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Wiege des Bombenkrieges

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Ein Kreis schließt sich: Der Irak ist Ziel der schwersten Luftangriffe seit es Flugzeuge gibt. Die Doktrin des alliierten Bombenkrieges gegen Deutschland beruhte aber nicht zuletzt auf Erfahrungen, welche die Royal Air Force bei der Niederwerfung von Unruhen in allen Teilen des Empire gemacht hatte. Der Kampf auf der Erde war opferreich, erschienen Flugzeuge und äscherten Dörfer ein, brachen die Aufstände meist sofort zusammen.

Arthur Harris, der später als Luftmarschall das britische Bomberkommando leiten sollte, hatte seine Schlüsselerlebnisse im Irak. In seinen Memoiren („Bomber Offensive" , London 1947) schildert er, wie dort rebellische Dörfler schnell „zur Vernunft gebracht" wurden, indem man ihnen mit Lautsprechern von Flugzeugen die Zerstörung ihrer Wohnstätten ankündigte. Enttäuscht zog Harris die Bilanz des Zweiten Weltkrieges: „Gewonnen wurde er dann doch wieder nur auf dem Land!"

Heute gibt sich niemand der Illusion hin, Kuweit aus der Luft befreien zu können. Aber schon am ersten Tag fiel mehr Zerstörungskraft in Form von Bomben und Raketen auf den Irak als in der Nacht auf den 12. Februar 1945 auf Dresden. Trotzdem ist von der Hoffnung, es könnte ein kurzer, relativ schmerzloser Krieg werden, nur mehr wenig übrig.

Schneller als jedes Waffensystem verändern sich nach Ausbruch ei-

nes Krieges die Menschen. So wie die Waffen werden auch die ethischen Grundsätze seinen Notwendigkeiten angepaßt.

Zeitgeschichtliches Schulbeispiel ist die Entwicklung, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien dazu führte, daß der Vorsatz, den Luftkrieg unter Schonung der Zivilbevölkerung zu führen, über Bord geworfen wurde. Allerdings wurde der Bruch mit dieser verbal vorerst von allen Kriegführenden betonten Verpflichtung so lang geheimgehalten, bis auch die öffentliche Meinung genügend radikalisiert war.

Die Humanität fiel zunächst technischen Realitäten zum Opfer. Das gezielte Zerstören militärischer und kriegswirtschaftlicher Anlagen erwies sich mit den zur Verfügung

stehenden Mitteln als so schwierig, daß eine entscheidende Schwächung der deutschen Kriegsmaschine auf diesem Weg für Großbritannien nicht erreichbar schien. Sturzbomber waren eine deutsche Spezialität.

Der besonders gründlich vorbereitete Versuch, durch die Ausschaltung von vier Talsperren die Stromversorgung des Ruhrgebietes lahmzulegen, wurde im Mai 1943 zum Fiasko. Die Flutwellen der Möhne-und Edertalsperre töteten 1.500 Menschen, darunter ein ganzes Lager ukrainischer Zwangsarbeiterinnen, die Royal Airforce verlor eine Auslese ihrer besten Leute, der erhoffte Effekt aber blieb aus, da zwei weitere Talsperren nur beschädigt und die zerstörten schnell repariert wurden.

So stand der Verwirklichung des Konzeptes von Luftmarschall Harris nichts mehr entgegen. Er vertrat vehement die These, mit 30.000 schweren Bombern den Krieg sofort beenden zu können. Man hatte den Tod von Zivilisten bei Angriffen gegen Industrieziele zunächst als unvermeidlich in Kauf genommen. Nun wurde er direkt angestrebt. Vernichtung des deutschen Potentials an Arbeitskräften wurde das primäre Ziel.

Am Ende stand der nackte Massenmord. Der Angriff auf Dresden galt der bis dahin unbeschädigten historischen Altstadt mit ihren Kunstdenkmälern und leicht brennbaren Fachwerkbauten und den Menschen. Indizien deuten darauf hin, daß Dresden ursprünglich als Ziel der ersten Atombombe ausersehen war. Die dann von rund 2.000 Bombern mit „konventionellen

Mitteln" durchgeführte Vernichtung tötete ebensoviele Menschen wie die erste Atombombe.

Die Aktion sparte Industrien und Verkehrsziele geradezu sorgsam aus. Sie hatte keinen militärischen Sinn, der Krieg war in die Endphase eingetreten, die Rote Armee stand vor der Stadt. Es gab keine Gegenwehr. Wahrscheinlich sollte die Vernichtung Dresdens in die Konferenz von Jalta hineinplatzen und Stalin Reichweite und Schlagkraft der Royal Air Force vor Augen führen. Aber als das Wetter den Angriff möglich machte, war die Konferenz vorbei. Daß Dresden trotzdem zerstört wurde, kann nur mit dem Abbau von Menschlichkeit im Lauf des Krieges erklärt werden.

Im Irak deuten viele Zeichen auf einen Krieg, der genug lang dauern und psychologisch derart eskalieren kann, daß die guten Vorsätze, Zivilisten zu schonen, zum Teufel gehen. Was besonders leicht geschieht, wenn der Gegner von Anfang an keine Hemmungen kennt. Zumindest in dieser Hinsicht ist Saddam Hussein, der mit Scud-Raketen auf israelische Städte schießt und kurdische Frauen und Kinder mit Giftgas ermordete, ganz gewiß mit Hitler vergleichbar, der lang vor den ersten alliierten Flächenbombardements Belgrad, Rotterdam und Coventry „coventri-siert" hatte.

Der Golfkrieg begann auch mit einer schnellen, direkten Fernsehberichterstattung. Aber dem Bravourstück der Reporter von der US-Fernsehstation CNN, die live aus ihren Hotelzimmern über den ersten Angriff auf Bagdad berichteten, folgte die Ausweisung der aus-

Harris-Botschaft an das deutsche Volk, Flugblatt (Archivf

ländischen Korrespondenten (bis auf einen CNN-Mann) - und eine Informationspolitik der US-Streitkräfte, die offenbar darauf abzielt, das zu verhindern, was schließlich, neben anderen Faktoren, das Ende des Vietnamkrieges erzwang: Den „Tod im Wohnzimmer". Der Krieg am Golf soll wenigstens auf dem Fernsehschirm im amerikanischen Heim ein sauberer Krieg sein, ohne sichtbare Zerstörungen, Tote, Blut.

Das aber ist gefährlich. Auch für die Urheber einer solchen Informationspolitik selbst, denn die Wahrheit holt sie irgendwann ein. Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs sollte vor der Gefahr des Absturzes in die Bestialität warnen: Auch Befreier sind davor nicht gefeit. Man zieht als Mensch in den Krieg und kommt als Unmensch zurück. Wenn etwas den Abbau humaner Grundsätze, der in jedem Krieg droht, verhindern oder verzögern kann, dann am ehesten eine kritische öffentliche Meinung.

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