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Im Grunde ist nichts mehr „geheim“

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Vor einigen Wochen wurde bekannt, daß die Telephone amerikanischer Politiker und Geschäftsleute doppelt abgehört werden. Einmal sind die Sowjets seit längerem in der Lage, in die Radiomikrowellen einzudringen, mit deren Hilfe heute über die Hälfte aller Ferngespräche in den Vereinigten Staaten übermittelt werden. In diese Abhöraktion des Moskauer KGB-Geheimdienstes wiederum schaltete sich nunmehr eine US-Geheimorganisation ein, der es gelungen war, technische Möglichkeiten zum Abfangen dieser Abhörinformationsübermittlung zu entwickeln. Zur etwa gleichen Zeit erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Ottawa, Moskau würde auch in Kanada mit Hilfe von Spionagesatelliten Telephongespräche belauschen; dies sei ein primärer Grund dafür, daß die Regierungsmitglieder vertrauliche Informationen nur noch durch geheime Telephone weitergeben würden, die nicht „angezapft“ werden könnten.

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Vor einigen Wochen wurde bekannt, daß die Telephone amerikanischer Politiker und Geschäftsleute doppelt abgehört werden. Einmal sind die Sowjets seit längerem in der Lage, in die Radiomikrowellen einzudringen, mit deren Hilfe heute über die Hälfte aller Ferngespräche in den Vereinigten Staaten übermittelt werden. In diese Abhöraktion des Moskauer KGB-Geheimdienstes wiederum schaltete sich nunmehr eine US-Geheimorganisation ein, der es gelungen war, technische Möglichkeiten zum Abfangen dieser Abhörinformationsübermittlung zu entwickeln. Zur etwa gleichen Zeit erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Ottawa, Moskau würde auch in Kanada mit Hilfe von Spionagesatelliten Telephongespräche belauschen; dies sei ein primärer Grund dafür, daß die Regierungsmitglieder vertrauliche Informationen nur noch durch geheime Telephone weitergeben würden, die nicht „angezapft“ werden könnten.

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Im November 1973 wurde in der französischen Botschaft in Warschau eine hochmoderne Abhöranlage mit insgesamt 42 Mikrophonen entdeckt, mit der die Gespräche der gesamten Botschaftsangehörigen abgehört werden honnten. Schon vor Jahren hatte das US-Außenministerium beschlossen, beim Bau amerikanischer Botschaftsgebäude und Wohnungen der Diplomaten in bestimmten Staaten lediglich amerikanische

Techniker und Arbeiter einzusetzen — um so zu verhüten, daß heimlich Mikrophone eingebaut würden. Der Grund war letztlich, daß in der Moskauer USA-Botschaft über 40 Mikrophone entdeckt worden waren, die der KGB 20 bis 25 cm tief unter dem Verputz angebracht hatte und die Gespräche in einer Entfernung bis zu drei Metern genau registrieren konnten. Einmal hatten die Sowjets ein geheimes Mikrophon sogar in das große Staatswappen eingebaut, das sie dem US-Botschafter in der Kreml-Stadt schenkten; der hatte es hinter seineni Schreibtisch angebracht und nur durch Zufall wurde es eines Tages entdeckt.

Umgekehrt fanden die Sowjets im Sommer 1956 in der Nähe Ost-Berlins einen vom US-Geheimdienst gebauten unterirdischen Tunnel, mit dem dieser jahrelang sämtliche Telephongespräche von und nach Moskau kontrolliert hatte. Verbürgt ist ebenfalls, daß der CIA bis vor etwa vier Jahren in der Sowjethauptstadt die Autotelephone Breschnews, Podgor-nys und Kossygins abgehört hat; die sowjetischen Schlüsselgeräte, die die Gespräche während der Übermittlung per Funk unverständlich machen sollten, funktionierten damals nur sehr ungenügend.

Vor rund zehn Jahren waren in der Ost-West-Spionage Tele-Horchge-räte modern, mit denen über eine Entfernung von 100 Metern sogar geflüsterte Gespräche in einem Zimmer belauscht werden konnten — sofern in dem Raum ein Sender (vielleicht in der Größe eines Feuerzeugs oder eines Füllfederhalters) eingeschmuggelt war. Inzwischen arbeiten die Nachrichtendienste mit Geräten, welche die Gespräche-von außen in einem Zimmer auch ohne eingebaute Mikrophone deutlich erfassen — die mögliche Entfernungsweite beträgt über 7000 Meter! Einziges wirksames Gegenmittel ist, in dem Gesprächsraum ein Radio spielen zu lassen. Aus letztlich gleichem Grunde beschloß die US-Abwehr im Februar dieses Jahres, auf dem Grundstück des amerikanischen Vizepräsidenten einen Störsender zu errichten.

Rockefeller hat ein Haus in unmittelbarer Nähe der Sowjetvertretung in Washington, und nach Ansicht des USA-Geheimdienstes verfügen die Sowjets über einen superempflndli-chen Lichtstrahl, mit dem sie selbst über größere Entfernungen die Schwingungen menschlicher Stimmen ablesen und übersetzen können.

Kleinbildkameras für Spione haben heutzutage eine Größe von nur einer Münze. Durch weitere Photogeräte werden die gemachten Aufnahmen dann im Wege des sogenannten „Mikro-Punkt-Verfahrens“ auf eine Größe von lediglich 0,2 bis 0,3 Millimeter verkleinert. Dieser winzige Punkt wird dann in neutral erscheinenden Briefen oder auch in Tageszeitungen eingeklebt und so den Spionage-Zentralen zugeleitet, wo er wieder in den Normalumfang zurückvergrößert wird.

Bei ihrer geheimen Funkübermittlung bedienen sich die östlichen Agenten seit Jahr und Tag einer „Ziehharmonika“-Art: Die Morsezeichen werden auf ein gestanztes Tonband übertragen, auf einen Um-roller gewickelt und bei der eigentlichen Sendung mit dem größten Tempo durchgespült. Eine westliche Funküberwachung vernimmt nur einen sekundenlangen Pfeifton, der den Text etwa einer halben Schreibmaschinenseite beinhaltet — für eine erfolgreiche Funkanpeilung aber nicht ausreicht. Im Osten wird dann alles über ein Tonbandgerät verlangsamt abgespielt:

Bei einer kürzlichen Übung des österreichischen Heeres wurde eine Panzer-Einheit durch einen falschen

Funkspruch in Marsch gesetzt und der Manöverplan in Verwirrung gebracht. Später stellte sich heraus, daß der Befehl aus der CSSR kam, der dortigen Funkstelle die geheime „Sprechtafel“ der übenden österreichischen Einheiten genau bekannt war und es sich dabei keinesfalls um den ersten Vorfall dieser Art handelte. Wiener Stellen glauben, daß die Funkaufklärungs-Leitstel-len Prags entlang der österreichischen Grenze nicht nur Abhör-, sondern auch Sendegeräte besitzen, die genau auf die (international geschützte) Wellenfrequenz der österreichischen Streitkräfte eingestimmt sind.

Seit einigen Jahren werden in Ost und West zur geheimen Nachrichtenübermittlung auch Lichtsprechgeräte verwendet, die' auf Infrarot-Basis (also unsichtbarem Licht) arbeiten und überhaupt nicht abgehört werden können; ihre Reichweite scheint bisher aber nur einige Kilometer zu betragen. Die Amerikaner haben während der letzten zwei Jahrzehnte mit einem Milliardenaufwand einen Ring von Abhör- und Ortungsstationen rund um die Sowjetunion gelegt und ein globales Radarnetz aufgebaut, das die USA vor einem atomaren Pearl Harbour bewahren soll. Die Geräte sind so empfindlich, daß sie den Sprechfunkverkehr auf vielen sowjetischen Raketenstartplätzen mühelos einfangen können. Tatsache ist, daß beim damaligen Abschuß der „U-2“-Maschine von Powers sogar die erregten Stimmen der Sowjetsoldaten gehört wurden. Seit einigen Jahren sind die amerikanischen Radar-Techniker, die von den Horchfunkern frühzeitig über Startvorbereitungen in Sowjetrußland unterrichtet werden, in ihrer Entwicklung derartig weit, daß sie eine aufsteigende Trägerrakete der Sowjets in derselben Sekunde auf dem Radarschirm einfangen, wenn das Projektil den Horizont übersteigt; Sekunden später liegen dem US-Luftverteidigungszentrum die ersten Angaben über vermuteten Kurs und voraussichtliche Geschwindigkeit vor. So haben die rund 1200 US-Spezialisten von ihrem Aufklärungszentrum Badaber (Pakistan) aus mit elektronischen Geräten jahrelang weite Gebiete Sowjetrußlands und Rotchinas — bis zum Atomsperrgebiet Sinkiang — abgehorcht. Die jetzt geschlossenen amerikanischen Basen in der Türkei konnten bis weit in das ukrainische und kaukasische Gebiet beobachten. Mit Hilfe dieser hochempfindlichen elektronischen Apparate gelang es während des letzten Nahostkrieges, Atomsprengköpfe an Bord der sowjetischen Frachter festzustellen, die Kurs auf Syrien und Ägypten nahmen. Durch die jetzt erfolgte Schließung dieser US-Stützpunkte hat Washington mindestens ein Viertel seiner elektronischen Aufklärung gegenüber Sowjetrußland eingebüßt. Ebenso könnten leicht auch die Tage einer ähnlichen amerikanischen Basis in Thailand gezählt sein.

Seit Jahren wird ebenfalls unter Wasser spioniert: Nicht nur in einem Falle haben amerikanische U-Boote sowjetische Unterseekabel angezapft, über die Moskau geheime militärische Informationen übermittelte. Mit verfeinerten Unterwasser-Schallmessungen unter Computerhilfe können die USA jetzt jedes U-Boot noch aus einer Entfernung bis zu 20 Kilometern orten.

Die nordamerikanischen „U-2“-Er-kundungsflugzeuge über Sowjetrußland begannen bereits 1956 und wurden fast wöchentlich über dem gesamten Gebiet durchgefübj^J3gi..delfej Luftaufnahmen war aafcltS Jülome ter Höhe noch der Titel einer Zeitung gut erkennbar und in 25 km Höhe noch ein Radfahrer von einem Fußgänger deutlich zu unterscheiden. Ihre Weitwinkel-Kameras erfaßten aus 20 km Flughöhe einen Geländestreifen von rund 700 Kilometern Breite: Eine US-Aufklärungsmaschi-ne, die etwa an der westdeutschen Zonengrenze entlangfliegt, kann mit einem einzigen Flug die gesamte DDR und noch Teile Polens pho-tographieren! Die im Juni dieses Jahres über der Bundesrepublik abgestürzte „U-2“-Maschine war angeblich mit elektronischen Geräten ausgestattet, die den Funkverkehr bis tief in den Ostblock anpeilen. Während des letzten Nahostkrieges setzte Moskau seine Hehenaufklä-rungsflugzeuge vom Typ „MIG 25 Foxbat“ ein, deren Photos nahezu die gleichen Erfolge wie die der „U-2“-Maschinen haben. Im Mai dieses Jahres äußerte der stellvertretende britische Verteidigungsminister seine Besorgnis über das fast jede Woche erfolgende Eindringen sowjetischer Fernaufklärer in den Luftraum des Inselreiches — viele von ihnen würden allerdings im Bereich nordöstlich von Schottland abgefangen. Wie man hört, gelang es anderseits dem CIA im vergangenen Herbst, vor der Westküste Norwegens das Wrack eines mit geheimsten elektronischen Aufklärungssensoren gespickten sowjetischen Spionageflugzeuges vom Typ „TU-16 Badger“ in seine Hände zu bekommen.

An Aufklärungssatelliten dürften West und Ost bis heute wahrscheinlich insgesamt rund 1000 in den Weltraum geschossen haben. Bei den USA erfolgte der erste Start im September 1961, die UdSSR begann keine zwölf Monate später und war bereits 1972 in der Lage, dreimal so viele Spionage-Satelliten wie die Vereinigten Staaten einzusetzen — dennoch scheint Washington gegenwärtig wieder die technische Überlegenheit zu besitzen.

Es gibt bei den Amerikanern einmal die „Vorwarn-Satelliten“, die mit Hilfe von Infrarot-Sensoren den Start von Interkontinental-Raketen ermitteln. Die „Vela“-Satelliten wiederum überwachen den gesamten Weltraum nach Atomtestversuchen. Die sogenannten „Ferref'-Satelliten betreiben elektronische Spionage; sie hören den Funkverkehr der gegnerischen Streitkräfte ab, stellen die Radarfrequenzen der einzelnen Stationen auf der Gegenseite fest und sollen auch in der Lage sein, Telephongespräche aus dem All mitzuhören. Die Sowjets setzten ihe Aufklärungssatelliten sehr erfolgreich im letzten Nahostkrieg ein — die Generalstäbe von Kairo und Damaskus waren eigentlich jederzeit über die israelischen Panzeransammlungen informiert. Ebenso diente der sowjetische Satellit „Kosmos 670“ reinen nachrichtendienstlichen Zwecken — er hatte die türkischen Truppenbewegungen während der Zypern-Krise zu beobachten. Bei ihrer „Sal-jut-3“-Station im Weltraum hatten die Sowjets zunächst ein „Sonnenteleskop“ angekündigt — in Wahrheit aber war das Objektiv ständig auf die Erde gerichtet; auch fiel auf, daß die Kosmonauten der „So-jus-14“-Besatzung während ihres „Fluges zu „gfijut a^ynaihrem — von verkehr militärische Abkürzungen benutzten.

Der größte amerikanische Auffclä-rungs-Satellit, „Big Bird“, wiegt über zwei Tonnen; seit etwa zwei, drei Jahren werden seine Bilder sofort an einen Nachrichten-Satelliten übermittelt, der sie dann — ebenfalls innerhalb von Minuten — nach Washington weitergibt. Allgemein sind die US-Satelliten heute mit zwei Photoapparaten ausgerüstet: Mit einem kann ein Gebiet von 640.000, mit dem anderen von sogar 900.000 Quadratmeilen aufgenommen werden. Die optische Registrierung ist heutzutage so weit, daß man aus Höhen von mehreren hundert Kilometern noch Einzelheiten mit einer Größe von 50 Zentimetern auf die Photos bannen kann. Es gibt praktisch kein Fleckchen Erde mehr, das nicht von optischen oder elektronischen Aufklärungsmitteln festgehalten wird. Die kosmische Aufklärung mittels Satelliten hat inzwischen einen technischen Stand erreicht, der an die Grenzen des Unvorstellbaren grenzt.

Die heutige Irifrarotaufklärung läßt dabei sogar Objekte sichtbar werden, welche die Optik nicht zu sehen vermag: Denn jeder Stoff strahlt infrarote Energie aus, die auf den Photos weiß oder grau beziehungsweise schwarz erscheint. Bewohnt etwa Breschnew nicht seine Datsdia und sind daher deren Fenster geschlossen, erscheint das Haus auf den Photos hell, bei geöffneten Datscha-Fenstern hingegen Wäre es dunkler. Der geheizte Swimmingpool des US-Präsidenten wirkt bei den Photoaufnahmen heller als im kalten Zustand. Genauso können die Bilder verraten, ob an einem bestimmten Ort während der vergangenen Tage Panzer oder Raketen gestanden haben, die Erde ist dann kälter und die dunklen Umrisse zeichnen sich auf den Aufnahmen noch lange ab. Selbst unterirdische Anlagen lassen sich an der Verfärbung des Bodens und auch des Bewuchses ohne weiteres ausmachen. Durch einen halben Meter dicke Stahlbetonplatten allerdings kann noch kein Satellitenauge hindurch-sehen — noch nicht...

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