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Wie international ist Wien?

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Am 23. August wird in Wien die UN-City eröffnet werden. Noch heuer sollen 3500 Personen in den 10-Milliarden-Schilling-Komplex einziehen. Damit wird das Getto-Dasein der Ausländer in Wien noch mehr verschärft. Schon jetzt leben Wiener und Ausländer vielfach nebeneinander her.

„Wien ist eine europäische Hauptstadt mit einem außergewöhnlichen kulturellen Leben, ein kosmopolitisches Zentrum, von einer unverdorbenen Natur umgeben, eine sichere und schöne Stadt, die ihre menschlichen Proportionen gewahrt hat.“

Den Stadtvätern von Wien muß das Wasser des Stolzes im Mund zusammengelaufen sein, als sie diesen Hymnus aus dem Mund der spanischen UNIDO-Angestellten Marie-Therese Nobel im amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time“ lesen konnten, das am 25. September 1978 drei Spalten lang über „Neues Leben für das alte Wien“ schwärmte.

Viele andere NichtÖsterreicher schwärmen ähnlich wie Marie-Therese - über Kultur und Natur freilich mehr als über die „menschlichen Proportionen“. Davon schwärmen, genaugenommen, die wenigsten. Denn wie sehr Wohnsitzausländer an Wien auch seine unvergleichliche Atmosphäre zu rühmen wissen: Von den Wienern müssen die meisten bekennen, daß sie sie kaum kennenlernten.

Von den 1978 in Wien polizeilich gemeldeten 138.000 Wohnsitzausländern (heuer werden ein paarTausend mehr erwartet) sind gegen 90.000 Gastarbeiter. Wenn man von diesen einmal absieht, bleiben noch immer 50.000 andere übrig: Diplomaten, Manager, Studenten, Lehrer usw.

Sie arbeiten, studieren und wohnen zusammen, gehen zusammen essen und tanzen, steigen in Rudeln in Straßenbahnen und Busse ein, besuchen in Gruppen Konzerte und Museen. Sie suchen, das ist nur zu wahr, vielfach gar keine engeren Kontakte zu den Österreichern. Noch weniger

aber suchen diese Kontakte zu denen unter ihnen, die sehr wohl möchten.

„Der Wiener hat Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Ausländern, schon wegen der Sprache; er ist etwas scheu und zurückhaltend“, meint Robert Rauscher, Direktor von „Wien International“, einem gemeindegesponserten Verein unter der Präsidentschaft von Stadtrat Heinz Nittel, der sich die Herstellung von Kontakten zwischen Wienern und ausländischen Dauergästen zum Ziel gesetzt hat.

Unter dem Vorsitz des sozialistischen Abgeordneten Leopold Wiesinger und seines ÖVP-Stellvertre-ters und Landtagskollegen Dr. Peter Mayr proporzgetreu fundiert, bemüht sich die in der Aiser Straße 20 (Tel. 43 95 84) beheimatete Organisation einfallsreich um die Erfüllung ihres Vereinszweckes.

Eine neue Veranstaltungsreihe etwa bietet Folkloredarbietungen, die jeden Monat einem anderen Land gewidmet sind (UdSSR am 29. März, Indonesien am 4. Mai). Daß knapp ein Drittel der 700 Karteikartenmitglieder (samt Familienangehörigen rund 1700 bis 1800 Personen) auch Österreicher sind, ermöglicht auf dem Boden von Wien international auch österreichisch-ausländische Kontakte.

Daß es um diese noch immer nicht zum besten bestellt ist, wissen die Vereinsfunktionäre selbst recht gut.

Und daß nicht nur g'schamige „Scheuheit“ aus Sprachgründen daran ihren Anteil hat, sondern auch eine oft recht handfeste Fremdenfeindlichkeit, sollte für niemanden ein Geheimnis sein.

„Tschuschen“ erkennen kundige Wiener Augen nicht nur an slawischen Lauten und bescheidener Arbeitskleidung, sondern auch hinter dem Steuer von „CD“-Autos und den Mauern internationaler Schulen. (Uber „die“ Internationale Schule in Wien wird die FURCHE in einer der nächsten Nummern berichten.) Und Hunderln und Tauberin sind allemal noch willkommener als Kinder, Neger und Chinesen.

In jeder amerikanischen Kleinstadt kann ein durchreisender Ausländer bei einem „Internationalen Besucherzentrum“ sein Interesse an einem Hausbesuch anmelden: Am Abend sitzt er am Tisch einer heimischen Gastfamilie. In Wien hat. u. a. Abgeordneter Wiesinger sich in eine Gastgeberliste eintragen lassen: „ Aber nur zweimal war bisher bei mir jemand zu Besuch.“

Diese Erfahrung widerspricht völlig dem, was man von kontaktwilligen Ausländern zu hören bekommt. In Ohio (USA) erzählte mir einmal ein amerikanisches Lehrerehepaar, die beiden hätten fast verzweifelt nach persönlichen Kontakten mit Wienern gesucht und erst, als sie einer Volkstanzgruppe beitraten, eine Einladung zu einer Kaffeejause ergattert.

Das Problem scheint auch im Kommunikationsbereich zu hegen. Um dem abzuhelfen, hat Wien International einen 100 Seiten starken

„Ratgeber“ herausgebracht, der über Feiertage, Wohnungsmarkt, Telefonnummern, Verkehrsregeln, Meldezettel, Geldnoten, Geschäftsöffnungszeiten (das erstaunlichste Thema für Ausländer), ARBÖ-Groß-taten und mit einer Spalte auf der letzten Seite sogar über Gottesdienste berichtet.

Eine verdienstvolle Leistung. Freilich gibt's auch Ärger mit dem „Ratgeber“ - vor allem bei Ausländern wohl, denen im Jahre 1979 überhaupt nicht mit dem Hinweis auf eine Vergleichsstudie von 1976 gedient ist, wonach Wien nur die zwanzigteuerste Stadt der Welt sei.

Sie ist preislich mittlerweile ins Spitzenfeld aufgerückt. Daß manche Zimmervermieter und Taxifahrer, wenn sie einen Ausländer als Kunden wittern, überhaupt die

Grundrechenarten (zum eigenen Vorteil) zu verlernen scheinen, bringt man Neulingen am besten schonend bei. Und wo konkret man das Einzelbett in einem A-Hotel um 500 Schilling bekommt, würden wahrscheinlich viele gern erfahren.

Die Vorzüge des Wien-Ratgebers überwiegen seine Mängel freilich ganz entschieden. Und daß Wien International vor Weihnachten 1978 u. a. 120 Geschenkpakete und vier große Medikamentenkartons für Christenkinder im Libanon gesammelt hat, war eine rühmenswerte Tat, an der auch das ausländische Gegen-

stück zu „WI“, die „International Community“, entscheidenden Anteil hatte.

Für Christenkinder wurde übrigens mit der Begründung gesammelt (und ein Beitrag von 23.000 Schilling aufgebracht), daß sich der arabischen Palästinenserkinder ohnehin die UN-Palästina-Flüchtlingsorganisation UNRWA annahm. Die UNRWA ist übrigens vor kurzem aus Beirut nach Wien übersiedelt. Neben der Weltatombehörde und der UN-Indu-

strieentwickluhgsorganisation (UNIDO) werden heuer auch kleinere UN-Einheiten aus New York und Genf in die vier verschieden hohen, ypsilonförmigen Kanzleitürme in der UN-City nördlich der Donau einziehen, wo in 58 Bürogeschossen Platz für 4500 Weltbeamte ist.

Das kreisrunde Internationale Konferenzzentrum verbindet die Bürotürme zum Gesamtkomplex, den der Wiener Architekt Johann Staber geschaffen hat. Daß das vor Jahren darüber geschwungene parteipolitische Kriegsbeil endgültig begraben worden ist, darf man begrüßen. Wien kann sich nicht auch noch auf allerhöchster Ebene einen Xenophobie-Exzeß leisten, wie er auf allen möglichen unteren Ebenen immer wieder vorzukommen pflegt.

Der FURCHE-Interviewpartner Frederick Mayer hat im übrigen natürlich auch mit seiner Bemerkung recht, daß nicht zuletzt die Kirchen noch mehr als bisher dazu beitragen könnten, daß Wien sich Weltstadt (und gar „mit Herz“ noch) nennen kann.

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