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Form wirbt für Güte

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Eine Woche lang steht Wien im Blickpunkt der internationalen Fachwelt auf dem Gebiete der Formgebung: Vom 20. bis 24. September 1965 findet hier die IV. Generalversammlung und der Internationale Kongreß der ICSID (International Council of Societies of Industrial Design), einer internationalen Dachorganisation der Formgebungsvereinigungen, statt. Am 21. September wird im österreichischen Bauzentrum die Internationale Ausstellung der ICSID und damit zugleich eine neu geschaffene Institution, nämlich das „österreichische Zentrum Produktform“, eröffnet.

Das zeitliche Zusammentreffen dieser Veranstaltungen ist selbstverständlich nicht Zufall, und die Organisatoren versprechen sich wohl nicht zu Unrecht von dieser Konzentration einen starken Widerhall in der österreichischen Öffentlichkeit und vor allem in der österreichischen Wirtschaft, der sich über den aktuellen Anlaß hinaus fruchtbringend auswirken wird.

Der Kongreß der ICSID

Ungefähr 400 Teilnehmer aus 25 europäischen und außereuropäischen Staaten versammeln sich im Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft Wien am Währinger Gürtel zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion. Das Thema des Kongresses ist „Design und Öffentlichkeit“. Im einzelnen werden die Aspekte: „Transport — die Straße — Erziehung — Gesundheit“ behandelt. Diese Themenwahl bringt insoferne etwas Neues, als bisher bei ähnlichen Kongressen entweder prinzipielle Fragen oder aber doch hauptsächlich die Gestaltung von Produkten für den individuellen Bedarf zur Debatte stand; 1965 in Wien wird es erstmals die Gestaltung und Ausrüstung öffentlicher Einrichtungen sein, die in ihren Grundlagen und Auswirkungen untersucht wird. Damit kommt auch ein neuer Gesichtspunkt ins Spiel, nämlich die Bedeutung des Auftraggebers für Einrichtungen, die einer größeren Anzahl von Menschen dienen und deren Funktionieren daher von erhöhter Bedeutung ist, kurz, in den meisten Fällen die öffentliche Hand. Man hat sich die Frage vorgelegt, wie Design und wie der Designer bei der Planung und Gestaltung öffentlicher Einrichtungen mitwirken kann und welche Schritte der Auftraggeber notwendig sind, um diese Mitwirkung zu sichern, und schließlich, welcher Erfolg von einer solchen Zusammenarbeit erwartet wird.

Wenn von Formgebung — immer wieder muß man hiebei den umfassenderen Begriff Design einsetzen — wenn also von Design die Rede ist, wird stets betont, daß nicht nur die äußere Form und nicht einmal einzelne Qualitätsmerkmale, sondern das Zusammenwirken aller Qualitätseigenschaften in der Funktion entscheidend ist. Viel mehr als bei einem Produkt für den persönlichen Gebrauch und daher für völlig unterschiedliche AnSprüche, tritt die Wichtigkeit des Funktionierens dann hervor, wenn ein Bedarf der Allgemeinheit damit erfüllt werden soll. Zweifellos ist auch die Funktion eines Autos für den Benutzer und naturgemäß auch für die Sicherheit anderer maßgeblich, dennoch ist es letztlich seinem Geschmack überlassen, ob er sich für diese oder jene Type entscheidet. Anders ist es, wenn es sich etwa um ein Massenverkehrsmittel handelt: Hier kann der einzelne nicht wählen, und dennoch ist für jeden einzelnen die Bequemlichkeit und Sicherheit, darüber hinaus aber das klaglose Funktionieren für den gesamten Verkehrsablauf von erhöhter Bedeutung. Dazu kommt, daß die Anschaffungskosten wesentlich höher liegen, daß Fehler in der Planung kaum wieder gutgemacht werden können und daß die Verantwortung des Auftraggebers der Öffentlichkeit gegenüber damit vervielfacht wird.

Formgebung ist Menschenformung

Die oben genannten Aspekte schienen den Veranstaltern aus einer ganzen Reihe ähnlicher Probleme die wichtigsten. Es sind dies jene Gebiete, die für das Zusammenleben und die Zusammenarbeit der Menschen, für das Funktionieren jenes großen Organismus, den man schlechthin als „Öffentlichkeit“ beschreibt, von überragender Bedeutung sind. Das schon erwähnte Beispiel des Transportmittels ist nur eines von vielen. Der Straßenraum und das Straßenbild ist ein anderes — sei es nun die Gestaltung öffentlicher Einrichtungen wie etwa Telephonzellen, sei es nun die Beschriftung von Straßentafeln oder die Lesbarkeit von Verkehrszeichen, sie alle beeinflussen, oft unbewußt, das Leben jedes einzelnen. Ähnlich ist es bei allen gesundheitsfördernden und gesundheitserhaltenden Einrichtungen — denken wir nur an die Ausrüstung von Spitälern — und deren Auswirkung auf die Volksgesundheit. Nicht zuletzt ist das Thema „Erziehung“ keineswegs auf Ausbildungsmaßnahmen und den Unterricht in Schulen beschränkt. Erziehung im weiteren Sinne heißt Formung des jungen Menschen, und hier wieder wirkt sich von früh auf die gesamte Gestaltung der Umwelt jedes Detail der Hilfsmittel, die im Unterricht gebraucht werden, und das Funktionieren aller dieser Hilfsmittel entscheidend aus.

Der Kongreß wird vom österreichischen Institut für Formgebung organisiert. Das Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft Wien hat in Erkenntnis der Bedeutung dieses Kongresses die Räume am Währinger Gürtel zur Verfügung gestellt. Der Bau und die Anlage des Wirt-schaftsförderungsinstitutes sind selbst ein Beispiel zum Thema Erziehung, und Prof.

Dr. Schwanzer kann als Architekt an Ort und Stelle den Kongreßteilnehmern die Details dieser Planung darlegen. Der Kongreßablauf umfaßt einerseits Einleitungsvorträge zu den einzelnen Aspekten, die simultan in die Kongreßsprachen Deutsch, Englisch und Französisch übersetzt werden. Dann aber verteilen sich die Teilnehmer auf einzelne einsprachige Diskussionsgruppen, die eine lebhaftere Beteiligung ermöglichen, und am folgenden Tag werden die Ergebnisse dieser Gruppendiskussionen in einer Gemeinschaftssitzung zusammengefaßt. Als Diskussionsleiter für die Gesamtsitzungen fungieren Prof. Misha Black (England) und Richard Latham (USA). Eine besondere Sitzung wird der Ausbildung des Designers gewidmet werden, hier berichtet der Rektor der Hochschule für Gestaltung in Ulm, Tomas Maldonado (Diskussionsleiter Gino Valle, Italien). Von den Einleitungsvorträgen seien neben dem erwähnten Bericht von Prof. Dr. Schwanzer ein Vortrag von Bruce Archer vom Royal College of Art (London) über den Entwurf eines Spitalbettes im Auftrag des britischen Gesundheitsministeriums sowie ein Bericht von J. Soltan (Polen) über das Projekt einer Untergrundbahnstation für Warschau genannt, Ausstellungen

Am 21. September 1965 wird im österreichischen Zentrum Produktform — auf das wir noch zurückkommen — eine internationale Ausstellung eröffnet, die die Kongreßthemen bzw. die einzelnen Aspekte durch Beispiele aus der internationalen Praxis illustriert.

Diese Ausstellung ist auf dem Gelände des Palais Liechtenstein in einer von Arch. Dipl.-Ing. Auböck neu errichteten Halle untergebracht und wird auch von Arch. Auböck gestaltet. Die meisten der Teilnehmerstaaten des Kongresses haben Exponate oder wenigstens Photos geschickt. Der Bogen der Themen ist weit gespannt: Möbelsysteme für öffentliche und kulturelle Einrichtungen sind ebenso vertreten wie Meßinstrumente, Demonstrationshilfen für den Unterricht, medizinische Ausrüstung für Reihenuntersuchungen, sogar das Farbschema eines Gefängnisses, aber auch Transportsysteme für Spitäler, Signaleinrichtungen für Verkehrsmittel, Beschriftungen oder Telephonzellen.

Die Ausstellung ist nicht nach Teilnehmerstaaten gruppiert, sondern nach Themen, so daß unter Umständen Vergleiche zwischen verschiedenen Lösungsversuchen gezogen werden können. Es geht ja in erster Linie nicht darum, schon erreichte Idealzustände vorzuführen, sondern Lösungsversuche zu Problemen zu zeigen, die für die Öffentlichkeit von Bedeutung sind und neue Wege zur

Behandlung dieser wichtigen Fragen aufzuschließen.

Am 23. September 1965 wird im neuen Gebäude der Akademie für Angewandte Kunst eine weitere Ausstellung von Schülerarbeiten der Abteilung für Industrial Design an der Akademie eröffnet. Unter Leitung von Prof. Franz Hoffmann haben die Studenten der Abteilung die Schau selbst zusammengestellt und aufgebaut. Ein Einführungsteil zeigt die Wandlung der Produktionsmethoden im Laufe von Jahrhunderten auf. Die Exponate selbst sind durchwegs Studentenarbeiten, die ohne den Zwang der praktischen Einengungen optimale Lösungen präsentieren. So wird unter anderem eine Neugestaltung des Führerstandes für die neuen Transalpinzüge gezeigt oder Gehstützen für Beinbehinderte sowie ein Installationselement für Krankenzimmer.

Das Osterreichische Zentrum Produktform

Die bereits erwähnte Halle, in der die internationale ICSID-Ausstellung untergebracht ist, wird in Zukunft das österreichische Zentrum Produktform beherbergen. Unmittelbar nach dem Abschluß der internationalen Ausstellung wird ab 15. Oktober 1965 eine ständige Schau gut gestalteter Qualitätsprodukte österreichischer Erzeugung zu sehen sein. Nach dem Vorbild ähnlicher Einrichtungen im Ausland, vor allem des seit zehn Jahren mit größtem Erfolg bestehenden Design Centre in London, soll hier eine zentrale Stelle geschaffen werden, die jederzeit einen Uberblick über die Qualitätsproduktion unseres Landes unter dem besonderen Blickwinkel der guten Form bietet. Damit ist nicht nur ein Reservoir für die Beschickung von Auslandsausstellungen und ein Schaufenster für den ausländischen Besucher geschaffen, sondern auch eine Informationsquelle für den Käufer im kleinen und im großen aus Österreich selbst und, wie die Initiatoren hoffen, ein ständiger Anreiz für die Wirtschaft, die Bemühungen um gute Form zu vervielfachen.

Das österreichische Zentrum Produktform wird vom österreichischen Institut für Formgebung und vom österreichischen Bauzentrum gemeinsam betrieben. Das österreichische Bauzentrum hat die organisatorische Arbeit übernommen, das österreichische Institut für Formgebung wird die grundsätzliche und fachliche Planung besorgen. Die Basis dieser Einrichtung ist eine umfassende Produktkartei, die einen breiten Überblick über das Qualitätsangebot der österreichischen Wirtschaft auf allen Sparten der Produktion bietet Die Kartei besteht aus einzelnen Blättern, die jeweils ein Photo des betreffenden Gegenstandes mit allen wichtigen und notwendigen Angaben zeigen. Diese Kartei kann auch kopiert und vervielfältigt werden und wird interessierten Personen und Institutionen im Abonnement zur Verfügung gestellt, wird aber auch etwa an die Außenhandelsstellen und ähnliche Einrichtungen verschickt. Aus dem Reservoir dieser Produktkartei wählt eine Jury unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau jeweils die besten Produkte aus, die dann in der Ausstellung gezeigt werden. Die Ausstellung soll zweimal im Jahr umgebaut und mit neuen Produkten beschickt werden.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß bereits jetzt der Widerhall in den Kreisen der Wirtschaft außerordentlich groß ist und lebhaftes Interesse an der neu geschaffenen Institution besteht. Ebenso erfreulich ist die bedeutende Förderung, die sowohl dem österreichischen Zentrum Produktform als auch der Kongreßveranstaltung und der internationalen Ausstellung seitens der österreichischen Behörden und Wirtschaftsorganisationen, vor allem des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau und der Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft, zuteil wurde.

Auslagenaktion

Um in dieser Woche, die so sehr im Zeichen des Design steht, dem Straßenbild einen besonderen Akzent zu verleihen, wurde vom österreichischen Institut für Formgebung eine Auslagenaktion angeregt, deren Durchführung das Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft Wien übernommen hat. In den Auslagen der wichtigsten Geschäftsstraßen sind Steher zu sehen, die auf die Kongreßveranstaltungen und Ausstellungen hinweisen, die aber vor allem mit dem Slogan „Form wirbt für Qualität“ ganz bewußt die werbliche Wirkung in den Vordergrund stellen. Die Geschäftsinhaber wurden aufgefordert, besonderes Gewicht auf die Gestaltung der Auslagen in dieser Zeit zu legen und darüber hinaus durch die Auswahl der gezeigten Dinge dem Schlagwort der Qualität und der. Form in der Praxis gerecht zu werden. Die roten säulenförmigen Auslagensteher tragen das Symbol des internationalen Kongresses, das auch auf den Drucksachen und Programmen und ganz groß am Tagungsort zu sehen ist: Es ist eine stilisierte Musiknote, die mit der Anspielung auf die Musikstadt Wien eine Brücke zum Kongreßthema schlägt; ist doch die Notensprache ein international verständliches graphisches Kommunikationsmittel, das im äußeren Bild sowie im dargestellten Inhalt wie kaum ein anderes geeignet ist, ein Symbol für Harmonie und Ordnung zu sein, um damit noch einmal die Grundelemente des Design in konzentrierter Form zum Ausdruck zu bringen.

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