6838946-1975_32_01.jpg
Digital In Arbeit

Hiroshima — sans amour

19451960198020002020

Zur gleichen Zeit, da in Helsinki, in Gegenwart von 35 Staatsmännern aus allen europäischen Ländern (Albanien ausgenommen), aus den Vereinigten Staaten und Kanada, in Gegenwart von 1200 Journalisten und 900 offiziellen Delegierten, das Superfestival des Friedens zu Ende ging, hätte die Welt eines Ereignisses gedenken können, das fast genau dreißig Jahre vorher stattgefunden hatte und in dessen Schatten jeder seither lebt — auch die Konferenz von Helsinki: des Abwurfs der ersten Atombombe, am 6. August 1945, um 8.34 Uhr, über Hiroshima. In einem bis dahin nicht gekannten Feüersturm verglühte diese Stadt, die vor dem Abwurf der Bombe 400.000 Einwohner gehabt hatte. Rund 280.00p Menschen starben entweder sofort oder im Lauf der nächsten Wochen Monate, Jahre.

19451960198020002020

Zur gleichen Zeit, da in Helsinki, in Gegenwart von 35 Staatsmännern aus allen europäischen Ländern (Albanien ausgenommen), aus den Vereinigten Staaten und Kanada, in Gegenwart von 1200 Journalisten und 900 offiziellen Delegierten, das Superfestival des Friedens zu Ende ging, hätte die Welt eines Ereignisses gedenken können, das fast genau dreißig Jahre vorher stattgefunden hatte und in dessen Schatten jeder seither lebt — auch die Konferenz von Helsinki: des Abwurfs der ersten Atombombe, am 6. August 1945, um 8.34 Uhr, über Hiroshima. In einem bis dahin nicht gekannten Feüersturm verglühte diese Stadt, die vor dem Abwurf der Bombe 400.000 Einwohner gehabt hatte. Rund 280.00p Menschen starben entweder sofort oder im Lauf der nächsten Wochen Monate, Jahre.

Werbung
Werbung
Werbung

Am 9. August erfolgte dann der Abwurf der zweiten Bombe, diesmal über Nagasaki, mit dein gleichen verheerenden Folgen. Der Abwurf der beiden Atombomben bewirkte, daß Japan, obwohl seine Lage, strategisch gesehen, noch sehr gut war, endgültig kapitulierte und daß der Zweite Weltkrieg auch in diesem Teil der Welt sein Ende fand. Der Abwurf der beiden Bomben bewirkte aber noch etwas anderes: daß die Welt seither in Angst vor den Atombomben lebt. So tragisch es klingt, so ist es doch richtig, wenn behauptet wird, daß die beiden Atombomben der Welt einen langen Frieden beschert haben. Und so gräßlich die Opfer von Hiroshima und Nagasaki sind, und so eindeutig an diesen Opfern die Sinnlosigkeit eines modernen Krieges sichtbar wird t- diese Menschen sind nicht umsonst gestorben. Ihr schrecklicher Tod, ihr ungeheures Opfer, hat der Welt eine lange Friedensperiode geschenkt.

Es ist eine alte Weisheit, daß ein neuer großer Krieg mit jenen Waffen beginnt, mit denen der letzte aufgehört hat: der Erste Weltkrieg fing mit jenen Waffen an, mit denen der russisch-japanische Krieg geendet hatte, mit Schützengräben und Maschinengewehren. Der Erste Weltkrieg endete mit Tanks und Flugzeugen, und der Zweite begann mit ebendiesen Waffen. Der Zweite Weltkrieg endete mit den Atombomben, und jedermann ist klar, daß ein neuer großer Krieg mit dieser Waffe beginnen würde.

Die beiden Mächte, die die Atombombe besaßen, die USA und die UdSSR, bauten ihre Atomvorräte ungeheuer aus. Sie „verbesserten“ alles nur mögliche an ihren „letzten“

Waffen, sie schufen gigantische Abwehrsysteme, alles nur, um zu verhindern, daß der „andere“, einige Minuten früher als die eigenen Ab-wehrkräfte einsetzen könnten, die erste Atombombe abwerfe, um so die erste Runde zu gewinnen. Denn dies war den beiden Mitgliedern des exklusiven Atomklubs klar, daß ein Atomkrieg alle bisherigen Kriege in den Schatten stellen würde und die Vernichtung eines Großteils der Menschheit nach sich ziehen müßte.

Aber der Atomklub blieb nicht ganz exklusiv. Und damit beginnt eine neue Tragödie. Der Klub nahm zwar keine neuen Mitglieder auf, mußte aber zur Kenntnis nehmen, daß auch Nichtmitglieder sich die Mitgliedskarte, genahnt Atombombe, dank der modernen Technik mehr oder minder leicht beschaffen konnten. Frankreich besitzt die Bombe, aber auch Brasilien, Israel, vielleicht Südafrika. Der Schah des Iran ist bald soweit und auch kleinere Staaten werden sich eines Tages diese Waffe beschaffen. Vor allem aber hat Rotchina die Bombe und mit seinen Atomtests traf es Rußland am Nerv. China, das ist die große Angst Rußlands. Um sich gegen China zu wappnen, unternimmt die UdSSR jeden nur erdenklichen Schritt, sei es militärischer, vor allem aber diplomatischer Art, um gegen ein China gewappnet zu sein, das die Atombombe besitzt und nicht Mitglied des Atomklubs ist. Rußland versucht in Europa zwei Sicherheitsgürtel zu schaffen: die ihm unmittelbar unterstellten Staaten des Warschauer Paktes als ersten, dann als zweiten Gürtel einen Streifen vorgelagerter neutraler Staaten. Durch die Revolution in Portugal erhielt es die Möglichkeit, das Mittelmeer zu sperren. Durch den Sturz des Negus und die Errichtung einer Diktatur in Äthiopien wurde die Welt der Möglichkeit beraubt, den Suezkanal an seinem südlichen Ende zu sperren. Unter dem Druck Rußlands sollen sich Israel und Ägypten auf einen Modus vivendi einigen. Bereits erreicht: die Öffnung des Suezkanals, damit durch diesen die russische Flotte aus dem Schwarzen Meer auf schnellstem Wege nach Asien gelangen kann. Durch den Krieg zwischen Indien und Pakistan und durch die Schaffung von Bangla Desh erhielt Rußland einen erstklassigen Hafen in Ostasien.

Und die Gespräche, die nun in Helsinki zu Ende gingen? Sie sollten das noch in Freiheit lebende Europa, dessen Raum immer kleiner wird (man denke an die Vorgänge nicht nur in Portugal, sondern auch in Italien), sie sollten die USA daran hindern, bei einer künftigen Auseinandersetzung sich einer Seite zuzuneigen, die nicht die Ziele Rußlands verfolgt. Insofern sind die Worte, die die Konferenz von Helsinki als eine Finnlandisierung der freien Welt bezeichneten, nicht von der Hand zu weisen.

Aber die große Chance von Helsinki liegt doch anderseits wieder darin, daß gerade bei dieser Gelegenheit sichtbar wurde, wie viel Rußland daran liegt, die USA im gemeinsamen Atomklub zu halten. Denn wenn beide Mächte einander nicht in den Haaren liegen, sondern imstande sind, Front gegen alle anderen Besitzer der Atomwaffen zu machen, dann ist die Existenz der UdSSR gesichert. Und die Existenz der USA dazu. Und auch der Friede ist wieder für eine Zeit gerettet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung