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Menschliche Wärme und ein schwarzes Köfferchen

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Beim Eintreten in das Haus Alser Straße 20 wirkte der junge Mann im blauen Anorak noch fast schüchtern und unsicher. Knappe zweieinhalb Stunden später verließ er, in der Hand ein Köfferchen mit fünf Kilo Informationsmaterial, fröhlich lächelnd die Klubräume. „Wien International“ hat ihm gegenüber seine Aufgabe erfüllt.

„Das erste Ziel ist, den Neuankömmlingen die ersten Wochen in Wien zu erleichtern und ihnen vor allem das Gefühl des Alleinseins zu nehmen“, erklärt Robert Rauscher, der als Direktor von „Wien International“ die internationale Gemeinschaft in der österreichischen Hauptstadt betreut. Er weiß, wovon er spricht: Bevor er diese Tätigkeit in Wien aufnahm, war er Kulturattache in London; und erfuhr am eigenen Leib, daß „vor allem für die jungen Menschen in den mittleren und unteren Kadern das Ausmaß der Frustration am größten ist“.

Wer nämlich als Angestellter einer Botschaft oder internationalen Organisation in eine fremde Stadt kommt, kennt zunächst überhaupt niemanden. Zum Mangel an persönlichen Kontakten kommen meistens noch Sprachschwierigkeiten und organisatorische Probleme. „Für unserei- nen ist es ja relativ einfach, einen Vertrag zu unterschreiben. Was soll aber jemand tun, der die Sprache kaum versteht und vom österreichischen Recht keine Ahnung hat?“

Zu „Wien International“ gehen, meinte Wiens Bürgermeister Leopold Gratz, nachdem er vor vier Jahren den UNO-Apparat in New York kennengelemt hatte. So wurde damals - ausgestattet mit einem Jahresbudget von rund fünfeinhalb Millionen Schilling - in den Räumlichkeiten des Nobelzuckerbäckerhauses „Demel“ am Kohlmarkt der Verein „Wien International“ gegründet.

Inzwischen ist er nicht nur kräftig gewachsen (was die Übersiedlung in den 9.

Bezirk nötig machte), sondern auch zu einer Organisation geworden, „in der Bund und Land beispielhaft Zusammenarbeiten“ (wie Direktor Rauscher, der von beiden Seiten finanzielle wie auch organisatorische Unterstützung erhält, versichert). „Anfangs haben wir gefürchtet, daß das Außenamt Schwierigkeiten machen könnte, weil wir ihm sozusagen ins Handwerk pfuschen.“

Diese Sorgen waren unbegründet. Denn auch das Außenamt hat ja Interesse an der Ima- - gepflege, die „Wien International“ bei den in Wien tätigen Ausländem betreibt.

„Man kann ja rechnen, daß diese Leute dann irgendwann einmal in ihrem Heimatland in wichtige Positionen kommen, wo es schon eine Rolle spielt, welches persönliche Bild sie von Österreich haben.“ Und bei den Neuankömmlingen ist das nicht immer positiv:

Eine englische Mitarbeiterin der Internationalen Atombehörde (IAEA) berichtet von ihrer Erfahrung, daß man in Wiener Geschäften herablassend und schlecht bedient wird, wenn man sich bemüht, sich mit seinen beschränkten Deutschkenntnissen verständlich zu machen. Mit Englisch gehe es besser: „Pro- bably they think you’re American“ (Vielleicht denken sie, daß man Amerikaner ist); US-Bürger genießen in Wien besonderes Prestige.

Solchen schlechten Eindrücken soll „Wien International“ angenehme entgegensetzen. Menschliche Wärhie könnte vor allem durch engere Kontakte mit heimischen Familien vermittelt werden.

Eine der sieben „Wien-Intematio- nal“-Mitarbeiter, Alice Baar, ist für dieses „Gast-Familien-Programm“ zuständig. Bei zwei Aufrufen an die Wiener Bevölkerung haben sich auf Anhieb über 70 Familien gemeldet. Was Rauscher veranlaßt, im tiefsten Grunde des ja nicht immer „goldenen“ Wienerherzens eine „verschüttete Fähigkeit zur Knüpfung internationaler Kontakte“ zu orten.

Die Amerikaner (in Wien gibt es etwa 9000) sind die angenehmsten Freunde von „Wien International“, weil sie mit ihrer „naiven Neugier und dem Wunsch, alles Interessante zu erfahren“, nicht hinter dem Berge halten. Einer der Gründe, weshalb die Umgangssprache im Verein Englisch ist.

Was so des einen Freud’, ist des ändern Leid. Vor allem bei Botschaftsangestellten (deren Auswahlkriterium für eine Versetzung nach Wien die Kenntnis der deutschen Sprache war) „ist die Enttäuschung groß, wenn sie sehen, daß wir hier Englisch sprechen“. Anderseits ist Englisch die UNO-Sprache, somit größter gemeinsamer Nenner, und wird „von den Wienern überraschend gut gesprochen“, wie Rauscher Kontaktscheuen Mut macht.

Denn Kontakte sollen nicht nur durch das Familienfreundsehafts- programm, sondern auch bei rund 15 Veranstaltungen pro Monat geknüpft werden. Unter den Gästen befindet sich meist ein gutes Drittel Österreicher, ebenso unter den Mitgliedern. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, daß die (größtenteils kostenlosen) Veranstaltungen auch Nicht- mitgliedem zugänglich sind, der Jahresmitgliedsbeitrag von 250 Schilling ist „ohnehin nur als Anerkennung gedacht“.

Jenen ausländischen Neuankömmlingen, die mit „Wien International“ nur einmal - nämlich bei der Willkommens-Party - in Berührung kommen, bleibt immerhin das in mehreren Sprachen zusammengestellte Informationsmaterial im schwarzen Köfferchen.

Außer einer Schallplatte mit Grußworten von Leopold Gratz und einem Satz Briefmarken („1000 Jahre Österreich“) finden sich darih rund vierzig Straßenkarten, Stadtpläne und Broschüren (vom Konsumentenschutzgesetz bis zu den Dienststunden der Wiener Apotheken).

Der wohl wichtigste Prospekt dürfte ein Verzeichnis von empfehlenswerten Lokalen sein: wenn schon nicht anders, wird man einander doch zumindest beim Wein näherkommen …

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