land unterstützt. Dennoch ist auch Projektleiter Harald Brandner davon überzeugt, daß noch mehr getan werden muß, denn: Der Pinzgau verzeichnete 1995 den höchsten Anstieg der Arbeitslosen-quote. Nahezu zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten im Dienstleistungsgewerbe, Zukunft hat sonst nur noch das Handwerk ...

Die Autorin ist

freie Journalistin in Wien.

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