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Hier begann der Kalte Krieg

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Der warschauer Autstand des Jahres 1944 ist heute Geschichte. Er ist aber auch Epos und Legende. In zahlreichen Aufsätzen, literarischen Darstellungen und Filmen hat die verzweifelte Erhebung dei polnischen Hauptstadt ihren Niederschlag gefunden. Gegen alle Beteiligten, Polen, Deutsche und Gewehr bei Fuß stehende Russen, sind schwerste Vorwürfe erhoben worden. Was aber den Blick der Historikei immer wieder in diese heroische Stadt des Jahres 1944 zurückzieht, ist, daß Vorgeschichte, Verlauf und Ende der Warschauer Erhebung für die osteuropäische Gegenwartsgeschichte von überragender Bedeutung waren und in ihren Auswirkungen für die Völker dieses Raumes bis heute spürbar geblieben sind. T e s k e hat nur zu recht, wenn er in seinem Buch „Die silbernen Spiegel“ schreibt: „Hier — und nirgendwo anders begann der kalte Krieg zwischen Ost und West“ (S. 228).

Selbstverständlich stellen die Polen den Löwenanteil unter den historischen Publikationen. Was aber bisher fehlte, war eine fundamentale deutsche Darstellung. Das ist durchaus verständlich, war doch die Niederkämpfung der Warschauer Erhebung und die dabei an der Zivilbevölkerung verübten Untaten vielleicht das dunkelste Kapitel der deutschen Waffen im zweiten Weltkrieg.

Dem deutschen Historiker Hanns von K r a n n h a 1 s ist es daher zu danken, daß er sich nicht scheute, dem heiklen Thema näherzutreten. Nur beiläufig erwähnt, aber von Bedeutung erscheint, daß der Verfasser in keinem persönlichen Zusammenhang mit den blutigen Ereignissen stand. Als junger Oberfähnrich der Luftwaffe war er im fraglichen Zeitpunkt bei Nijmwegen eingesetzt. Krannhals' Arbeit basiert auf den der deutschen Forschung erst seit 1961 zugänglichen Akten zum Kriegstagebuch der 9. Armee. Er zieht aber auch — und das verleiht dieser deutschen Darstellung verstärktes Gewicht — alle erreichbaren polnischen Aktenpublikationen und die historischen Darstellungen als Unterlagen heran, und zwar die exilpolnischen wie die — kein gerade glücklich gewähltes Wort — „sowjetpolnischen“.

Krannhals' Buch hat zwei Schwerpunkte. Den ersten bildet seine gewissenhafte Untersuchung über die umstrittene Auslösung der Erhebung wie ihre Desavouierung durch die heranrückende Sowjetarmee, Entgegen den landläufigen Auffassungen, die russischen Truppen seien von allem Anfang vor Warschau kurz getreten, kommt Krannhals zu der Auffassung, daß dies für die erste Phase nicht zutrifft. Durch ein eingehendes Studium der militärischen Lage im Räume Warschau Ende Juli 1944 kommt der Autor zu der Ansicht, daß die Sowjetarmee vor allem durch den mißglückten Raid ihres III. Panzerkorps nicht schurstraks auf Warschau durchstoßen konnte. Dies wurde bei dei den Aufstand auslösenden Besprechung im Warschauer Hauptquartier der der Londoner Exilregierung verpflichteten „Armia Krajowa“ (Heimatarmee) nicht erkannt. Dort stand man vielmehr unter dem poü-tisch-psychologischen Druck, ja nicht mit der Erhebung zu spät zu kommen und daduich einen Trumpf in der zweifelsohne bevorstehenden Auseinandersetzung übei die politische Zukunft Polens zu verlieren.

Neben dieser Fehleinschätzung, zu der auch eine Überbewertung des Ausmaßes der Auflösungserscheinungen bei den deutschen Truppen kam, kritisiert Krannhals auch das Grundkonzept der Erhebung. Dieses war ebenfalls durch die Vorhetr-schaft politischer über militärische Gedanken eher auf eine „Machtergreifung“ eingestellt, statt sich auf die Eroberung einiger strategisch wichtiger Punkte zu konzentrieren. So konnten bis zum Abend des 1. August zwar unter schweren Verlusten eine Reihe öffentlicher Gebäude von den polnischen Untergrundsoldaten besetzt werden, aber keine einzige der strategisch so bedeutenden Weichselbrücken war in ihrer Hand. Krannhals hält dies für das Schicksal des Aufstandes von entscheidender Bedeutung. Eine Kontrolle der Weichselbrücken durch die Aufständischen hätte — nach seiner Ansicht — die russische militärische Führung ohne Rücksicht auf die später einsetzenden politischen Erwägungen direkt nach Warschau „hineinsaugen“ müssen.

Wenn Krannhals damit den Aufstand bereits am Abend des 1. August 1944 militärisch gescheitert sieht, so stellt ei trotzdem auch das Ausbluten der polnischen Metropole in zwei langen Monaten voll Kampf, Heroismus und Veizweiflung wirklichkeitsgetreu dar. Hier ist auch

Kaum genug, um aen russischen Anten an diesem Drama protokollarisch festzuhalten. Krannhals begnügt sich aber nicht mit dieser für einen deutschen Autor ehci bequemen Darstellung. Er wählt die undankbarste Aufgabe. Er konzentriert sich auf die Aufhellung der Schuld für die Verbrechen an der Zivilbevölkerung, denen allein in der Vorstadt Wola in den ersten Augusttagen gemäß Himmlers Befehl „Vernichten Sie Zehntausende“ an die fünfzehntausend Männer, Frauen und Kindel zum Opfer fielen. Hier wird der Historikei zum Kriminalisten. Nüchtern und unbestechlich ist seine Ermittlung. Mit Hinweisen auf den Marodcurehaufen des spätei von den Deutschen selbst erschossenen russischen Faschisten Kaminski und aul das wüste Treiben der Rabauken eines Dirlewanger begnügt er sich nicht. Klai und deutlich nennt Krannhals, nachdem ei seine diesbezüglichen Forschungen zum Abschluß gebracht hat, als Hauptverant-wortlichen für die systematisch durchgeführten Erschießungen der Bewohner ganzet Häuserblocks den SS-Gruppenführer Heinz Reinefarth, heute Bürgermeistci auf Sylt. Beinahe aufatmend notiert der Verfasser: „Die Erschießungskommandos stellten Mannschaften der Gendarmerie, der SS, aber auch nach übereinstimmenden polnischen Zeugenaussagen keine Angehörigen der Wehrmacht.“ Hier wird Krannhals' Engagement erkennbar, den Schild det ehemaligen Deutschen Wehrmacht von dem in Warschau vergossenen unschuldigen Blut zu reinigen. Dies gelingt auch mit Überzeugungskraft. Was die Zerstörung der armen Stadt nach dem Ende des Aufstandes betrifft, so muß jedoch auch Krannhals feststellen: „Die Verantwortlichen für die Zerstörungsbefehle waren Guderian und Model“ (S. 422).

Über die Ruinenfelder Warschaus blik-kend, unter deren Trümmer 166.000 tote Polen und an die 20.000 gefallene Deutsche lagen, hält Krannhals fest: „Das Beispiel Warschaus beweist während des zweiten Weltkriegs erneut, daß es kein grausameres, blutigeres und schmutzigeres Kampffeld gibt als die zum friedlichen Leben von Menschen geschaffene Großstidt. Neben dem Luftangriff ist der Großstadtstraßenkampf eine der unsinnigsten und schrecklichsten Fehlleistungen der menschlichen Zivilisation des 20. Jahrhunderts. Wer ihn herausfordert, beschwört ein Inferno.“

Diese Überlegungen lassen die Gedanken vom Warschau des Oktober 1944 nach dem Wien des April 1945 wandern. Auch hier gab es ja bekanntlich den Versuch eines militärischen Aufstandes. Die Bemühungen der militärischen Widerstandsgruppe in Wien zielte aber bewußt auf die Verhinderung dieses Infernos hin. Die Erkenntnisse von Krannhals aus der Tragödie Warschaus sind aufs neue geeignet, dieses Unternehmen ins rechte Licht zu rücken. Selbst noch in seinem Scheitern hat es mitgeholfen, der österreichischen Hauptstadt das Schicksal ihrer polnischen Schwester zu ersparen.

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