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Kampf auf Leben und Tod

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„Der Feind ist zu seiner eigenen Beerdigung gekommen”, wollte die Nazi-Propaganda nach der Nor-mandie-Invasion die Bevölkerung glauben machen.

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„Der Feind ist zu seiner eigenen Beerdigung gekommen”, wollte die Nazi-Propaganda nach der Nor-mandie-Invasion die Bevölkerung glauben machen.

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Hitler und die deutsche Kriegsführung schliefen, als die alliierten Luftlandungen am 6. Juni 1944 kurz nach Mitternacht losgingen, obwohl man die Invasion seit Monaten erwartet hatte. Schon im November 1945 hatte Hitler die Parole ausgegeben, daß die Entscheidungsschlacht im Westen stattfinden werde. Am 20. März hatte Hitler mit einem Sonderzug sämtliche Generäle und Admiräle aus dem Westen für eine Besprechung ins Salzburger Schloß Kleßheim beordert. Der Führer ermahnte seine obersten Kriegsherren, daß die Landung der Anglo-Amerikaner bald kommen müßte und hielt die Normandie beziehungsweise die Bretagne für die geeignetsten Orte zur Bildung der alliierten Brückenköpfe.

Der Führer schärfte seinen Kommandeuren ein, daß es dabei entscheidend sei, den Landeunternehmen „unter keinen Umständen länger als einige Stunden oder höchstens Tage” zu erlauben. Die schnelle und geschickte Abwehr kanadischer Kommandos beim Hafen von Dieppe im August 1942 war für Hitler der Idealfall; es dauerte nur wenige Minuten, die kanadischen Kommandos auszuradieren. Für Hitler war eines klar - nach einem zerschlagenen Landeversuch würden die Alliierten auf Monate desillusio-niert und keinen zweiten Versuch mehr wagen.

Um die Verteidigung im Westen auf Vordermann zu bringen, schickte Hitler im Jänner 1944 seinen Lieblingsgeneral, Feldmarschall Erwin Rommel, nach Frankreich. Dieser trieb dann den Ausbau der Abwehreinrichtungen des „Atlantikwalls” an den französischen Küsten wie ein Besessener voran. Mehr als sechs Millionen Minen, Tausende von Bunkern und „Rommel Spar-geln” (im freien Feld verpflanzte Pfähle gegen Lastenseglerlandungen), und 500.000 Vorstrandhindernisse hätten die Atlantikküste uneinnehmbar machen sollen. Die Organisation Todt hatte von 1941 bis Juli 1944 17,6 Millionen Kubikmeter Beton in den Bau des „Atlantikwalls” gegossen und im Juni 1944 waren 12.247 der geplanten 15.000 Verteidigungsanlagen fertig. Der Oberbefehlshaber West von Rundstedt meinte, der Atlantik sei der beste „Panzerabwehrgraben”, den es gäbe.

Propagandaminister Joseph Goebbels war nicht so zuversichtlich über die militärische Lage des Dritten Reiches wie Hitler und seine Generäle. Er sah gerade in der Abwehr alliierter Landungen im Westen eine große Chance, den von ihm schon 1945 angekündigten „totalen Krieg” endlich in die Tat umzusetzen und die Moral an der Heimatfront zu stärken. Noch am 4. Juni hatte er bei einer Nürnberger Großkundgebung großsprecherisch verkündet: „Uns reizt es nur, mit einer geringeren Zahl, aber höheren Qualität, einer höheren Zahl, aber geringeren Qualität entgegenzutreten; und da zu siegen, das reizt uns!”

Wer stirbt leichter?

Ähnlich tönte es vom General Jodl, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der seine Soldaten vor dem Kampf „auf Leben und Tod” warnte und über die bevorstehenden Landungen im Westen Stimmung zu machen versuchte, als er meinte, es würde „sich zeigen, wer besser kämpft und wer leichter stirbt”. SS-General Sepp Dietrich bestärkte Goebbels in seiner Zuversicht, als er ihm am 24. Mai versicherte, daß die Alliierten im Westen „nichts zu bestellen” haben werden. Er betonte, seine „phantastisch ausgestatteten” SS-Divisionen reichten aus, „dem Ansturm des Feindes wirksam zu begegnen”. An Zuversicht und Selbstüberschätzung fehlte es nicht.

Ausgerechnet diese „phantastischen” SS-Panzerverbände sollten aber am 6. Juni und den darauffolgenden kriegsentscheidenden Tagen nicht zum Einsatz kommen, da sie von der alliierten Luftüberlegenheit im Landesinnern festgenagelt wurden, beziehungsweise wegen der dauernden Luftangriffe nur im Schneckentempo in die Normandie gelangten. In den alles entscheidenden ersten Stunden der Invasion reagierte die deutsche Heeresleitung nicht, in deren Händen der Einsatz der Panzerreserven lag.

Die Anglo-Amerikaner waren nicht nur in der Luft, sondern auch im Geheimdienstwesen erdrückend überlegen. Mit ihren ungemein erfolgreichen Täuschungsmanövern des Unternehmens „Fortitude” schufen sie ganze Phantomarmeen in Südengland und Schottland, um deutsche Divisionen am Pas-deCalais und in Norwegen zu binden (und so möglichst weit von der Normandie fernzuhalten). Damit wurde die deutsche Militärführung gänzlich übertölpelt. Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht glaubten tatsächlich noch bis in den Juli hinein, die Normandielandungen seien ein Ablenkungsmanöver und die Hauptlandung komme direkt über den Pas-de-Calais.

Die Uneinigkeit zwischen der Militärführung im Westen und dem OKW, gemeinsame strategische Vorstellungen über den Einsatz der Panzerarmeen zu entwickeln, und das totale Versagen der deutschen Abwehr sollten sich als die größten Versager der Hitlerschen Militärführung im Verlaufe der Junikämpfe in der Normandie herauskristallisieren. Als Hitler die Panzerreserven Ende Juli (!) freigab, war es zu spät. Die Alliierten waren bereits aus der Normandie ausgebrochen und machten sich an die Eroberung von Paris, die ihnen im August gelang.

Der einzelne Soldat, wenn er das Unglück hatte in der Normandie stationiert zu sein, hadert bis zum heutigen Tage mit seinem Schicksal (vergleiche den Zeitzeugenbericht von Hans Höller auf Seite 11). Die alliierten Großangriffe aus der Luft und von der See her waren in ihrer konzentrierten Intensität einmalig in der Kriegsgeschichte. Es wurde zum ungleichen Kampf Mensch gegen hochexplosive Kriegsmaschine.

Heute klingt es wie ein schlechtes Operettenlibretto, aber das OKW wagte nicht, Hitler aufzuwecken, um die Panzerreserven Richtung Normandie in Bewegung zu setzen.

Ausgerechnet der Motor der Abwehrbestrebungen Rommel war auf Urlaub im Schwabenland; General Edgar Feuchtinger, ein Mann, der in der Partei Karriere gemacht hatte und es zum Chef der 21. Panzerdivision gebracht hatte, also der einzigen in der Normandie stationierten Panzereinheit, machte sich einen schönen Abend bei seiner Freundin in Paris; die meisten übrigen Generäle waren für den Morgen des 6. Juni zu einem Kriegsspiel in Rennes versammelt und gelangten nicht mehr rechtzeitig zur Koordinierung der frühen Abwehrmaßnahmen in die Invasionsabschnitte zurück.

Die Soldaten, die an der Küste der Cotentin Halbinsel gelegen waren, trauten ihren Augen nicht, als sie Tausende von Schiffen im Kanal liegen sahen. Aus ihnen quoll ein unendlicher Strom von Menschen und Material hervor; die schweren Kaliber der Schiffsgeschütze pflügten die direkt an der Küste gelegenen Verteidigungsanlagen um. Die deutsche Marine und Hermann Görings einst stolze Luftwaffe hatten dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Nur ein Propagandawall

So mancher deutsche Soldat hatte mit Rommel in Nordafrika gekämpft. Ihnen war der Kampf gegen die Engländer noch als „fairer” Schlagabtausch im Kopf. Als nun die ersten Gefangenen unter den amerikanischen Gls gemacht wurden, schlug den Wehrmachtsoldaten ein abgrundtiefer Haß entgegen, der sie schockierte. Zudem hieß es, manche amerikanischen Luftlandeeinheiten machten am ersten Tag keine Gefangenen.

Die Ernüchterung im Felde trat also schnell ein. Die Demoralisierung wurde nur noch beschleunigt, als sich die lang angekündigten „Vergeltungswaffen”, die ab Mitte Juni die Wende hätten bringen sollen, als großer Flop erwiesen. Auch der Atlantikwall hatte sich als ein Propagandawall entpuppt. Heute gilt er unter manchen Historikern als „einer der größten Reinfälle der Militärgeschichte”. Er kann mit seinen zum Teil heute noch stehenden protzigen Bunkeranlagen als ein Erinnerungssymbol der Vermessenheit des Hitlerschen Unrechtsregimes gelten. Die alliierten Truppen wurden nicht am Atlantikwall und nicht am Westwall aufgehalten, und die erfolgreichen, Landungen in der Normandie sollten zum Anfang vom Ende des Dritten Reiches werden.

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