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Iraks Atomindustrie im Visier

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„Wir haben jetzt ein gutes Bild, daß die Irakis in sechs bis achtzehn Monaten die Fähigkeit gehabt hätten, Uran selber auf industrieller Basis anzureichern, wäre der Konflikt nicht dazwischen gekommen", faßt David Kidd das Ergebnis der vierten Irak-Mission der internationalen Atomenergiebehörde IAEO zusammen. In ein bis zwei Jahren hätte der Irak Atomwaffen bauen können.

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„Wir haben jetzt ein gutes Bild, daß die Irakis in sechs bis achtzehn Monaten die Fähigkeit gehabt hätten, Uran selber auf industrieller Basis anzureichern, wäre der Konflikt nicht dazwischen gekommen", faßt David Kidd das Ergebnis der vierten Irak-Mission der internationalen Atomenergiebehörde IAEO zusammen. In ein bis zwei Jahren hätte der Irak Atomwaffen bauen können.

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Dazu allerdings David Kidd: „Wir haben bis jetzt überhaupt keinen Beweis, daß der Irak das für Waffenzwecke benützen wollte. Die Irakis sagen, daß sie nur Versuche machten, um eines Tages vielleicht Anlagen zu bauen, um Strom zu erzeugen. Das scheint uns nicht sehr glaubhaft, weil sie mehr Strom gebraucht hätten, als sie je mit Atomanlagen erzeugen hätten können." Das irakische Atomprogramm läuft seit mindesten 1983. Nach IAEO-Schätzungen wurden vier bis acht Milliarden Dollar investiert, zuviel, daß nur zivile Nutzung der einzige Zweck gewesen wäre.

Die Iraker haben gleich alle drei wichtigsten Verfahrensgruppen zur Urananreicherung ausprobiert:

- Am weitesten fortgeschritten war die Urananreicherung nach dem veralteten elektromagnetischen Verfahren mit dem sogenannten „Bagda-tron". Diese Erkenntnis ist überraschend, wurde doch vermutet, daß der Irak sich auf das moderne Zentrifugenverfahren stütze. Standort der von Irak selbst entwickelten und gebauten Anlagen war Al-Tarmiya. Dort wurde eine große Halle vorgefunden, die für 70 solcher Anlagen geplant war. Ash Sharkat war, entsprechend der irakischen Gepflogenheit, strategisch wichtige Anlägen an zwei Orten zu errichten, möglicherweise als Alternativstandort geplant. Drei Kilogramm auf vier Prozent angereichertes Uran wurden der IAEO offengelegt. Für eine Atombombe sind mindestens acht Kilogramm hochangereichertes Uran nötig.

- Das moderne Gaszentrifugenverfahren steckte noch in der Entwicklung. Die Zentrifugenfabrik in Al-Farat konnte erst von der vierten Mission untersucht werden. Die Iraker behaupteten, erst vier solcher Anlagen getestet zu haben. Für eine größere Produktion braucht man 100 bis 1.000Zentrifugen. 1.250Teilstük-ke von Zentrifugen waren nach dem Krieg über das Land zerstreut worden, um sie den Untersuchungen zu entziehen. Teile dieser Anlagen, zum Beispiel Magnete, stammten jedenfalls aus dem Ausland.

- Versuche im Atomforschungszentrum Al-Tuwaitha, mit chemischen Verfahren Uran anzureichern, hatten Laborcharakter, da nur wenig Material zu einem hohen Preis angereichert wurde.

Ebenfalls in Al-Tuwaitha erzeugten die Iraker Plutonium, allerdings in so geringen Mengen, daß sie 20 bis 80 Jahre gebraucht hätten, um damit eine Bombe bauen zu können. Die Atombehörde stellte bloß drei und 2,6 Gramm Plutonium sicher. Das Plutonium wurde aus im Irak selbst abgebauten und in Ash Sharkat und Mosul verarbeiteten Uran gewonnen. So konnte die jährliche Kontrolle der internationalen Atombehörde, die nur zum Atomforschungszentrum Al-Tuwaitha Zugang hatte, eine Übereinstimmung zwischen importiertem und vorhandenem Kernmaterial feststellen.

Die Untersuchungen gestalteten sich schwierig, denn, so Kidd, „wir entdecken jedesmal etwas anderes, wenn wir in den Irak fahren". Das Militär habe nach dem Krieg den Befehl bekommen, wichtige Anlagenteile über das Land zu verstreuen und in der Wüste zu vergraben, unwichtigere wurden gesprengt, in AI Farath betonierten die Iraker Fabrikseinrichtungen zu, sogar die Kanalisation und die Stromversorgung.

„Die Amerikaner haben nicht gewußt, was im Lande los ist", kennzeichnet Kidd das dürftige Wissen über den abgeschotteten Irak. Die Atomanlagen in Al-Tarmiya standen nur auf einer zweiten Liste möglicher Angriffsziele und seien von einem amerikanischen Bomber deshalb angegriffen worden, weil er am Heimflug noch zwei Raketen übrig hatte und gerade dort vorbeikam. Die Anlagen in Al-Faat blieben überhaupt unbeachtet und unbeschädigt.

Noch im Dunkeln liegt die genaue Ausrichtung des Programms. „Politisch war die Entscheidung noch nicht getroffen, wie man in Bagdad sagt." Der mittlere technische Kader sei „sehr begabt, fleißig und erfindungsreich". Das technische Niveau sei imponierend, bei dem umfangreichen, gleich auf vier Strängen bauenden Programm stellt sich für Kidd die Frage: „Gab es einen Iraker oder Ausländer, der die große Vision hatte?" Die zentrale Führung und Organisation der Projekte bleibt unklar. Die IAEO-Detektive finden keinerlei Dokumente vor, stattdessen meist leere Fabrikshallen.

Die internationale Atombehörde hat noch viel zu tun. Auf ihrer fünften Mission im kommenden September will sie vor allem auch den Anteil ausländischer Zulieferer klären. Das von der Sowjetunion und Frankreich für die von ihnen erbauten beiden kleineren Atomreaktoren in Al-Tuwaitha soll nach England beziehungsweise Frankreich gebracht werden und auf 20 Prozent verdünnt werden. Ein Drittel des Urans im sowjetischen Reaktor, der von den USA zerstört wurde, ist noch in den Reaktortrüm-mern, erhöhte Strahlung gebe es keine. Für die 20 Millionen Dollar Entsorgungskosten sei die Finanzierung jedoch noch nicht geklärt.

Als Konsequenzen stellen sich IAEO-Mitarbeiter drei Wünsche vor, die bei der Mitgliederversammlung im September diskutiert werden sollen:

- Die IAEO möchte Informationen von den Supermächten beziehungsweise deren Geheimdiensten bekommen. Im Irak-Konflikt sei dies das erste Mal der Fall gewesen. Die UNO könne keine eigenen Satelliten zur Kontrolle von Staaten mit Atompo-tential unterhalten.

- Inspektionen will die IAEO auf Verdacht hin durchführen können, auch wenn das verdächtigte Land sich weigert.

- Der Weltsicherheitsrat solle seine Unterstützung garantieren, um Inspektionen durchzusetzen.

Von den Großmächten wünscht sich Kidd, daß sie die Ausfuhr von sensibler Technologie strenger überwachen. Dies falle aber nicht in die Aufgaben der IAEO, die nur für das Kernmaterial zuständig ist. Die umfassenden Einsatzmöglichkeiten im Irak verdanke die IAEO dem UNO-Beschluß 687 (Waffenstillstandsbedingungen) und, so Kidd: „Es ist kaum denkbar, daß dies zur Alltagsarbeit wird." Die IAEO hat auch so mit ihren 200 Inspektoren genug zu tun: 914 Anlagen (Atomreaktoren, Aufbereitungsanlagen) sind jährlich zu überprüfen, und dies bei seit sieben Jahren gleichbleibenden Finanzen von 60 Millionen Dollar.

Um das Krisengebiet herum trotzen gleich drei Länder mit Atompotentialen einer Kontrolle durch die IAEO: Israel, Pakisten und Indien. Seit zwei Jahren verhandelt IAEO-Generalse-kretär Hans Blix mit Israel, um dessen Atomanlagen unter Kontrolle zu bringen. Der internationale Trend geht aber in eine andere Richtung: Argentinien, Brasilien, China, Nordkorea und Südafrika sollen dem internationalen Atomsperrvertrag beitreten, der das unkontrollierte Weitergeben von Atommaterial verbietet und Kontrollen des Kemmaterials durch die IAEO vorschreibt.

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