6820235-1973_31_09.jpg
Digital In Arbeit

Wie ein Normannendrama

19451960198020002020

„Das sehr alte und berühmte Salerno hat seinen historischen Kern voll glorreicher Architektur beibehalten. Die medizinische Fakultät von Salerno befruchtete die Funktion der Heilmethoden sowohl in der westlichen, als auch in der östlichen Kultur. Das hochmoderne und lebhafte Salerno wird durch die ausgezeichnete Lage im Zentrum seines Golfes begünstigt. Es bietet dem Gast eine der vollständigsten Organisationen für Bade- und Klimaaufenthalt, herrliche Strände, einen sehr leistungsfähigen Hafen und ausgezeichnete Straßen und Eisenbahnverbindungen.“ Dies berichtet ein Prospekt des italienischen Fremdenverkehrsamtes in Wien anno 1973. Vor genau 30 Jahren war Salerno aller Welt noch mehr bekannt als heute, zählte aber bestimmt nicht zu den Plätzen für Bade- und Klimaferien ...

19451960198020002020

„Das sehr alte und berühmte Salerno hat seinen historischen Kern voll glorreicher Architektur beibehalten. Die medizinische Fakultät von Salerno befruchtete die Funktion der Heilmethoden sowohl in der westlichen, als auch in der östlichen Kultur. Das hochmoderne und lebhafte Salerno wird durch die ausgezeichnete Lage im Zentrum seines Golfes begünstigt. Es bietet dem Gast eine der vollständigsten Organisationen für Bade- und Klimaaufenthalt, herrliche Strände, einen sehr leistungsfähigen Hafen und ausgezeichnete Straßen und Eisenbahnverbindungen.“ Dies berichtet ein Prospekt des italienischen Fremdenverkehrsamtes in Wien anno 1973. Vor genau 30 Jahren war Salerno aller Welt noch mehr bekannt als heute, zählte aber bestimmt nicht zu den Plätzen für Bade- und Klimaferien ...

Werbung
Werbung
Werbung

Mitte August 1943 entschlossen sich die Amerikaner, vom britischen Premierminister auf der einen und vom italienischen Ministerpräsidenten auf der anderen Seite bedrängt, zur Errichtung einer Front, die als Minimalziel Neapel und die Flugplätze bei Foggia und Bari absichern sollte. Das Unternehmen war in Reichweite jener Jagdverbände geplant, die nun in Sizilien geeignete Absprungbasen fanden und das alliierte Hauptquartier bei Karthago legte drei Stoßrichtungen fest. Die Briten hatten mit zwei Divisionen von Sizilien aus die Meerenge bei Messina zu überschreiten und durch Kalabrien gegen Norden vorzufühlen. Dann sollten britische Kräfte im Raum Tarent landen, von dort aus nach allen Seiten Boden zu gewinnen. Den Hauptschlag aber wollten die Amerikaner, von britischen Kontingenten unterstützt, durch ihre Landung unmittelbar südlich von Neapel führen. Hier bot sich der Golf von Salerno mit dem Nachteil an, daß es den Deutschen sehr bald klarwerden mußte, was da im Gange sei. Salerno bildete höchst auffällig den besten Abschnitt für eine größere Operation dieser Art. Trotzdem wurde dafür entschieden und die Angelegenheit dem ' US-Generalmajor Mark W. Clark und dem britischen General Richard L. McCreery anvertraut, die beide später in Wien eine besondere Rolle spielen sollten. Clark hatte bis dahin noch kein Kommando im Feld geführt und weder in Tunesien noch in Sizilien an den Kämpfen teilgenommen. Den vergangenen Winter über waren ihm die Verhandlungen mit den rivalisierenden Franzosen in Algier zugefallen, nachdem er Nordafrika bereits vor der alliierten Landung einen abenteuerlichen Geheimbesuch abgestattet hatte. Dann organisierte er jenes amerikanische Heer, das für Spanien bereitgehalten wurde, falls Hitler von dort her in Nordafrika eingreifen sollte.

Inzwischen hatte der alte Marschall Caviglia, dem seinerzeit der leichte Sieg über die Österreicher bei Vittorio Veneto gelungen war, die Macht in Rom übernommen. Am 11. September 1943 fügte er sich einem deutschen Ultimatum und übergab die Stadt formell dem örtlichen Befehlshaber des Führers. Im alliierten Hauptquartier war man um eine Erkenntnis reicher, in London um eine Hoffnung ärmer geworden. Einen Tag später wurde Mussolini von SS-Leuten und Fallschirmspringern befreit und nach Wien gebracht.

Aber bereits am 8. September, als Taylor mit Badoglio verhandelte und die deutschen Kolonnen auf die Ewige Stadt marschierten, erzitterten rings um Italien Luft und Wasser unter gewaltigen Schicksalsschlägen. Das Gros der italienischen Flotte in Genua und La Spezia sowie etwas später auch im Hafen von Tarent, lief überraschend aus. Admiral Bergamini und seine Kollegen in der Marineleitung waren entschlossen, das Waffenstillstands-abkommen einzuhalten und sich in Malta den Alliierten zu ergeben. Am nächsten Morgen stampfte der westliche Verband auf Südkurs an Sardinien vorbei. Dort griff ihn die deutsche Luftwaffe von südfranzösischen Flugplätzen aus an, ließ das Flaggschiff „Roma“ samt Bergamini und hunderten Matrosen in Fetzen (liegen und beschädigte das Schlachtschiff „Italia“ schwer. Die übrigen Einheiten konnten weiter Fahrt halten, bis im Frühlicht ies 1U. September die britische Mittelmeerflotte am Horizont erschien und sie in Empfang nahm. Die gewaltige „Warspite“, die in wenigen Stunden vor Salerno eine fürchterliche Lektion durch das »rste Exemplar der deutschen V-l-Waffe erleiden sollte, war mit iabei.

Auch der italienische Schiffsver-jand aus Tarent wurde eines britischen Geschwaders ansichtig. Am ). September passierte er die gefechtsklaren Einheiten Admiral ^unninghams, welche eine britische L,uftlandedivision nach Tarent bringen wollten, für die man keine rransportflugzeuge aufgetrieben latte.

Am 8. September 1943 befand sich Dlark mit einer Armada, welche die ersten vier Angriffsdivisionen seiner i. Armee nach Salerno brachte, auf loher See. Die Schiffe kamen von Dran und Palermo, britische Flotien-/erbände, die später dazustießen, .varen von Tripolis und Biserta aufgebrochen. Gegen Abend gaben die Lautsprecher an Bord die Proklamation Eisenhowers durch, mit der ias italienische Waffenstillstandsab-wmmen offiziell bekanntgegeben wurde. Zwei Stunden später blieb Badoglio nichts anderes übrig, als seinerseits den Waffenstillstand amt-ich zu bestätigen. Aber für die Vereidigung des Golfes von Salerno tarnen die kriegsmüden Italiener ohnehin nicht in Frage. Dort hatten sich die Deutschen bereits so gut wie möglich verschanzt und alles für den entscheidenden Waffengang vorbe-•eitet. Feldmarschall Kesselring war jum Beweis entschlossen, daß Sizi-len nur eine durch den Verrat Italiens bedingte Ausnahme bei der erfolgreichen Abwehr aller Invasions-/ersuche darstellte. Auch das Her-jmtasten Montgomerys in Kalabrien würde sich von selbst aufhören, wenn die US-Streitkräfte erst ins Meer geworfen waren. Deshalb hatte nan sogar eine Propagandakompanie nit Lautsprechern nahe dem Wasser ies Golfes postiert, die den Invasoren auf Englisch entgegenrufen sollte: „Kommt an Land, und ergebt euch! Alles, was ihr vorhabt, ist uns längst bekannt.“

Demgegenüber wollten die Angloamerikaner insgesamt acht Divisionen ausladen, 3000 Bomber und Jäger über Salerno einsetzen und die Geschütztürme der alliierten Flotte ohne Unterlaß sprechen lassen. Als der Tag über den Tempeln von Pae-stum graute, war es soweit: Im Norden des Golfes kämpften bereits die US-Rangers zwischen den Felsen von Amalfl, während Kommandoeinheiten der 46. britischen Division in Salerno selbst Fuß zu fassen suchten. Weiter südlich watete die 56. britische Division ans Ufer, um das entsetzliche Schlachtfeld von Battipaglia und Eboli nahe dem Seiebach zu erreichen. Die Masse der amerikanischen 36. und 45. Division bereitete sich am Südende des Golfes auf ihren blutigen Weg hinauf nach Altavilla und zu jenen Straßenkreuzungen vor, hinter denen später die Vorhut Montgomerys aus Kalabrien auftauchen sollte.

Die Deutschen begannen gleich mit kleineren Gegenaktionen, während die Berge und Küsten ringsum in Rauch, Staub und Flammen versanken. Vier Tage lang wogte das Ringen hin und her, dann fühlte sich Kesselring mit eiligst herangeführten, neuen Verbänden stark genug zum entscheidenden Schlag. Die 36. amerikanische Division zerbrach unter der Wucht dieses Angriffs, Clark mußte seinen Gefechtsstand vom Strand aufs Schiff zurückverlegen. Da faßte Luftmarschall Tedder in Sizilien und auf den Flugzeugträgern alles, was fliegen, Bomben werfen und schießen konnte, zu einer konzentrierten Attacke am Morgen des 14. September zusammen: Kein Stein blieb auf dem anderen und der deutsche Vormarsch kam ins Stocken. Zwar saßen die Soldaten der Hitler-Wehrmacht auf den Hügeln und konnten den gesamten Landekopf einsehen. Aber sie vermochten das Ausladen der Verstärkungen nicht mehr zu hindern. Am 19. September wurde allen Beteiligten klar, daß der alliierte Gegendruck kaum länger auszuhalten war und zwölf Tage später rollten US-Panzer im Triumph durch die Straßen Neapels. Am 25. September fielen die Flugfelder von Foggia in alliierte Hand, die Flugplätze von Neapel folgten nach und sechs Staffeln der Royal Air Force bezogen das Flugfeld von Gioia. Bei Foggia richteten sich zunächst zwei Gruppen schwerer US-Bomber, zwei Gruppen mittlerer Bomber und die entsprechenden Jagdverbände ein. Am 1. November wurde dort die 15. amerikanische Luftflotte offiziell aus erfahrenen Veteranen aufgestellt, 35.000 einsatzfähige Flieger bezogen Quartier. Bis zum Mai des nächsten Jahres sollte die 15. Luftflotte auf 21 Gruppen schwerer Bombenflugzeuge anwachsen, und damit die Voraussetzung für das Bombardement Wiens und der anderen österreichischen Städte bilden.

Am Beginn dieser Artikelserie haben wir an die normannischen Unternehmungen in Süditalien vor 900 Jahren erinnert. Vor 30 Jahren leistete sich jene Vorsehung, die der Führer stets für sich in Anspruch nahm, einen Zwischenfall, sozusagen ein Ritterstück, das mehr als alle anderen an die Normannenzeit Ühtefitaliens “erinnert. %)ie italie--nische Armee hatte aus den Tagen ihres Vormarsches mit den Deutschen einen hohen britischen Offizier in Gewahrsam, dessen französischer Adelsname die direkte Verbindung ins frühe Mittelalter nachwies. Tatsächlich gehörten seine Vorfahren dem Kreis um Wilhelm den Eroberer an. Die Italiener nahmen besagte Person insgeheim zu den Waffenstillstandsverhandlungen ins allüerte Hauptquartier mit, um ihren guten Willen zu bekunden. Bekanntlich zog sich die Sache hin und die italienischen Unterhändler legten dem Briten nahe, sich währenddessen aus dem Staub zu machen. Das aber war nicht nach seiner Kavaliersart, und er bestand darauf, fürs erste wieder in sein Kriegsgefangenenlager nach Italien zurückgebracht zu werden.

Die Deutschen wußten nichts von solchen Begebenheiten, verschwendeten wohl auch keine Zeit dafür. Ihre Reaktion auf die dramatischen Ereignisse des Sommers 1943 war umfassend, fürchterlich und — sehr einseitig. Manche alliierte Sachverständige glaubten, die Wehrmacht Hitlers werde große Teile Italiens und des Balkans preisgeben und daraus gewisse Vorteile ziehen. Dies hätte nach alliierten Schätzungen die Zusammenfassung der freiwerdenden deutschen Kräfte zu einer kampferprobten Armee von 40 bis 50 Divisionen erlaubt, mit denen für Hitler eine neue Offensive möglich geworden wäre. Wahrscheinlich schätzten der Führer und sein Generalstab Zahl und Wert der freiwerdenden Kräfte bei einem solchen flücjfcug weitaus geringer ein, jedenfalls schien dies für Deutschland in keinem Verhältnis zum Verlust Griechenlands, Bulgariens oder des südlichen Jugoslawien zu stehen. Von Rom und Florenz ganz zu schweigen. Die Deutschen gaben lieber russische Territorien her und überließen sonst nur Sardinien und Korsika kampflos den Alliierten. An den Flüssen vor Monte Cassino, ja selbst in der Ägäis wollten sie unbedingt standhalten. Zu diesem Zweck mußte ihre Wehrmacht am Balkan und in der griechischen Inselwelt jeden Versuch italienischer Heeresteile, im Sinne der Waffenstillstandsbedingungen tätig zu werden, im Blut ersticken. Desgleichen wandten sie sich allerorts gegen Verwandte des italienischen Königshauses und entzündeten damit die Wirren um den bulgarischen Thron.

Dies alles geschah mit gräßlicher Konsequenz. Dementsprechend vermochten die Deutschen sogar an die Wiedergewinnung der italienischen Inseln unweit der türkischen Küste zu schreiten. Churchill hatte sich sehr dafür eingesetzt, daß sein Mittelostkommando diese Stützpunkte übernehmen sollte. Tatsächlich waren die britischen Streitkräfte in der Levante jedoch äußerst geschwächt und entsandten nur ein kleines Kontingent, das die Kapitulation der italienischen Besatzungen entgegennahm. Gleichzeitig erhob sich die griechische Inselbevölkerung und forderte das völlige Verschwinden der Italiener. Da nahten die Deutschen auf Fischkuttern und Schnellbooten, auch die Luftwaffe Hitlers trat in Aktion. Die Briten schifften sich schleunigst wieder ein und Churchill fand erneut Grund zu schmerzlichem Ärger, entschwand doch damit ein gutes Stück Hoffnung auf den Kriegseintritt der Türkei. Freilich, Sardinien und Korsika waren für weitere Landungen entlang der italienischen Westküste und in Südfrankreich zum entscheidenden Faustpfand geworden, wie die Ereignisse im Winter 1943/44 und nach der großen Invasion Frankreichs einige Monate später beweisen sollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung