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Hitler, Holocaust und die Folgen

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Angesichts der Flut einschlägiger Literatur über die Zeit des Nationalsozialismus scheint es beinahe unverständlich, daß es eines Trivialfilms wie „Holocaust” bedurfte, um die Menschen bereit zu machen, sich mit ihrer jüngsten Geschichte auseinanderzusetzen. Anderseits hat gerade „Holocaust” das Interesse einer breiten Öffentlichkeit für dieses dunkelste Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts geweckt. Aus der Flut der neuen und neuaufgelegten Bücher, die im Zusammenhang mit der „Holocaust”-Ausstrahlung und davor auf den Markt gekommen sind, haben wir eine Auswahl zusammengestellt und in kurzer Form besprochen:

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Angesichts der Flut einschlägiger Literatur über die Zeit des Nationalsozialismus scheint es beinahe unverständlich, daß es eines Trivialfilms wie „Holocaust” bedurfte, um die Menschen bereit zu machen, sich mit ihrer jüngsten Geschichte auseinanderzusetzen. Anderseits hat gerade „Holocaust” das Interesse einer breiten Öffentlichkeit für dieses dunkelste Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts geweckt. Aus der Flut der neuen und neuaufgelegten Bücher, die im Zusammenhang mit der „Holocaust”-Ausstrahlung und davor auf den Markt gekommen sind, haben wir eine Auswahl zusammengestellt und in kurzer Form besprochen:

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,Phänomen Hitler’

HITLER. Eine Generalabrechnung. Von Anton Antweiler. Glock & Lutz, Heroldsberg bei Nürnberg 1978, 200 Seiten, öS 197,50.

Ist Hitler nur ein politisches Lehrstück oder bereits wieder eine prinzipielle Gefahr, die genau in jenes Vakuum stößt, in das das deutsche Volk in einer durch Wohlstand nur verdeckten Krise und inneren Rich- tungslosigkeit hineinzurennen sich anschickt, fragt der Arzt Anton Ant- weiler. Im Winter 1942/43, in vielen Nächten im Keller, schrieb Antweiler seine Gedanken zum „Phänomen Hitler” nieder. Dann ruhte das Manuskript 35 Jahre lang in der Schublade, bevor er es wieder hervorholte, „um bewußt zu machen, mögliche Folgen unseres Handelns in jedem Zeitpunkt mit zu bedenken”. Wenn auch manche Denkschemata nur aus der damaligen Zeit zu verstehen sind, haben die Aufzeichnungen aus dem Luftschutzkeller ihre Gültigkeit kaum verringert. (fg)

„… DASS IHR MICH GEFUNDEN HABT.” Von Rudolf Binon, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1978, 280 Seiten, öS 221,10.

Das „Phänomen Hitler” hat schon früh auch die Psychologen zur Analyse gereizt. Der amerikanische Historiker Rudolph Binon bemüht sich nun, die Motive der Handelnden zu erforschen. Aus dem Zusammenspiel . der Traumata der Einzelperson Hitler mit denen des deutschen Volks erklärt er den Erfolg des „Führers”.

(fg)

Am Abend Trüffeln

GESPRÄCHE MIT DEM HENKER. Von Kazimierz Moczarski. Droste- Verlag, Düsseldorf, 1978, 451 Seiten, 13 Bilder, öS 296,-.

Die Szene wurde in einem Warschauer Theater vor wochenlang ausverkauftem Haus gespielt. Zu einem deutschen Massenmörder, der nach dem Krieg in einem Warschauer Gefängnis auf Prozeß und Hinrichtung wartet, wird ein polnischer Patriot in die Zelle gesteckt

Der Deutsche hat den Warschauer Gettoaufstand niedergeschlagen, die Überlebenden hingemetzelt und den Jüdischen Wohnbezirk” dem Erdboden gleichgemacht. Der Pole hat als Offizier der von London aus befehligten „Heimatarmee” im Warschauer Stadtaufstand gegen die Deutschen gekämpft. Er ist kein Kommunist. Er ist nicht bereit, seine Kameraden zu verraten. Grund genug für die Stalinisten, alles zu tun, um ihn zu brechen. Die Zelle mit dem Massenmörder ist Teü der körperlichen und seelischen Tortur.

Die Szene ist nicht erfunden. Der Deutsche hieß Jürgen Ströop, der Pole Kazimierz Moczarski. Als Moczarski im Stadtaufstand (ein Jahr nach dem großen Blutvergießen im Getto) gegen die Deutschen kämpfte, war die Rote Armee im Vormarsch auf Warschau. Sie blieb stehen, bis die Deutschen diesen letzten harten Kern des polnischen Widerstandes, der nicht kommunistisch war, ausgerottet hatten und rückte erst dann weiter. Beide wurden zum Tod verur teilt: Der SS-Gruppenführer, Generalleutnant der Polizei und Schlächter - und der Patriot. Stalinistische Realität.

Stroop wurde 1952 gehenkt. Moczarski kam davon, weil Stalin rechtzeitig starb. Viele Jahre später schrieb er die Geschichte seiner neunmonatigen Zellengemeinschaft für die Zeitschrift „Odra” nieder. Bühnenfassung und Buch entstanden nach seinem Tod. Der volle Text des Gerichtsurteiles, in dem er und mit ihm die polnische Heimatarmee 1956 rehabilitiert wurde, darf heute in Polen nicht Veröffentlicht werden. Nachstalinistische Realität.

Was aber Stroop betrifft: Fällt dieser Name, bleibt der Blick vieler Zeitgeschichte-Studenten leer. Einst hat er die Menschen elektrisiert. Aber die kollektiven Erinnerungen wandern von den Gehirnen in die Archive, Staub begräbt sie. Stroop: Ein paar Bilder in vergübenden Büchern. Ein eisiger Blick und ein schmaler Mund unter der Mütze mit dem Totenkopf. Als Angeklagter zeigte er keinen Mut. Wer er war, wie er so wurde, wie er war, erfahren wir von Moczarski, der die Psychotortur dieser Zellengemeinschaft als Chance begriff, seelische Struktur und Denken eines solchen Individuums zu studieren.

Stroop ist vergessen, aber sein Psychogramm ist ein wertvoller Beitrag zur Psychologie des subalternen opportunistischen Massenmörders in Uniform, und zur Gefährlichkeit der Verbindung von Brutalität, Ehrgeiz und Bereitschaft, sich einzupassen und unterzuordnen.

Stroop ekelte sich vor dem Blut auf seinen Stiefeln, zwei Soldaten mußten sie schnellstens säubern. Am Abend nach dem großen Schlachten genoß er Burgunder, Wildbraten mit Trüffeln und sein luxuriöses, von den Ordonnanzen mit feinster Wäsche überzogenes Bett.

SS-Terror und Überleben im KZ

ANUS MUNDI. Fünf Jahre Auschwitz. Von Wieslaw Kielar. S. Fischer-Verlag, Frankfurt/M., 1979, 420 Seiten, öS 218,40.

Einer der allerersten Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz, der dort fünf Jahre überlebte, schüdert äußerst differenziert, was er erlebte, die Lagerhierarchie, die Techniken des Überlebens, die Verhaltensweisen von Gefangenen, Kapos und SS-Leuten. Er fand dafür einen akzeptablen Kompromiß zwischen dokumentarischem Bericht und romanhafter Auflockerung. (hb)

DER SS-STAAT. Das System der deutschen Konzentrationslager. Von Eugen Kogon. Wilhelm Heyne-Verlag, München 1979, 431 Seiten, öS 53,—.

Kogons Analyse der Hitler’schen Vernichtungsmaschinerie, die nun zum ersten Mal als Taschenbuch erschienen ist, zählt zu den wichtigsten Dokumenten über den nationalsozialistischen Terror überhaupt. Der Autor, der selbst sieben Jahre in Gefängnissen der Gestapo, dann im Konzentrationslager Buchenwald verbrachte, schrieb sein Buch in ei nem nüchtem-referierenden Stil, wobei er sich vor allem auf selbst Erlebtes und auf 150 Einzelprotokolle stützte. Was diesem Buch seine unheimliche Eindringlichkeit gibt, ist die Emotionslosigkeit des Berichtes, das Aufzählen der nackten Tatsachen, denen man angesichts der bestialischen Brutalität der SS-Henker noch immer fassungslos gegenüber- ‘ stehen muß. (bb)

Widerstandsbewegungen

DAS GEHEIMNIS DER ROTEN KAPELLE. Von Gert Sudholt. Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See 1978, 376 Seiten, öS 221,20.

Zu den aktivsten Widerstandsgruppen im Reich gehörte die „Rote Kapelle”, die vorwiegend aus Intellektuellen bestand, nicht nur Kommunisten, auch wenn sie ihre Befehle aus Moskau erhielten, und von denen die meisten unter dem Fallbeil endeten. Gert Sudholt legt in seinem Buch die amerikanischen Dokumente über die Tätigkeit der Roten Kapelle und das Schicksal ihrer Mitglieder vor.

(fg)

WIDERSTRAND IM DRITTEN REICH. Von Ger van Roon. Verlag C. H. Beck, München 1979, 251 Seiten, öS 146,60.

Der niederländische Historiker Ger van Roon gibt in diesem Taschenbuch einen äußerst interessanten und umfassenden Überblick über die Widerstandsbewegung im Dritten Reich, die von rein humanitär motivierten Gruppen bis zum Kreis um Graf Stauffenberg reichten. Der Autor stützt sich auf die bisherigen Forschungsergebnisse und wird dem Objektivitätsanspruch im hohen Maße gerecht. Zwei Kapitel seines Buches widmet van Roon den religiösen Widerstandsbewegungen.

(bb)

Kein Interesse an Europa

IN GEHEIMER MISSION. Von Averell HarrimanlElie Abel, See- wald-Verlag, Stuttgart-Degerloch 19 79, 440 Seiten, öS 312,-.

Er ist gebrechlich, sein Erscheinungsbild das eines alten Mannes geworden. Aber noch heute hört man in Washington auf die Stimme Averell Harrimans, des Vertrauten mehrerer demokratischer Präsidenten, Freundes Churchills und Teilnehmers an historischen Konferenzen wie Teheran, Jalta und Potsdam. Sein 1975 in den USA erschienenes Memoirenwerk, das nun in Deutsch erschienen ist, wurde geschrieben vom Columbia-Professor Elie Abel, der auf persönliche Erinnerungen, Aufzeichnungen und Akten des Sonderbotschafters zurückgreifen konnte. Tausend Details faszinieren den Leser - vor allem die vielen Indizien für die längst bekannte, hier aber neu belegte Tatsache, daß US-Präsi- dent Roosevelt „mehr Interesse und größere Realitätsnähe” gegenüber den Problemen Asiens zeigte, wie hier vornehm formuliert wird.

Im Klartext: An Europa war Roosevelt desinteressiert, gegenüber Stalin war er naiv, und selbst der viel wirklichkeitsnahere Harriman, wurde erst anläßlich der Behandlung der Polenfrage durch Stalin der „unterschiedlichen Kriegsziele innerhalb der Allianz” (sprich: der völlig anders motivierten Politik Moskaus) gewahr. Was Roosevelt vorschwebte, waren drei, vier, fünf deutsche Staaten. Und die Gaulle erwartete für die Nachkriegszeit eine Einflußaufteilung zwischen Frankreich und der UdSSR in Europa… (hf)

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