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Das Ziel sind Verhandlungen

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Ist derzeit die NATO stärker oder der Warschauer Pakt? Wenn es darauf eine klare Antwort gäbe, könnte man sich viele Probleme damit ersparen. Es gibt sie nicht. Denn einmal kann man nicht Soldaten gegen Soldaten, Panzer gegen Panzer, Raketen gegen Raketen aufrechnen. Das annähernde Gleichgewicht, das derzeit zu bestehen scheint, ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Uber- und Unterlegenheiten der beiden Machtblöcke.

Unbestritten ist, daß der Osten mehr Soldaten in Europa unter Waffen hat als der Westen. Auch mehr Panzer, mehr Flugzeuge und schwerere Landraketen. Unbestritten ist aber auch, daß die Raketen des Westens zahlreicher und ihre Spreng

köpfe treffsicherer sind. Dafür reichen sie derzeit nichtso weit wie ihre östlichen Gegenstücke.

Auch diese Rechnung stimmt freilich wieder nur, wenn man die 400 amerikanischen Poseidon-Raketen nicht mitzählt, die NATO-Untersee- booten zugeteilt sind. Bei künftigen Verhandlungen mit Moskau kann sich der Westen diese nicht neuerlich anrechnen lassen, weil sie ja beim SALT-II-Abkommen schon mitgezählt worden sind. Bei Beurteilung der Balance in Europa müssen sie aber eingerechnet werden.

Was derzeit zwischen NATO und Warschauer Pakt zur Diskussion steht, ist, vereinfacht gesagt, die folgende Gegenüberstellung: Gegen „Backfire“-Bomber und Mittelstrek- kenraketen SS-20 sollen auf NATO- Seite 108 amerikanische Pershing- II-Raketen und 464 sogenannte Marschflugkörper in Stellung gebracht werden.

Die Sowjets haben Tod und Teufel in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern. Sogar ein freiwilliger einseitiger Abzug von 20.000 Mann Sowjetsoldaten und 1000 (alten) Russentanks aus der DDR wurde eingeleitet, um die NATO zu ködern.

Moskau weiß natürlich genau, daß es auch im Westen Bedenken gibt.

Hauptgrund gegen eine weitere Aufrüstung ist der Wahnwitz, der in jeder Rüstung steckt. Warum noch mehr Geld in Mordwaffen stecken, wenn jede Seite die andere längst zehn- und hundertfach ausschalten kann?

Der Einwand dagegen ist leider, daß eine große Zahl von Raketen durch Phase I eines Krieges - Schlag und Gegenschlag - vernichtet würde und Sieger bliebe, wer dann noch immer kann. Und zum zweiten eignen sich Raketen halt nicht nur zum Verschießen, sondern auch zum Erpressen. Von einem bestimmten Punkt einer einseitigen Abrüstung an braucht kein Schuß mehr abgefeuert zu werden - da genügt dann die Drohung „Wir werden, wenn “ zur Erreichung jedes politischen Ziels.

Tatsache ist: Einer starken NATO verdanken nicht nur die Staaten Westeuropas, sondern auch die neutralen Länder ihre heutige Lebensform. Deren Aufrechterhaltung ist einen hohen (Geld)preis wert.

Sodann gibt es gegen die Modernisierung der NATO-Waffen auch das Argument, daß die USA immer über den Vorsprung der Sowjets bei landgestützten Großraketen wußten. Bewußt und gewollt gingen die USA in ihrer Raketenrüstung den „Weg ins Meer“: seegestützte Raketen, aus mobilen U-Booten abgefeuert, sind mindestens äo nützlich wie fahrbare Landraketen und eine geringere Gefahr für die Zivilbevölkerung, weil Feindraketen sie im Meer und nicht in Stadtnahe suchen müssen.

Warum also verstärkt die NATO ihr Atompotenial nicht lieber zur See als auf dem Land, wo kein Staat Freude damit hat? Das Zögern der NATO- Staaten Holland, Dänemark, Norwegen und Belgien ist auch in diesem Licht zu sehen. Und aus wirtschaftlichen Gründen sind natürlich alle NATO-Staaten eher an einer Ab- als an einer weiteren Aufrüstung interessiert.

So reduziert sich das Dilemma der NATO stark auf eine taktische Frage: Gewinnen wir die Sowjets für eine Verringerung ihrer SS-20-Raketen durch einen raschen oder durch einen demonstrativ hinausgezögerten Umrüstungsbeschluß? Die Anhänger der ersten Richtung haben mit der überzeugenden Durchsetzung des westdeutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag eine wichtige Vorentscheidung gewonnen. Voraussichtlich wird der Schmidt-Schwung ausreichen, die kleinen Zweifler mitzuziehen.

Auch für den Fall einer prinzipiellen NATO-Entscheidung zugunsten der Umrüstung ist mit der gleichzeitigen Präsentation eines umfassenden Verhandlungsangebotes an den Warschauer Pakt zu rechnen. Das Kernstück des Angebots wird lauten: Wenn ihr den SS-20-Ausbau stoppt und möglichst reduziert, werden wir die Umrüstung auf Pershing II und Marschflugkörper nur teilweise oder vielleicht gar nicht ausführen.

Die Durchführung der NATO-Be- schlüsse würde nämlich ohnehin vier Jahre dauern. Das ist Zeit genug für Verhandlungen. Ist Moskau dazu bereit, kann es noch immer verhindern, was ihm offenkundig große Sorgen macht. Verweigert es solche Verhandlungen, muß es sich den Verdacht gefallen lassen, den Abzug der Panzerveteranen aus der DDR als Köder zur Verwirrung nur benützt zu haben.

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