6691216-1962_39_03.jpg
Digital In Arbeit

IAEO am Wendepunkt

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Annahmen, in deren Zeichen die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) gegründet worden ist, haben sich zumindest teilweise als irrtümlich erwiesen.

Die erste hat dfarin bestanden, daß man geglaubt hat, es gäbe weniger Uran — das wichtigste Rohmaterial für die Erzeugung von Atomenergie — auf der Welt, als man alsbald tatsächlich zu finden imstande war. Dies .vurde durch die Entwicklung moderner Aus-forschungsmittel und -methoden ermöglicht. Der IAEO war aber ursprünglich vor allem die Aufgabe zugedacht gewesen, das spärlich vorhandene Rohmaterial zusammenzufassen, zu rationieren und gerecht unter den Staaten zu verteilen. In der Folge erwies sich jedoch die Rationierung als unnötig; jene Staaten, die Uran brauchen, können es verhältnismäßig leicht von den Auffindungsländern kaufen. Die bei der Gründung der IAEO festgelegten Kontrollbestimmungen über die Verwendung von geliefertem Uran für friedliche Zwecke (an die sich, wie man nun weiß, die Großmächte nicht halten, weil auf ihren oder den von ihnen beherrschten Territorien Uran vorkommt) werden zumeist gleichfalls auf bilateralem Wege, das heißt durch den Lieferstaat im belieferten Land, durchgeführt. Da Lieferant und Käufer zumeist — allerdings nicht immer — im gleichen oder verwandten weltpolitischen Lager stehen, ist die Durchführung der Kontrolle wenig problematisch. Ob sie jedoch tatsächlich im Sinne der internationalen Bestimmungen der IAEO durchgeführt wird, hängt erstens vom Interesse des Lieferstaates ab, zweitens davon, wie sehr sich der. Abnehmer die Kontrolle gefallen lassen will und muß.

Des weiteren ist bei der Gründung der IAEO vielfach angenommen worden, daß die Vorkommen und Reserven an herkömmlichem Brennmaterial für die Energieerzeugung — Kohle und Mineralöl — infolge der Ausdehnung der Wirtschaft auf der ganzen Welt in absehbarer Zeit aufgebraucht sein werden. Auch diese Annahme hat sich als irrtümlich erwiesen. Hierzu kommt, daß die Errichtung von Atomkraftwerken — vorläufig zumindest — bedeutend teurer kommt als der Bau von herkömmlichen Kraftwerken. Es gibt derzeit bereits 30 Atomkraftwerke auf der Welt (eingerechnet die durch Atomkraft getriebene Schiffe, „US-Savannah“ und „UdSSR-Eisbrecher Lenin“, nicht aber weiß Gott wie viele andere Atomkriegsschiffe). Einige Eibauerstaaten haben der IAEO die Daten über die Bau- und Betriebskosten und über die Ergiebigkeit zur Verfügung gestellt. Mit dieser Seite der Atomenergieentwicklung beginnt man erst in letzter Zeit sich stärker i.u befassen. Im Betrieb dürften Kosten und Ergiebigkeit der Stromerzeugung durch Kernspaltung jener durch herkömmliche Mittel ungefähr gleichkommen.und technischem Personal und Ausrüstungen aller Art ist alles Geleistete rut Stückwerk, wenn die Erforder-, nisse nicht in einem die ganze Welt umfassenden langfristigen Programm mit Einbeziehung der personellen, technischen und materiellen Ressourcen der entwickelten Länder geplant und angegangen werden. Zu solcher langfristiger Planung braucht die IAEO eine ganz andere Art von Budgetierung als bisher. Der Etat der Organisation wird derzeit — von geringen länger 'laufenden Fonds abgesehen — für die Dauer eines Jahres erstellt und von den Mitgliedstaaten bewilligt und finanziert. Und unter diesen befindet sich immer eine Reihe von Ländern im Verzug mit ihren Zahlungen. Wenn die zivilisatorische Entwicklung in den zurückgebliebeuien Ländern mit Hilfe der Atomenergie und ihrer verwandten Gebiete und Anwendungen vorgetrieben werden soll — und das ist mit verhältnismäßig geringen Mitteln durchaus möglich —, dann geht es nur auf der Grundlage einer allumfassenden, langfristigen Planung.

Der Ausgangspunkt des Hauptproblems der IAEO liegt in der Unlogik aller Machtpolitik.. Es begann damit, daß die Großmächte Atombomben erzeugt haben und noch immer erzeugen. Dann fingen die anderen Länder an zu fragen: Und was ist mit uns und der Atomenergie? Man konzedierte ihnen deren Verwendung für friedliche Zwecke und gründete die IAEO, die ihnen dabei helfen und aufpassen sollte, daß die friedlichen Zwecke eingehalten würden. Im Statut der IAEO, Artikel II, heißt es: „Ziel der Organisation ist es, in der ganzen Welt dien Beitrag der Atomenergie zum Frieden, zur Gesundheit und zum Wohlstand zu beschleunigen und zu steigern. Die Organisation sorgt im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür, daß die von ihr oder auf ihr Ersuchen oder unter ihrer Überwachung oder Kontrolle geleistete Hilfe nicht zur Förderung militärischer Zwecke benutzt wird.“

So weit, so gut. Der Artikel IV, Absatz C, kam jedoch mit der Unlogik der Machtpolitik in Konflikt.' In ihm heißt es nämlich: „Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder; jedes Mitglied hat in gutem Glauben den Verpflichtungen nachzukommen,-die es gemäß dieser Satzung übernommen hat, um allen Mitgliedern die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Vorteile zu sichern.“

Die Unlogik bestand natürlich darin, daß die Großmächte der IAEO beitraten, welche sich die Förderung ausschließlich friedlicher Verwendung der

Atomenergie zum Ziele setzte, obwohl die Großmächte ohne Hilfe der IAEO weiter Atombomben erzeugten und aufspeicherten. Als Mitglieder der IAEO verwendeten sie Atomenergie friedlich, als Staaten verwendeten sie die Atomenergie souverän militärisch. So daß andere Staaten^ die gleichfalls Großmächte bleiben oder werden wollten, ebenso auf ihre Souveränität zu pochen begannen. Frankreich baute sich aus mehr oder weniger eigener Kraft einen genügend großen Atommeiler zum Ausbrüten von Atombomben. Über das kommunistische China kursieren immer wieder Nachrichten, daß es davorstehe, eine selbstfabrizierte A-Bombe' auszuprobieren. Wenn dem so ist, dann ist ihm das nicht ohne Hilfe einer der IAEO angehörenden Großmacht gelungen. (Das kommunistische China gehört bekanntlich weder der IAEO noch der UNO an.)

Und nun wandte sich vor einiger Zeit Indien an die USA, sie mögen ihm einen Atomreaktor in der Stärke von 300 Megawatt (300 Millionen Watt) für ein Kraftwerk bei Bombay bauen. Mit Hilfe eines starken Reaktors können auch Kernwaffen hergestellt werden. Freilich hat Indien in der Vergangenheit wiederholt und feierlich erklärt, keine-Kernwaffen erzeugen zu wollen. (Dieses Versprechen dürfte eine rotchiiinesische Atombombe kaum überleben, erklären verschiedene indische Kreise.) Anderseits hat sich Indien bei der Gründung der IAEO hartnäckig der Festsetzung der Artikel II und III (über das Recht der Organisation, friedlich intendierte Einrichtungen und Rohstoffe für Atomenergie hinsichtlich möglichen Mißbrauchs für militärische Zwecke zu kontrollieren) widersetzt. Indien hat damals und auch bei späteren Gelegenheiten erklärt, daß durch eine solche Kontrolle jene Länder diskriminiert würden, die — zum Unterschied von den Großmächten — auf fremde Hilfe zum Aufbau einer Atomenergieproduktion angewiesen sind. Die betreffenden Artikel wurden nur mit einfacher Mehrheit beschlossen und konnten in der Praxis nur in zwei Fällen — bei der Lieferung von Versuchsreaktoren an Jugoslawien und Pakistan und bei Uranlieferungen an sechs andere Länder — verwirklicht werden. Ein Großteil der heute auf der Welt bestehenden 200 Versuchsreaktoren wurde — sofern sie in „abhängigen“ Ländern errichtet wurden — auf Grund bilateraler Abmachungen mit dem. Lieferland aufgestellt und ohne daß der IAEO. hierbei eine Kontrollfunktion eingeräumt worden wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung