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Kein Gleichgewicht mehr?

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Die Sowjets entwickeln gegenwärtig vier neue Typen von Raketengeschossen mit unabhängig zielbaren Mehrfachsprengköpfen (MIRV). Sie beweisen dadurch, daß sie die Einschränkung des Rüstungswettlaufes mit den Amerikanern nicht ernst meinen und ihre Raketentechnik durch die Entwicklung neuer und noch schlagkräftigerer Raketentypen weiter verbessern wollen. Sorgenvoll, so erklärten westliche Militärexperten,

frage sich die amerikanische Regierung, wie lange sie das „strategische Gleichgewicht“ mit den Sowjets aufrechterhalten könne. Die Russen seien auf dem besten Wege, den Waffenwettlauf mit den USA zu gewinnen.

Ein modernes sowjetisches Abwehrsystem gegen Flugkörper ist im Aufbau. Das hierzu gehörige Radargerät ist relativ klein. Das Galosch-Raketenabwehrsystem, verfügt be-

reits über eine steuerbare Einsatzmöglichkeit im Küstenbereich sowie über ein im Flug erneut zündbares Triebwerk. Es erreicht so einen hohen Wirksamkeitsgrad, der die Bekämpfung der MIRV-Gefechtsköpfe erheblich erleichtert.

Ein neuer ballistischer Flugkörper mit variabler Einsatzfähigkeit ist ebenfalls bei den Russen in Entwicklung. Bekannt ist inzwischen auch, daß die Sowjetunion eine Rakete baut, die wesentlich stärker sein wird als ihre bisher größte (SS-9 = 25 Millionen Tonnen TNT).

Des weiteren ist ein neuer ballistischer Flugkörper bereits getestet worden, der für den Einsatz von U-Booten aus bestimmt ist Er soll eine bedeutende Reichweite und eine enorme Treffsicherheit besitzen. Dadurch sind die Bomberstützpunkte der US Air Force erheblich gefährdet.

Im Bereich der Forschung und Entwicklung militärischer Systeme gibt die Sowjetunion pro Jahr 20 Prozent mehr aus als die Amerikaner. Führend sind die Sowjets schon auf den Gebieten der mathematischen Wissenschaften, der gesteuerten Kernverschmelzung und der Energiebeschleuniger. Satelliten-Abfangsysteme wurden mit Erfolg von den Russen erprobt. Diese Jagdsatelliten könnten den US-Aufklärungsraumkörpern äußerst gefährlich werden.

Ebenso ist es eine Tatsache, daß die sowjetischen Truppen in den anderen Staaten des Ostblocks im Jahre 1974 nicht abgebaut, sondern um mehr als 100.000 Mann verstärkt wurden. In Ungarn besteht heute die größte Basis der sowjetischen Luftwaffe in Osteuropa. Etwa 60 Prozent der sowjetischen industriellen Be-

triebe arbeiten direkt oder teilweise für militärische Zwecke. Man rechnet damit, daß die sowjetischen Militärausgaben in den letzten Jahren etwa 33 Prozent des gesamten Staatshaushaltes ausmachten.

Der Umstand, daß die westlichen Divisionen um ein Drittel höhere Personalstärke haben als die des Ostens, ist keineswegs ein Zeichen höherer Kampfkraft. Wie unwirtschaftlich die Militärstruktur der NATO ist, beweisen Zahlen. Die in der DDR, Polen und in der Tsche-

choslowakei stationierten Truppen der Warschauer Paktmächte verfügen bei 920.000 Mann Stärke über 15.500 Kampfpanzer. Hingegen entfallen im Westen auf die 802.000 Mann NATO-Truppen nur 6200 Kampfpanzer, wozu noch bemerkt sei, daß im Westen gerade die Personalkosten 55 Prozent der Wehrausgaben ausmachen.

Auch hinsichtlich der Sicherung des Gefechtsfeldes durch Flugzeuge ist die NATO dem Warschauer Pakt merklich unterlegen. In Nord- und Mitteleuropa stehen 160 leichte Bomber, 1400 Jagdbomber, 350 Abfangjäger, 400 Aufklärer den 240 leichten Bombern, 1300 Jagdbombern, 2000

Abfangjägern und 400 Aufklärern des Paktes gegenüber. In Südeuropa handelt es sich um etwa 600 Jagdbomber, 250 Abfangjäger und 100 Aufklärer, die einander die Waage halten. Das NATO-Material ist Im allgemeinen von besserer Qualität und Wirksamkeit. Der Warschauer Pakt hat aber den Vorteil der einheitlichen Ausrüstung, der die Ausbildung vereinfacht und die Wirtschaftlichkeit erhöht. So reiht sich Ernüchterung an Er-

nüchterung, ohne die erforderlichen Konsequenzen -im Vorfeld der „Entspannungskonferenzen“ auszulösen. Nach wie vor sieht die erschrek-kende Tatsache so aus: Die NATO-Militärbudgets werden zu 55 Prozent von Personalkosten verschlungen, die sowjetischen Militärausgaben sind nur zu höchstens 25 Prozent für das Wohlergehen der Soldaten bestimmt. Die westlichen Zuwachsraten fangen zur Zeit gerade noch die Inflationsverluste auf, gestatten aber keine nennenswerten Neuinvestitionen und Modernisierungen mehr, wenn nicht das seit 1955 vergeblich erhoffte NATO-Standardisierungswunder eintritt.

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