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Die „Einseitigkeit des lieben Gottes“

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In der Morgendämmerung des 25. Oktober 1944 erreichte der japanische Vizeadmiral Ozawa die Breite von Cap Engano an der Nordspitze der Philippinen. Seine Flugzeugträger hatten während des Vortages alle irgendwie entbehrlichen Maschinen gegen Halseys US-Flotte und die amerikanischen Invasoren auf Leyte vorausgeschickt. Aber kaum eine Maschine kehrte auf die Decks zurück, die meisten wurden abgeschossen, einige landeten auf japanischen Feldflugplätzen innerhalb der Philippinen. Ganze 30 Kampfflugzeuge blieben schließlich dem Verband Ozawas erhalten, und er konnte sich ausrechnen, wie bald diese beim nächsten Luftkampf in die See stürzen würden. Dessenungeachtet hielten seine Schiffe Gefechtskurs und eilten dem tödlichen Zusammenstoß mit Halsey entgegen.

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In der Morgendämmerung des 25. Oktober 1944 erreichte der japanische Vizeadmiral Ozawa die Breite von Cap Engano an der Nordspitze der Philippinen. Seine Flugzeugträger hatten während des Vortages alle irgendwie entbehrlichen Maschinen gegen Halseys US-Flotte und die amerikanischen Invasoren auf Leyte vorausgeschickt. Aber kaum eine Maschine kehrte auf die Decks zurück, die meisten wurden abgeschossen, einige landeten auf japanischen Feldflugplätzen innerhalb der Philippinen. Ganze 30 Kampfflugzeuge blieben schließlich dem Verband Ozawas erhalten, und er konnte sich ausrechnen, wie bald diese beim nächsten Luftkampf in die See stürzen würden. Dessenungeachtet hielten seine Schiffe Gefechtskurs und eilten dem tödlichen Zusammenstoß mit Halsey entgegen.

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Bereits am späten Nachmittag des 24. Oktober hatten, wie schon erwähnt, die Aufklärer Halseys den japanischen Verband gesichtet und in der Nacht näherten sich immer wieder amerikanische Beobachtungsflugzeuge. Der Princeton, die auch nach ihrer fürchterlichen Explosion auf dem Wasser schwamm, kostete dieser Kontakt endgültig die Existenz. Angesichts der herannahenden Japaner konnte man sich nicht länger mit dem Wrack herumspielen und versenkte es durch Torpedos aus eigenen Rohren.

Unweit des Caps tauchten im Frühlicht des jungen Tages die ersten US-Bomberstaffeln auf. Mit schmalen Augen sahen die Japaner den rasch näherkommenden Flugzeugen zu, die ihnen die Gewißheit brachten, daß auch die amerikanische Hauptmacht mit ihren Trägem näherkam, also die St.-Bemadino- Straße verlassen hatte. Dann setzte die japanische Luftabwehr mit allen verfügbaren Kanonen ein, der Himmel wurde von Sprengwölkchen gemustert und die Schiffe fingen an, Kreise zu fahren, um den Bomben zu entgehen. Knapp vor 9 Uhr werden-die-ersten beiden Träger schwer getroffen, bald darauf ein Dritter. Ein Zerstörer fliegt in~3ie LuK’ der Kreuzer Tama bekommt Schlagseite. Sogar das Flaggschiff, der Träger Zuikaku, erhält einen Torpedotreffer und muß von da an hündisch gesteuert werden. Um ein Uhr mittags erwischt es die Chiyoda, die hilflos weitertreibt, bis ihr die Geschütze der US-Marine den Rest geben. Die Zuikaku sinkt nach weiteren Treffern, während die große Fahne Ozawas noch von ihrem Turm weht. Mit ihr geht der letzte Träger, der seinerzeit beim Angriff auf Pearl Harbour dabei war, in die Tiefe. Der Träger Zuiko folgt ihr nach, dann kommen die Schlachtschiffe Hygura und Ise, deren Afterdecks zu kleinen Flugfeldern umgebaut worden waren, an die Reihe. Beide Einheiten bleiben zwar an der Oberfläche, ihre Aufbauten verwandeln sich jedoch in ein Gewirr verbogenen Eisens. Ozawa, der den Untergang der Zuikaku überlebt, erreicht den Kreuzer Oyodo und führt von seiner Brücke aus die noch verbliebene Flotte nach Norden zurück. Die Überwasserstreitkräfte Halseys sind mittlerweile näher herangekommen und vernichten alles, was auf den

Wellen schwimmt, dem Abmarsch Ozawas können sie jedoch nicht mehr folgen. Der Japaner hatte alle Flugzeugträger verloren und ein Drittel der anderen Schiffe eingebüßt, aber Halsey konnte seines Sieges auch hier nicht froh werden. Mitten im Getümmel von Schlacht und Verfolgung erreicht ihn der Funkspruch des Oberkommandierenden aus Hawaii — wo er, Halsey, denn zum Teufel stecke, da er doch im Süden so dringend gebraucht werde? Und von Kinkaid langt plötzlich eine Serie Hilferufe ein. Halsey befiehlt, die Steuer herumzuwerfen und McCains Gruppe vor Ulithi zu alarmieren. Ozawa darf ungehindert entweichen, jetzt gibt es wichtigeres zu tun. Voll Besorgnis läßt Halsey die Entfernung bis zur Leytebucht vermessen und stellt fest, daß er dafür zumindest mehrere Stunden mit äußerster Kraft voraus benötigt.

Kuritas Wiederkehr

In den größten Städten des Archipels, vor allem in den Ruinen Manilas, war in diesen Tagen jedermann auf Gerüchte angewiesen. Fast dauernd gab es Fliegeralarm, die Familien lebten in Erdbunkern, die in den Hausgärten errichtet worden waren. Japanische Patrouillen überprüften die Passanten an den Straßenecken und zündeten Hütten an, wenn ein Unterschlupf für Partisanen vermutet wurde. Der legale Handel war so gut wie zusammengebrochen, Lebensmittel holte man vom schwarzen Markt. Aus unbe-

stimmter Richtung war ab und zu Geschützdonner zu hören. Oben am Himmel hingen Aufklärungsflugzeuge oder ein silbern glänzender Bomberverband zog mit seiner tödlichen Last und langen Kondensstreifen vorüber. Wo gekämpft wurde, kannte niemand genau sagen. Und niemand wußte am Morgen des 25. Oktober, wie nervös die Amerikaner drüben an der Ostküste geworden waren. Die 7. Flotte hatte eine Gruppe von Begleitträgem mit etlichen Zerstörern sowie Hilfsbooten ein wenig nach Norden vorgeschoben, und zwar ungefähr 50 Meilen von den Ufern der Insel Samar entfernt. Zwischen 18 und 36 Flugzeuge blieben auf jedem der kleinen Träger stationiert, die auch leichte Artillerie an Bord hatten und relativ langsame Fahrt machten. Manche Piloten waren bereits in der

Luft und mit ihrer täglichen Aufklärungsarbeit beschäftigt. Plötzlich meldet eine Maschine feindliche Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer in etwa 20 Meilen Entfernung, die- rasch näher kommen. Nach kur zem Hin und Her wird Kinkaid alarmiert und alles gefechtsklar gemacht. Mit Schrecken erkennt man in der japanischen Formation die Flotte des Vizeadmirals Kurita, die scheinbar während der Nacht unbemerkt zum 2. Mal durch die St.-Bemadino- Straße gefahren Ist und das eigentliche Operationsgebiet der Amerikaner um Leyte erreicht hat. Bald tauchen die charakteristischen Hauptmaste der japanischen Schlachtschiffe am Horizont auf und die Yamoto schickt ihre ersten Granaten herüber. Konteradmiral Sprague, der den US-Verband vor Samar befehligt, schaut darauf, so schnell wie möglich die offene See im Südosten zu gewinnen, aber seine Begieifträ- ger erhalten schon die ersten Treffer. Rasch produzieren die Zerstörer einen Rauchvorhang, alle Flugzeuge steigen zum Angriff auf, haben aber Bomben geladen, die für Erdziele auf den Philippinen und nicht für die Panzerplatten von Schiffen geeignet sind.

Während in den Begleitträgem die Kolben rotieren, fährt der Zerstörer Johnston als erster einen Entlastungsangriff. Schwer beschädigt entkommt er dem feindlichen Feuer, nachdem ihm ein nicht sehr wirkungsvoller Treffer gelungen ist. Nun folgen die Zerstörer Heermann und Hoel. Die Hoel wird völlig zusammengeschossen und sinkt, die Heermann treibt als Wrack auf See weiter. Anschließend versuchen noch vier kleinere, langsamere Zerstörer, an die Japaner heranzukommen, doch, wie zu erwarten war, schaukeln ihre Trümmer nachher rund um die Einheiten Kuritas. Freilich, der Zweck dieser Attacken, die den Selbstmordunternehmungen des Feindes bedenklich nahe kommen, scheint fast erreicht zu sein: Die Begleitträger haben mittlerweile ein Stück ihrer Flucht bewältigt und sind hinter einer un-

vermutet auftauchenden Regenwand verschwunden. Allerdings nicht für lange, denn die großen, schnellen Kriegsschiffe Japans haben sie bald wieder eingeholt. Der Träger Gambier Bay sackt um 9 Uhr nach fürch-

terlichen Explosionen ab, die Fanshaw Bay, die Kalinin Bay und die White Plains werden so schwer beschädigt, daß sie kaum mehr Fahrt machen können. Kurita erreicht das Zentrum des amerikanischen Verbandes und feuert aus allen Rohren. Kinkaid holt seine alten Schlachtschiffe, die gerade unten vor der Su- rigao-Straße fertig geworden sind und nur mehr wenig Munition an Bord haben, im Eilmarsch heran, während sich über hundert US-Flug- zeuge in rollenden Einsätzen opfern oder schon auf den Trägerdecks zerstört werden. Kurita versucht mit seinen schnellen Kreuzern ein Um- fassungsmanöver, Kinkaid zieht seine Flieger von allen Aktionen auf Leyte zurück und läßt sie auf die japanische Flotte los. Plötzlich, die Vormittagssonne kommt eben hinter Wolken hervor, wird das Aufblitzen der japanischen Geschütze seltener, die Umrisse der Schiffe des Tenno am Horizont werden kleiner. Die Amerikaner können es zunächst kaum fassen, aber Kurita dreht ab. Konteradmiral Sprague hält später in seinen Berichten fest, daß Kuritas Verzicht auf die völlige Vernichtung der Begleitträger vor Samar nebst den eigenen Gegenangriffen wohl hauptsächlich der „Einseitigkeit des lieben Gottes“ zu danken war.

Allerdings fanden sich nachher auch noch einige irdische Erklärungen. Kurita war ohne Nachricht von Ozawa geblieben und mußte mit den Erscheinen Halseys rechnen. Wahrscheinlich hat er manche Schiffe Kin- kaids bereits mit der Vorhut der 3. US-Flotte verwechselt. Überdies verlor er während der Gefechte viel Zeit mit der stetigen Neuordnung seiner Streitmacht, wozu ihn amerikanische Luftangriffe zwangen. Vielleicht erfuhr er auch, daß jene Flottenabteilung, die McCain befehligte und die von Ulithi herbeigerufen worden war, schon bedenklich nahe sein mußte. Tatsächlich erwischten ihn die Bomber dieser Formation bereits in der ersten Stunde seines Rückmarsches und flogen sogleich einen der heftigsten Angriffe des gesamten Ringens»

Der Höhepunkt der Seeschlacht vor Leyte wurde damit überschritten und das Rückgrat der Kaiserlichen Flotte gebrochen, zumal Kurita vor und nach dem Durchqueren der St.- Bernardino-Straße gegen Westen weitere Großkampfschiffe durch die US-Luftwaffe verlor. Sogar seine Yamoto wurde, noch stark beschädigt. An die 10.000 japanische Matrosen und Marineflieger waren gefallen, fast 3000 Amerikaner hatten ihr Leben gelassen. Die Kamikazemänner suchten den Rückzug Kuritas durch verstärkte Aktion zu decken, beschädigten 3 weitere Begleitträger und zerstörten die St. Lö, die den Kanonen der Yamoto einige Stunden früher um Haaresbreite entkommen konnte. Aber ändern konnte dies am Ausgang der Schlacht nichts mehr. Der Oberkommandierende in Hawaii gab offiziell bekannt, daß die japanische Flotte entscheidend geschlagen und dezimiert worden sei, obwohl sie in 3 riesigen Formationen angegriffen habe. Diese 3 Teile seien getrennt voneinander durch Kinkaid und Halsey fürchterlich zugerichtet worden und hätten daher den Golf von Leyte niemals erreicht. Aber bald darauf ging die innerpolitische Kontraverse wegen der Krise vor Samar los und Halsey bekam große Schwierigkeiten. Er stritt mit Kinkaid ähnlich wie weiland die britischen ‘ Admirale über das Ergebnis am Skagerak und vor Jütland herum, wobei sich herausstellte, daß beide US-Kommandeure durch Fernaufklärung von der wahrscheinlichen Wiederkehr Kuritas Kenntnis erhalten, die Sache jedoch auf die leichte Schulter genommen hatten. Kinkaid konnte glaubhaft machen, daß er während der operativen Vorbereitungen Halseys mit Recht angenommen hatte, ein kleinerer Verband der 3. Flotte werde auf jeden Fall vor der St.Bernardino-Straße Zurückbleiben. Tatsächlich hatte Halsey infolge der Überschätzung Ozawas zu guter letzt sämtliche Großkampfschiffe zum Treffen bei Cap Engano mitgeführt, ohne Kinkaid extra darauf aufmerksam zu machen. Aber wie dem auch immer gewesen sein mag, die toten US-Seeleute lagen bereits auf dem Meeresgrund, ob ihr Ende vermeidbar gewesen wäre oder nicht.

Am 26. Oktober übersetzte eine amerikanische Division von Leyte her die San-Juanico-Straße nach Samar. Auf Leyte selbst wehrten sich die Japaner später viel hartnäckiger als bei der eigentlichen Landung und brachten sogar Verstärkungen auf die Insel. Aber 24.000 fielen in den folgenden 10 Tagen und die Amerikaner büßten nur etwa 2.800 Mann ein. In die zahllosen Buchten der Philippinen bis hinunter nach Indonesien schleppten sich todwunde, japanische Kriegsschiffe, die nicht mehr weiter konnten und sich verbergen wollten. Die amerikanischen Aufklärer und Vorpostenboote suchten nach ihnen und holten, sobald sie diese Überbleibsel der großen Schlacht um den Leyte-Golf ausmachen konnten, die US-Bomberstaffeln herbei.

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