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Internationale Organisationen leisten kaum gewurdigte kulturelle Beitrage

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Schon knapp eineinhalb Jahre, nachdem der letzte Besatzungssoldat Österreich verlassen hatte, erschienen UN-Funktionäre aus New York und Genf in Wien, um zu untersuchen, ob es überhaupt möglich wäre, hier eine internationale Konferenz zur Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) abzuhalten und diese vielleicht sogar anschließend in Wien zu etablieren. Das positive Resultat - das Jahre später auch dazu führen sollte, daß Wien zur dritten UN-Stadt aufstieg - wurde nicht nur als großer Prestigeerfolg für das verarmte Land angesehen. Als Sitz einer zur „UN-Familie“ gehörenden Weltorganisation würde es fortan so etwas wie den Status einer offenen Stadt genießen, so dachte man, zumindest aus damaliger Sicht, richtig. Eine Probe aufs Ex-empel ist nie und nirgends erbracht worden. Die Abberufung der UN-Truppen vom Sinai durch U Thant, die den Sechstagekrieg auslösen sollte, erlaubt Skepsis.

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Schon knapp eineinhalb Jahre, nachdem der letzte Besatzungssoldat Österreich verlassen hatte, erschienen UN-Funktionäre aus New York und Genf in Wien, um zu untersuchen, ob es überhaupt möglich wäre, hier eine internationale Konferenz zur Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) abzuhalten und diese vielleicht sogar anschließend in Wien zu etablieren. Das positive Resultat - das Jahre später auch dazu führen sollte, daß Wien zur dritten UN-Stadt aufstieg - wurde nicht nur als großer Prestigeerfolg für das verarmte Land angesehen. Als Sitz einer zur „UN-Familie“ gehörenden Weltorganisation würde es fortan so etwas wie den Status einer offenen Stadt genießen, so dachte man, zumindest aus damaliger Sicht, richtig. Eine Probe aufs Ex-empel ist nie und nirgends erbracht worden. Die Abberufung der UN-Truppen vom Sinai durch U Thant, die den Sechstagekrieg auslösen sollte, erlaubt Skepsis.

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Daß den amerikanischen Besatzungstruppen nun eine ebenfalls privilegierte, vornehmlich englisch sprechende, in Dollars (als Rechnungseinheit) bezahlte Gruppe so rasch folgen sollte, hat die IAEO - und andere Organisationen - in Wien auf Jahre hinaus mit einer Neid-Hypothek belastet. Damals war der Dollar kein Geld, sondern „une mystique“, nicht von dieser Welt, so Escarpit, der französische Autor, und Österreich ein berühmt „billiges“ Land.

Seither, und nicht erst seit der drastischen Dollarentwertung, hat es eine Umkehr gegeben, schon vorher war Wien längst nicht mehr „billig“. Ende 1977 wies die UN-Statistik für Lebenshaltungskosten Wien mit 123 (New York - 100), Genf mit 142 aus. Nach jüngsten Angaben liegt Wien bereits über 130, Genf hingegen unverändert. Zudem weist Wien für viele internationale Beamte, verglichen mit Genf, erhebliche Nachteile auf - man darf Fremdenverkehrsattraktionen und Anforderungen an ein Dauerdomizil nicht verwechseln. New York, Paris, Rom, diese UN-Zentren sind Weltmetropolen, Genf, mit nach allen Windrichtungen offenen Grenzen, liegt einen „Katzensprung“ von Paris, der Riviera und Mailand entfernt, Wien hingegen am Ende einer Sackgasse. Man fährt nicht spannungsfrei, wenn überhaupt, über die östlichen Grenzen.

Und da ist die andere, die Sprachgrenze. Offizielle UN-Arbeitssprachen sind in New York und Genf zugleich auch Landessprachen, aber nicht in Wien. Es steht so manchem internationalen Beamten nicht dafür, diese schwierige Sprache zu lernen angesichts eines zumeist auf wenige Jahre begrenzten Dienstaufenthaltes. Ghettomauern werden bekanntlich sowohl von innen wie von außen her errichtet Die IAEO zeigte nur kurze Zeit ein Schild mit „Atombehörde“. Das entfernt werden mußte: sie ist keine Behörde. Seither ragt nur noch eine englischsprachige Visitkarte auf den Ring hinaus. Umgekehrt fördert es die gegenseitige Wertschätzung kaum, wenn Wiens führende Blätter den Namen einer seit zwanzig Jahren in ihrem Zentrum etablierten Weltorganisation und den Titel ihres obersten Funktionärs selten richtig wiederzugeben vermögen. Fremdenfreundlich, außer es gut, verirrten Wanderern den Weg zu weisen, sind weder die Wiener noch, so versichern Ortsansässige, die Genfer. Nur ist der Ghetto-Lebensraum Genfs mit rund 12.000 internationalen Beamten wesentlich größer als der Wiens mit etwa 2520.

Um so verdienstvoller sind die vielfachen und kaum gewürdigten kulturellen Beiträge, die Menschen in und um die internationalen Organisationen geleistet haben und leisten. Daß Österreichs Wissenschaft von der ständigen Anwesenheit führender ausländischer Fachleute und der Mitbenützung der Einrichtungen der Organisationen profitiert, ist ein Gemeinplatz. Daß Industrie und Handel die Uberseeverbindungen der UNIDO nicht genügend nutzen, ist weniger bekannt und sehr bedauerlich. So gut wie unbekannt ist, wie vielen Österreichern und Ausländern die Organisationen letztlich die materiellen Voraussetzungen für Studien und künstlerisches Wirken geboten haben und bieten. Zur Illustration einige willkürlich herausgegriffene Namen:

Anton Fuchs, Romanautor und Körner-Preisträger; der Pianist D. Mehta, der es zu einer Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst brachte; Renee, die Gattin des bekannten Galeriebesitzers Christian Nebehay, die für ihr Kinderbuch den deutschen Jugendbuchpreis erhielt; mit dem österreichischen Staatspreis und dem Preis der Stadt Wien für Kinder- und Jugendliteratur wurde Renate Welsh ausgezeichnet, deren Gatte, Christopher Norton Welsh, im Vorstand der Gesellschaft für Musiktheater wirkt und als gesuchter Konzertsänger, zuletzt in Moskau, auftritt; Tenor Albert Khad-jesari singt am Raimundtheater, Lu-cille Rupp, Sopran, bei der Bachgemeinde; Jürgen Weü kennen die Leser der „Presse“ als Feuilletonisten. Der „Art Club“ der UNIDO wieder veranstaltet alle fünf bis sechs Wochen Kunstausstellungen, was nicht nur kulturelle Kontakte mit Menschen aus aller Welt schafft, sondern auch materielle Vorteile für österreichische Künstler.

Und da vom Materiellen die Rede ist: es soll hier keine „input/output“-, Rechnung versucht oder die UNO-City-Debatte wiederaufgerollt werden. Es seien lediglich einige Zahlen zur Orientierung angeführt. Die IAEO beschäftigt zur Zeit rund 1470 Personen (davon etwa 670 Österreicher), die UNIDO etwa 1045 (325). Die OPEC gibt darüber keine Auskunft, ebensowenig wie über die für Personal, Verwaltung und andere in Wien vorgesehenen Budgetansätze. Bei der IAEO sind hiefür (1978) 51 Millionen Dollar veranschlagt, wovon 62 Prozent (österreichische Schätzungen) beziehungsweise 65 Prozent (Schätzung der IAEO) im Lande bleiben. Die entsprechenden Beträge für die UNIDO: (1978/79) 60 Millionen Dollar; 66 beziehungsweise 75 Prozent. Für die OPEC ergaben Schätzungen 1971 einen Anteil von etwa 60 bis 66 Prozent. Nicht mitgerechnet sind die Ausgaben Hunderter Fachleute und Delegierter, die alljährlich zu Tagungen und Besprechungen nach Wien kommen.

Die übrigen internationalen Organisationen in Wien - laut Rathaus 47 - fallen kaum ins Gewicht, sind nicht viel mehr als „Briefkästen“, Zentraladressen internationaler Vereinigungen. Aber auch Briefkästen können ideellen Funktionen dienen.

Und da vom Ideellen die Rede ist: Homi Bhabha, führender Physiker und erster Vertreter Indiens im Führungsgremium der IAEO, behauptet, er habe für Wien als Sitz der Organisation gestimmt, um häufig in die Oper gehen zu können. Wohl ein Scherz. Standortwahlen sind hochpolitische Entscheidungen, irrationale Motive dabei oft wichtiger als praktische. Die Umweltschutzorganisation der UN ist in das, praktisch gesehen, wenig geeignete Nairobi gesetzt worden, nicht nach Wien. Dritte- und Vierte-Welt-Länder werden in ähnlichen Fragen auch in Zukunft erfolgreich Vorrang anmelden. Wiens Chancen dürften eher bei Organisationen liegen, bei denen Prestigeüberlegungen eine geringere Rolle spielen. Das Leben für deren Beamte hier attraktiver zu machen, könnte dabei von Vorteil sein.

Homi Bhabha ist tot. Abgestürzt auf dem Weg zur Arbeit im Gouverneursrat der IAEO in Wien. In den Gebäuden der internationalen Organisationen erinnern Bilder und Tafeln an Mitarbeiter, die in den Sielen gestor-

Die meisten Privilegien internationaler Beamten sind fiktiv, nicht jedoch die UNIDO-Parkplätze vor dem Felderhaus (oben). Die wegen der Baukosten umstrittene UNO-City steht vor der Fertigstellung (links unten).

Photos: Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien ben sind. Im Verhältnis wohl nicht mehr, aber auch nicht weniger als andere pflichtbewußte Diener der Öffentlichkeit. Die internationalen Beamten, die heute vielfach unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen arbeiten als nationale - schlechtere Karriere- und Pensionsaussichten -, würden es ebenso verdienen wie die Institutionen, denen sie dienen, daß man sie nicht mehr in erster Linie nach längst fiktiven Privüegien beurteilt.

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