Atom-Siegelbewahrer auf Chefsuche

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Diese Woche beginnt die Wahl um die Nachfolge von Mohammed ElBaradei. Sein Nachfolger übernimmt eine der schwierigsten Aufgaben der Welt: Die Menschheit vor atomaren Katastrophen jeder Art zu beschützen. Rund 180 IAEO-Inspektoren unterstützen ihn von Wien aus dabei.

Rodriguez arbeitet seit 1987 bei der IAEO. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat das Leben der Philippinerin verändert, ihren Arbeitsweg zur Atomenergiebehörde geführt. Ganz einfach deshalb, weil die Philippinen nach Tschernobyl den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen haben. Die Atomingenieurin musste sich woanders einen Arbeitsplatz suchen.

Gerangel um ElBaradei-Nachfolge

22 Jahre IAEO in Wien haben sich aus dieser erzwungenen Arbeitsmigration bereits ergeben; zuerst als Inspektorin, mittlerweile als "Senior Training Officer"; unter zwei Generaldirektoren hat Rodriguez ihren Dienst versehen: dem Schweden Hans Blix und dem Ägypter Mohammed ElBaradei. Ende dieser Woche beginnen die 35 Länder im Gouverneursrat des IAEO mit dem Wahlprozess für die Nachfolge ElBaradei. Nach drei vierjährigen Amtsperioden verzichtet der 66-Jährige auf eine weitere Kandidatur.

Als seine Nachfolger stehen Japans UN-Botschafter in Wien, der Abrüstungsspezialist Yukiya Amano und der Abrüstungs-Diplomat Abdul Samad Minty aus Südafrika zur Wahl. Es heißt, mit keinem der beiden sei man wirklich zufrieden. Dem Japaner wird vorgehalten, er vertrete die Positionen der großen Nuklearmächte, der Südafrikaner wiederum soll zu sehr die Interessen der Entwicklungsländer im Blick haben. Bringt keiner eine Zwei-Drittel-Mehrheit zusammen, könnten neue Kandidaten kommen. Spätestens bei der IAEO-Generalversammlung mit Vertretern der 146 Mitgliedsländer im September muss der Posten vergeben sein. Hans Blix wurde einst erst einen Tag davor gewählt.

Rodriguez ist eine der wenigen Frauen im rund 280 Köpfe zählenden IAEO-Inspektorenteam. Als Frau in diesem Beruf hat man auch Vorteile, sagt sie. Frauen gehen mehr ins Detail, ist ihre Erfahrung, entdecken dadurch Dinge, die Männern verborgen bleiben. Frauen werden aber noch mehr als ihre männlichen Kollegen getestet. Denn nicht nur die IAEO-Inspektoren haben die Lizenz zum Prüfen. Auch die Techniker in den Atom- anlagen schauen sich ihre Prüfer genau an, testen, ob diese von der Sache wirklich etwas verstehen.

Zuerst vertrauen, dann überprüfen

"Wir haben die Besten", ist Jean-Maurice Crété von der fachlichen Qualifikation der IAEO-Inspektoren überzeugt. Der Franzose leitet die Ausbildungsabteilung für Atom-Inspektoren in Wien. Drei Monate werden die Inspektoren-Anwärter theoretisch geschult. Mindestens fünf Jahre müssen sie vorher schon im Nuklearbereich tätig gewesen sein. Und nach der Theorie erhalten sie noch wochenlanges Praxistraining. Damit sie dorthin kommen, wo Crété sie haben will, sodass er mit dem Brustton der Überzeugung sagen kann: "Es ist nicht leicht, uns zu täuschen."

IAEO-Inspektoren sind Aufpasser. Sie kontrollieren, ob die Mitgliedsländer sorgfältig mit ihrem nuklearen Material umgehen, ob ihre Meldungen an die Atomenergiebehörde stimmen. "Trust but verify", nennt das der Franzose Crété, "überprüftes Vertrauen" könnte die deutsche Übersetzung dafür lauten, oder man hält sich an Lenins Ratschlag, dem die Regel zugesprochen wird: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!"

Das Kontroll-Prinzip der IAEO gleicht der Rolle des Finanzministeriums bei einer Steuererklärung. Der Staat sowie die Atomenergiebehörde gehen nicht davon aus, dass sie betrogen werden - aber nachschauen schadet nicht. Wegen finanzieller Anreize brauche übrigens niemand einen Job als Atom-Inspektor anstreben, sagt Crété. Die Privatwirtschaft zahle im Vergleich zur IAEO wesentlich besser. Warum findet sich dann trotzdem jedes Jahr ein gutes Dutzend Neuanwärter für diesen Job? "Weil sie stolz darauf sind, Inspektoren zu sein", sagt der Ausbildungsleiter - und da ist er wieder, dieser Brustton der Überzeugung. "Und weil sie an das glauben, was sie tun."

Die Welt sicherer machen

"Wir sind ein Teil des Ganzen", sagt Dieter Zahradnik. Und Aufgabe des Ganzen ist es, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen. Der Österreicher Zahradnik ist nach fünf Jahren Arbeit in der IAEO-Außenstelle Tokio gerade wieder nach Wien zurückgekommen. Japan betreibt 54 Atomkraftwerke und viele Forschungsreaktoren. Das Land neben Kanada und Deutschland mit dem größten Inspektionsaufwand für die Atomenergiebehörde. Deswegen rechnet sich auch eine IAEO-Filiale vor Ort. Denn entgegen der öffentlichen Wahrnehmung machen nicht "atomare Sorgenstaaten" wie Iran oder Nordkorea die meiste Arbeit, sondern die "normalen" IAEO-Mitglieder mit großen Atom-Kapazitäten.

Eine von Zahradniks Hauptaufgaben in Japan war das Anbringen und Lösen von Siegeln an Nuklearanlagen: Eine Atomanlage meldet zum Beispiel, nukleares Brennmaterial soll entfernt bzw. nachgefüllt werden. Der Inspektor kommt in die Anlage, entfernt die Siegel, schaut, dass alles rechtmäßig vonstatten geht und schließt anschließend mit einem neuen Siegel wieder ab. "Moderne Siegelbewahrer" könnte man Zahradnik und seine Kollegen nennen; in ihrer Bedeutung noch wichtiger als ihre historischen Vorgänger.

Die heutigen Atom-Siegel sind mit allen technischen Raffinessen ausgestattet. Zahradnik ist zudem ein Spezialist für Überwachungskameras. Denn auch wenn kein Inspektor vor Ort ist, die IAEO schaut immer zu. Neben dem technischen Fachwissen legt Inspektor Zahradnik so wie seine Kollegen Rodriguez und Crété aber großen Wert auf die sogenannten "soft skills", die erst einen wirklich guten Inspektor ausmachen: neugierig, achtsam, mit offenen Augen durch die Welt gehen, dabei immer sehr höflich und geduldig im Umgang mit anderen Kulturen, aber trotzdem bohrend, hartnäckig und nie das Ziel aus den Augen verlierend.

Zusammengefasst soll also ein jeder IAEO-Inspektor das sein, was die Welt von einem IAEO-Generaldirektor erwartet: ein Atom-Wunderwuzzi. Oder, wie es Inspektor Zahradnik formuliert: "Wir müssen jeden Tag eine diplomatische Doktorarbeit ablegen!"

Perpetua Rodriguez weiß genau, was sie sich von einem neuen Chef oder einer neuen Chefin erwartet. Ein Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) soll seinen Leuten den Rücken stärken, sagt die IAEO-Inspektorin. Und er muss fachlich mit der Thematik so beschlagen sein, dass er die Entscheidungen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erklären und gegen Widerstand verteidigen kann. Und mit Widerstand in jeder Form ist die IAEO, sind die Inspektoren der Atomenergiebehörde immer wieder konfrontiert.

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