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Atomarsenale in Fernost

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Die potentielle Gefahr einer atomaren Konfrontation wächst auch im Fernen Osten. Dies umso mehr, als die Sowjetunion ihr SS-20-Raketenarsenal in Ostsibirien weiter aufstok-ken könnte: und zwar mit solchen SS-20-Missilen, die sie im Falle einer Einigung bei den INF-Ver-handlungen in Genf aus dem europäischen Bereich abziehen müßte ...

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Die potentielle Gefahr einer atomaren Konfrontation wächst auch im Fernen Osten. Dies umso mehr, als die Sowjetunion ihr SS-20-Raketenarsenal in Ostsibirien weiter aufstok-ken könnte: und zwar mit solchen SS-20-Missilen, die sie im Falle einer Einigung bei den INF-Ver-handlungen in Genf aus dem europäischen Bereich abziehen müßte ...

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Die Arsenale, die einander in Ostasien gegenüberstehen, sind gewaltig. Die UdSSR, die seit dem Bruch mit China in den sechziger Jahren ihre Fernostarmee konstant ausgebaut hat, verfügt heute über eine Pazifikflotte mit über 400 Schiffen, etwa 120 U-Booten und dem Flugzeugträger „Minsk". Unterstützt wird diese Armada durch 70 „Backfire"-Langstreckenbomber und rund 400 andere Kampfflugzeuge. 108 SS-20-Raketen stehen in Ostsibirien bereits in Stellung und zielen vor allem auf die Volksrepublik China.

Die Volksrepublik, die selber über einige hundert Atomraketen verfügt, wäre jedoch einem sowjetischen Präventivschlag hilflos ausgeliefert, da chinesische Mittel- und Langstreckenraketen im Norden des Landes konzentriert und die Frühwarnanlagen veraltet sind.

Da es in dieser Weltregion kein Verteidigungsbündnis wie das der NATO-Staaten in Europa gibt, müßten sich viele der ostasiatischen Länder (außer China) im Ernstfall hauptsächlich auf die Hilfe der Vereinigten Staaten stützen. Die USA jedoch können gegenwärtig der sowjetischen Machtkonzentration im Fernen Osten nichts Gleichwertiges entgegensetzen.

Die 7. US-Flotte, die in Japan und in den Philippinen über Stützpunkte verfügt, muß einen gewaltigen Radius bewachen, der vom Indischen Ozean bis hin zu den von den Sowjets besetzten Kurilen-Inseln im Norden Japans reicht.

Mehr noch als in Europa wären die USA und ihre Verbündeten in Asien — Japan, Südkorea, Philippinen — auf atomare Waffen angewiesen, sollte die Sowjetunion versuchen, mit ihrer Pazifikflotte die wichtigen Handelswege auf See zu blockieren. Da es aber keine bodengestützten US-Raketen in der Region gibt, müssen sich die Amerikaner auf die von U-Booten und Bombern abgefeuerten Marschflugkörper (Cruise Missiles) sowie U-Boot-Raketen stützen. Denn der Stationierung amerikanischer Atomraketen auf den Territorien der Verbündeten stehen viele Hindernisse im Weg.

Japan, das strategisch am günstigsten liegt, verbietet verfassungsmäßig die Produktion, Lagerung und Einfuhr von Kernwaffen. Es ist sicher, daß Tokio in naher Zukunft nicht gewillt sein wird, dieses Tabu zu brechen — nicht zuletzt darum, weil die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki nach wie vor in der Bevölkerung lebendig ist.

Indes dürften amerikanische Kriegsschiffe und vor allem Flugzeugträger, die regelmäßig die Häfen Yokosuka in der Nähe von Tokio und Sasebo in Südjapan anlaufen, sehr wohl Atomwaffen an Bord haben. Washington hat sich darauf festgelegt, die Präsenz von Atomwaffen auf amerikanischen Schiffen in Japan weder zu bestätigen noch zu leugnen. Offiziell werden auch auf Stützpunkten in Japan und den Philippinen keinerlei atomare Sprengkörper gelagert. Doch ist es schwer, dies unter Beweis zu stellen, da sich diese Stützpunkte jeglicher Kontrolle durch die Gastländer entziehen.

Daß diese Handhabung des Problems auf die Dauer nicht beruhigend sein kann, beweisen einfache Zahlen: Die 7. US-Flotte verfügt über nicht weniger als 1500 atomare Sprengköpfe, und Flugzeugträger wie die „Midway" und die „Enterprise" führen stets 100 solcher Ladungen mit sich.

So hat der sowjetische Außenminister Gromyko denn auch erklärt, daß es in Japan und in den Gewässern rundherum nur so von Atomwaffen wimmle. Tokio protestierte und verwies auf seine Verfassung. Doch die Sowjets konterten mit Drohungen: Im Ernstfall, so Gromyko, müßte Japan „eine größere Katastrophe mitmachen als Hiroshima und Nagasaki".

Das Bestreben Moskaus ist es, Japan zu „f innlandisieren". Denn gegeben durch die geographische Lage wäre ein atomar bewaffnetes „Land der aufgehenden Sonne" für die UdSSR eine gewaltige Bedrohung.

Washington wiederum unternimmt alles, um diesem Trend entgegenzuarbeiten und setzt Japan nun schon seit einigen Jahren unter Druck, mehr für seine eigene Verteidigung zu unternehmen. So soll Japan im Ernstfall zumindest dazu imstande sein, Seewege bis zu 1000 Seemeilen von den japanischen Küsten entfernt selber zu verteidigen.

Somit befindet sich die Regierung in Tokio zwischen zwei Fronten: Die stark pazifistisch eingestellte Bevölkerung will von Aufrüstung - geschweige denn von Kernwaffen — nichts wissen. Doch die Realität fordert einige Anstrengungen und Umdenken, zumal die sowjetische Bedrohung täglich wächst.

Sollte die Sowjetunion in den nächsten Jahren — wie indirekt angekündigt - die Zahl der bereits 108 stationierten SS-20-Ra-keten in Ostsibirien um etwa 100 Raketen vermehren, so würden um die 600 Sprengköpfe ganz Ostasien bedrohen.

Japan, das unter seinem neuen Premierminister Yasuhiro Naka-sone noch näher an das westliche Lager gerückt ist, dürfte in den kommenden Jahren unweigerlich zum Zentrum der amerikanischen Pazifik-Strategie werden. Ab 1985 werden in Nordjapan, in Misawa, 50 F-16-Kampfflugzeuge stationiert werden, die Atomwaffen mit sich führen können. Damit rücken die Hafenanlagen der UdSSR in Wladiwostok und Petropavlovsk, wo große Teile der sowjetischen Pazifikflotte vor Anker liegen, in den Einsatzbereich westlicher Kampfpiloten.

Die Sowjetunion fühlt sich denn auch von Ost wie auch von West bedroht, was es um so wahrscheinlicher macht, daß SS-20-Raketen, die von Europa abgezogen werden, einfach in Ostsibirien landen. Und da es eine koordinierte, antinukleare Politik der verschiedenen asiatischen Länder nicht gibt, dürfte einem atomaren Rüstungswettlauf in Ostasien nichts im Wege stehen ...

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