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„Gebt mir 30.000 Bomber ..“

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Auf die Frage, ob der britische und amerikanische Bomben krieg g;egen die deutschen Städte in der Form, in der er yi äh7 rend dės Zweiten Weltkrieges geführt wurde, eine militärische Notwendigkeit darstellte, wurde bisher keine endgültige. Antwort gegeben; und es ist sehr fraglich, ob es je zu einer solchen Ant- wort kommen wird. Da die Flächenbombardements gegen Städte vor allem von britischer Seite forciert wurden und die amerika nische Luftwaffe widerstrebend und zu spät auf diese Linie eih- schwenkte, und das Lntfesseln der furchtbaren Fläc’henbr-ände niemals zu ihrer Sache machte, fühlten sich in den letzten Jahren vor allem britische Historiker von diesem Thema herausgefordert.

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Auf die Frage, ob der britische und amerikanische Bomben krieg g;egen die deutschen Städte in der Form, in der er yi äh7 rend dės Zweiten Weltkrieges geführt wurde, eine militärische Notwendigkeit darstellte, wurde bisher keine endgültige. Antwort gegeben; und es ist sehr fraglich, ob es je zu einer solchen Ant- wort kommen wird. Da die Flächenbombardements gegen Städte vor allem von britischer Seite forciert wurden und die amerika nische Luftwaffe widerstrebend und zu spät auf diese Linie eih- schwenkte, und das Lntfesseln der furchtbaren Fläc’henbr-ände niemals zu ihrer Sache machte, fühlten sich in den letzten Jahren vor allem britische Historiker von diesem Thema herausgefordert.

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Großbritannien trat mit einer Bomberwaffe, die sich noch im Embryonalstadium befand, in den Zweiten Weltkrieg ein. Erst im Frühjahr 1942, mit weniger als 100 schweren Bombern, wurde die Voroffensive gegen die deutschen Städte eröffnet. Am Ende des Krieges jedoch standen auf alliierter Seite Tausende von viermotorigen Bombern zur Verfügung. Auch wenn der Oberkommandierende der britischen

BoAberstreitmacht, Luftmarschal] Arthur Harris, niemals Gelegenheil bekam, sein durchaus ernstgemeintes Bonmot , 0.000 Bomber — und der Krieg ist morgen zu Ende!“ unter Beweis zu stellen, ist sich die Geschichtsschreibung heute zumindest in dem einen Punkt einig, daß die ausgedehnten Zerstörungen, die am Kriegsende die deutschen Stadtlandschaften kennzeichneten, nur einen fragwürdigen Beitrag zur Beschleunigung des deutschen Zusammenbruches geleistet haben. Die sogenannte Benzinoffensive, eine Serie schwerer Schläge gegen die deutsche Teibstoffversorgung, hatte einen wesentlich größeren Effekt.

Am Ende des Zweiten Welt- und damit des Bombenkrieges wurde das Mißverhältnis zwischen dem auf alliierter Seite vorhandenen Zerstörungspotential auf der einen, und der geringen Zahl unzerstörter Stadtziele auf der anderen, grotesk. Zuletzt wurden Städteangriffe nur noch aus zwei Gründen durchgeführt: Weil der einzige Mann unter den Befehlshabern der alliierten Bomberstreitmächte, der wirklich wußte, was er wollte, unverrückbar auf das Zerstören von Wohnvierteln und auf das Töten von Rüstungsarbeitem, sprich:’ Zivilpersonen eingeschworen war — und weil jene, denen diese Vorgangsweise suspekt war, entweder keine gangbaren Alternativen anzubieten hatten oder in ihren Meinungen schwankten.

Die britische Luftkriegspolitik war 1939 von zwei Seiten her auf das unglücklichste festgelegt. Einerseits durch eine langjährige Unklarheit der luftstrategischen Vorstellungen, nachzulesen bei Anthony Verrier („The Bomber Offensive“, London 1968, S. 45 ff.), die sich in einem Nachhinken der technischen Entwicklungen äußerte, so daß nach Kriegsbeginn zwar mit der Massenfertigung schwerer Bomber begonnen werden konnte, diese aber weder für Präzisions- noch, infolge des Fehlens von Langstrecken- Begleitjägem, für Tagangriffe gegen Ziele im Inneren des Kontinents ein gesetzt werden konnten, so daß neben dem Flächenbombardement mit seinen verhältnismäßig geringen Anforderungen an die Zielgenauigkeit kaum Optionen offenblieben. In diesem Sinne war die von Harris am schärfsten vertretene Ideologie der Städtezerstörung Ausdruck der technischen Situation, was eine Erklärung dafür sein könnte, daß sich Harris in dieser Frage durchaus eines Sinnes mit der höchsten politischen Instanz wußte. Die bravourösen Talsperren-Angriffe („FURCHE“ Nr. 25/1973) bestätigten Harris: Ein unvollständiger Erfolg kostete das Leben einer Auslese der besten britischen Bomberbesatzungen.

Eine zweite, ebenso imglückliche Festlegung beruhte auf den Erfahrungen, die die Air Force bei det Unterstützung der Army gegen Aufstände in den verschiedenen Winkeln des Empire und bei ihrem eigenen Kampf um Emanzipation von der Army gesammelt hatte. Männer wie Harris hatten oft genug erlebt, wieviele britische Soldaten beim Niederschlagen eines Aufstandes im Erdkampf ihr Leben lassen mußten — und wie solche Aufstände schlagartig zusammenbrachen, wenn die Air Force die Dörfer der Aufständischen einäseherte - und deren Bevölkerung terrorisierte. Nachzulesen bei David Divine („Broken Wings“, London 1966, S. 161 f.), in der Schilderung des Zwischenfalles von Nuseriyah an der indischen Nordwestgrenze, wo die Eingeborenen und ihre Familien in den See getrieben wurden, „wo sie gute Ziele für die Maschinengewehre boten“, ganz breit nachzulesen bei Sir Arthur Harris selbst in seinen Erinnerungen („Bomber Offensive“, London 1947), wo er schildert, wie aufständische Dörfler im Irak schnellstens „zur Vernunft gebracht wurden“, indem man ihnen mit Lautsprechern von Flugzeugen aus die Zerstörung ihrer Wohnstätten ankündigte und wo er ein entsprechendes Vorgehen gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung nachträglich rechtfertigt.

Offiziere wie Harris waren zutiefst von der Überzeugung durchdrungen, es würde genügen, dasselbe gegenüber Deutschland mit entsprechend stärkeren, entsprechend mehr Bombern zu Wiederholen, um den Krieg zu gewinnen.

Auffallend an Harris ist vor allem die außerordentliche Starre, mit der er bis über den Krieg hinaus an seiner Vorstellung festhielt, der Zweite Weltkrieg hätte mit genügend Bombern fast ohne Operationen zu Lande gewonnen werden können — zutiefst verbittert vermerkt er: „Gewonnen wurde er dann doch wieder nur auf dem Land!“

Der Höhepunkt des Bombenkrieges, die Zerstörung Dresdens, irritierte auch Harris’ engsten Mitarbeiter, Sir Robert Saundby, der im Vorwort zu „Der Untergang Dresdens“ von David Irving (deutsch Gütersloh 1963) schreibt: „Daß die Bombardierung Dresdens eine erschütternde Tragödie war, kann niemand leugnen. Daß sie militärisch wirklich notwendig gewesen ist,, werden nach der Lektüre dieses Buches nur noch wenige glauben. Sie war eines jener furchtbaren, durch eine unglückliche Verkettung von Umständen hervorgerufenen Ereignisse, wie sie zuweilen im Kriege Vorkommen. Die ihr zustimmten, waren weder bösartig noch grausam, wenngleich es sehr gut möglich ist, daß sie von den Grausamkeiten des Krieges zu weit entfernt waren, als daß sie in vollem Umfange die verheerende Zerstörungskraft der Luftangriffe im Frühjahr 1945 begreifen komÄen.“

Welche Umstände verketteten sich nun zum Untergang Dresdens? Ihre Vorgeschichte reichte Jahre zurück. Für einige Faktoren, die dabei eine Rolle spielten, vielleicht die Hauptfaktoren, liegen nur Indizien vor, Volle Klarheit wird erst nach dei Freigabe der einschlägigen Archivmaterialien herrschen,, und diese ist für die nächsten Jahrzehnte kaum zu erwarten. Faktum ist, daß bereits im Juli 1944 das sogenannte „Don- nerschlag-Memorandum“ kursierte, in dem von ungeheuren Zerstörungen die Rede war, die erzielt werden konnten, wenn sich die gesamte vorhandene Zerstörungskraft „auf eine einzige große Stadt außer Berlin konzentrierte, und die Wirkung würde besonders groß sein, wenn es sich um eine Stadt handelte, die bis dahin relativ geringe Zerstörungen erlitten hätte“ (Irving).

Die naheliegende Vermutung, eine solche Stadt hätte sich auch als Ziel für die ersfe’Atombombegeeignet und hinter dem „Donnerschlag-Memorandum“ könnte die Zielsuche für die erste Atombombe stehen, die damals langsam, aber sicher ihrer Fertigstellung entgegenging, taucht seltsamerweise nur in der ostdeutschen Literatur zum Thema auf. Seltsam ist diese Enthaltung vor allem deshalb, weil ein Brief des deutschen Physikers Werner Heisenberg an die in der Bundesrepublik erscheinenden „Physikalischen Blätter“ außerordentlich brisante Andeutungen enthält:

„Im Sommer 1944 (wahrscheinlich Anfang Juli) kam einmal der Adjutant von Göring zu mir mit der Mitteilung, es sei über die deutsche Vertretung in Lissabon eine amerikanische Drohung gegen die deutsche Regierung ausgesprochen worden, es werde innerhalb der nächsten sechs Wochen eine Atombombe über Dresden abgeworfen werden, wenn die Regierung nicht in irgendeiner Art um Frieden bäte. Über den genauen Inhalt der Bedingungen wurde mir nichts mitgeteilt. Ich wurde von dem Adjutanten Görings gefragt, ob ich es für möglich hielte, daß die Amerikaner bereits über eine Atombombe verfügten. Mir war diese Frage begreiflicherweise sehr unangenehm, weil mit der Antwort auf jeden Fall eine große Verantwortung verbunden war. Ich habe dann gesagt, daß ich es zwar für außerordentlich unwahrscheinlich, aber nicht für völlig unmöglich hielte, daß die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt über eine solche Waffe verfügten, und habe versucht zu erklären, daß die Herstellung dieser Waffe auf jeden Fall einen enormen industriellen Aufwand erfordern müßte, von dem ich mir nicht denken könnte, daß die Amerikaner ihn schon geleistet hätten.“

Soweit Heisenberg. Die Meldung über die Arbeit an einer amerikanischen Atombombe geriet damals sogar in die „Stockholms Tidningen“, und es ist nur eines der Rätsel um dieses zeitgeschichtliche Kuriosum, daß diese schwedische Zeitungsnotiz der amerikanischen Gegenspionage entging.

Harris erklärt die Tatsache, daß Dresden erst im Februar 1945 zerstört wurde, glaubwürdig damit, daß die Stadt erst zu diesem Zeitpunkt in die Reichweite der Loran-Naviga- tion kam, an der sich die ausschließlich nachts fliegenden britischen Bomber orientierten. (Amerikanische Maschinen hätten Dresden selbstverständlich früher angreifen können, da sie bei Tag flogen.)

Sei es, daß Dresden am 13. Februar 1945 zerstört wurde, weil es dem britischen Bomberkommando erst jetzt möglich war, es zu zerstören, sei es, daß Dresden mit konventionellen Mitteln zerstört wurde, weil die Atombombe aus Zeitgründen nicht mehr gegen die für die Demonstration dieser Waffe „aufgesparte“ Stadt eingesetzt werden konnte — auch die Zerstörung Dresdens in der Nacht auf den Aschermittwoch 1945 hat einen greifbaren, aber nicht beweisbaren politischen Hintergrund.

Während Winston Churchill auf dieses Ereignis nur mit wenigen unverbindlichen Zeilen eingeht, während er sich würdigeren Anlässen ausführlich widmet, weist der sonst sehr offen zu seinen Ansichten stehende Harris in diesem einen Falle die Verantwortung von sich: „Ich weiß, daß die Zerstörung einer so großen und berühmten Stadt in diesem Stadium des Krieges selbst von sehr vielen Leuten, die anerkennen, daß unsere früheren Angriffe so voll gerechtfertigt waren wie irgendeine andere Kriegshandlung, für unnötig gehalten wurde. Ich will hier nur sagen, daß der Angriff auf Dresden damals von sehr viel wichtigeren Leuten als mir für eine militärische Notwendigkeit gehalten wurde, und daß, wenn ihr Urteil richtig war, dieselben Beweise angewendet werden müssen, die ich in

1 einem früheren Kapitel dargelegt : habe, in dem ich gesagt habe, wie , ich über die Ethik des Bombardie- 1 rens im ganzen denke.“ (Harris, : „Bomber Offensive“, S. 247.)

Tatsächlich verhält es sich so, daß i Harris seit Wochen um die Freigabe , mehrerer Städte, darunter Dresden, für Großangriffe gekämpft und daß er in dieser Frage sogar seinen ; Rücktritt angeboten, aber nicht die gewünschte Erlaubnis zur Vernichtung dieser Städte erlangt hatte, da damals die Benzinoffensive eine höhere Prioritätsstufe genoß. (Harris war ein Gegner der Benzinoffensive, da er die Städteangriffe für die zu jedem Zeitpunkt sinnvollste Art der Kriegsführung hielt!)

Als Harris dann Dresden tatsächlich zerstörte, tat er dies auf ausdrücklichen Befehl von höchster Stelle. Die beiden Argumente, die von offizieller Seite immer wieder als Gründe für den Angriff herangezogen wurden, sind nicht stichhältig. Dresden, wurde erklärt, sei zerstört worden, um die sowjetische Front zu entlasten. Tatsächlich wurde diese nicht entlastet, die britische Führung zeigte damals wenig Tendenz, den Truppen Stalins hilfreich entgegenzukommen, und frühere Versuche einer militärischen Zusammenarbeit in der Luftkriegsführung zwischen Großbritannien und Sowjetunion waren im Frühstadium kläglich gescheitert. Dresden, so wurde weiter erklärt» sei.-eįp wichtiger Verkehrsknotenpunkt gewesen und habe auch wichtige Rüstungsbetriebe beherbergt. Jedoch war der minutiös vorbereitete und generalstabsmäßig durchgeführte Angriff so angelegt worden, daß die Verkehrsziele außerhalb der total zerstörten Zone blieben, und auch Betriebe und Kasernen, die ja alle in den Außenbezirken lagen, blieben, schlag’ nach bei Kästner („FURCHE“ 5/1975) durchwegs heil.

Aufschlußreich ist weniger der Zeitpunkt, zu dem die Vernichtung Dresdens geschah, als der Zeitpunkt, für den sie ursprünglich angesetzt war. Hätte die Vernichtung Dresdens zu dem ins Auge gefaßten Zeitpunkt stattgefunden, wäre sie nämlich als Fanal der Reichweite und Vemichtungskraft britischer Bomber mitten in die Konferenz von Jalta hineingeplatzt. Sie hätte dort die inferiore Stellung Großbritanniens als der schwächste von drei Verbündeten stärken können, oder zumindest hätte die Hoffnung auf einen solchen Effekt nahegelegen.

Doch es kam anders, denn damals lag viele Tage lang eine dicke Wolkendecke über dem Kontinent, die den Beginn des Zerstörungswerkes verzögerte.

Fünfzehn Minuten nach dem Aufreißen dieser hartnäckigen Wolkendecke fielen die ersten Bomben. Eine geringfügige Ungenauigkeit in der meteorologischen Prognose hätte das Unternehmen vereitelt. Offenbar setzte Harris alles auf eine Karte — ob aus Eigeninitiative, oder weil er in diesem Falle zur Eile getrieben wurde, muß jeder an Hand des historischen Materials für sich entscheiden. In den folgenden Stunden starben mehr Menschen als in Hiroshima. Aber die Konferenz von Jalta war vorbei und die Zerstörung Dresdens hatte keinen oder kaum einen machtpolitischen Effekt.

Es bedeutet keine Verwischung der Unterschiede zwischen Hitler und seinen Gegnern, zwischen Angriffskrieg und Völkermord auf der einen Seite und Verteidigung mit über das Ziel schießenden Mitteln auf der anderen, wenn man im Zusammenhang mit der Vernichtung Dresdens von einem Kriegsverbrechen spricht und die Schuldfrage stellt.

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