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Rote Armee Krieges 1945

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eine neue Armee, die 9. Gardearmee, bestehend aus zehn Divisionen; die 6. Gardepanzerarmee wurde vollständig aufgefrischt.

Während die Rote Armee im Donauraum am 16. März in einer Offensive gegen die deutsche Heeresgruppe Süd antrat, wurden die Vorbereitungen einer Großoffensive gegen Berlin - auf breiter Front nördlich der Karpaten - mit Riesenschritten vorangetrieben. Dabei dachte Moskaus Führung nicht nur an eine Offensive.

Stalin betrachtete die Oder-Linie nicht nur als Ausgangspunkt für die Berlin-Offensive, sondern auch als eine Aufnahme- und Verteidigungslinie für den Fall, daß die Rote Armee westlich der Oder zum Rückzug gezwungen würde.

Untersucht man die Leistungen der Pioniertruppen bei der 1. Belorussischen Front (Schukow), dann fällt auf, daß diese an der Oder-Linie allein für die Artillerie 4500 Stellungen (das heißt: 50 Stellungen je Frontkilometer) ausgehoben hatten. Zu Beginn der Berlin-Operationen waren im Küstriner Brückenkopf 636 Kilometer Gräben angelegt. Das bedeutet bis zu sieben Kilometer Graben je Frontkilometer - und das in einer Angriffsoperation.

Im Bereich der 1. Belorussischen Front wurde ein besonderer, umfangreicher Luftwaffenverband von 800 Bombern bereitgestellt. Galt dies der deutschen Wehrmacht, die, wenn auch noch kämpfend, bereits am Boden lag? Die rote Luftwaffe hatte in keiner Phase des Krieges die Bodenkämpfe der Truppe durch systematische Luftangriffe unterstützt.

Die größte Aufmerksamkeit schenkte Stalin jedoch Berlin. Ei-senhowers Mitteilungen, daß die anglo-amerikanischen Truppen nicht nach Berlin vorzustoßen gedenken, hielt er für eine taktische Finte.

Am 1. April wurden die Marschälle Schukow und Konjew in den Kreml beordert. Stalin besprach mit ihnen die Frontlage und legte ihnen nahe, die Angriffsoperationen auf Berlin so früh wie möglich auszulösen. Als Grund für die Eile gab er — so Konjew in seinen Memoiren - das Eisenhower-Telegramm an, in dem angeblich mitgeteilt worden sei, die Westmächte wollten Berlin erobern.

Konjew: „Der abschließende Teil des Telegramms gab uns bekannt, das Oberkommando der westlichen Alliierten wolle die Eroberung Berlins, die ursprünglich der Roten Armee zugedacht war, mit englischen Truppen realisieren und treibe mit voller Kraft die Vorbereitungen dazu voran.”

Nun mußte der gesamte Operationsplan der Stawka für die Berlin-Eroberung überarbeitet werden. Der ursprünglich auf den 20. April geplante Großangriff wurde auf den 16. April vorverlegt, wobei es noch nicht sicher war, daß Rokossowskis Heeresgruppe den Aufmarsch an der Oder rechtzeitig beenden könne. Die Hauptlast des Angriffs lag nach wie vor bei Schukows 1. Belorussischer Front.

Während der letzten Vorbereitungen für die umfangreichste Operation des Zweiten Weltkrieges auf sowjetischer Seite traf die Nachricht vom plötzlichen Tode Präsident Roosevelts ein — sie steigerte das Mißtrauen Stalins gegenüber seinen Verbündeten.

„Das war ein schwerer Schlag”, schrieb Ilja Ehrenburg in seinen Memoiren über jenen 12. April.

„Aus der heutigen Perspektive sehen wir deutlich, daß Roosevelt einer jener wenigen Staatsmänner Amerikas war, die das Friedensklima erneuern und die guten Beziehungen zur Sowjet-Union wahren wollten. Moskau zeigte Trauerfahnen. Alle rätselten daran herum, was der neue Präsident Truman wohl tun würde.”

Hitlers Tagesbefehl vom 13. April („Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch und Europa wird niemals russisch!”) schien die Befürchtungen des Kreml zu bestätigen. Truman war ihnen ohnehin kein Unbekannter. Als demokratischer Senator hatte er 1941 scharfe Aufsätze gegen den Kommunismus geschrieben. Aus Stalins Sicht war höchste Vorsicht geboten - der Sowjetarmee wurden neue Sicherheitsmaßnahmen verordnet.

Schon am 13. April erhielt Marschall Tolbuchin in Österreich den Befehl, alle weiteren Angriffshandlungen einzustellen. Die 9. Gardearmee sollte aus der Hauptkampflinie herausgelöst und als Reserve in die Wälder westlich und südwestlich des bereits eroberten Wien verlegt werden. Jeder weitere Vormarsch nach Westen wurde Tolbuchin untersagt.

Die von der 3. Ukrainischen

Front erreichte Linie (March — Stockerau — Sankt Pölten - westlich Gloggnitz - ostwärts Maribor und weiter das linke Drau-Ufer entlang) mußte befestigt, die Truppen mußten zur Verteidigung umgruppiert werden.

Und für die mögliche Fortsetzung des Krieges mit neuen Fronten suchten die Sowjets neue Bundesgenossen — und zwar bei den Deutschen.

Noch Ende Januar/Anfang Februar 1945 waren Schukows Soldaten an den deutschen Ostgrenzen mit riesigen Schildern der Moskauer Polit-Propaganda empfangen worden, auf denen zu lesen stand: „Rotarmist: Du stehst jetzt auf deutschem Boden - die Stunde der Rache hat geschlagen!” Ilja Ehrenburgs Haßtiraden -„Töte, Rotarmist, töte! Es gibt keine unschuldigen Deutschen. Die Deutschen haben keine Seele!” — machten in der Roten Armee die Runde.

Im April wurde die Haß-Propaganda plötzlich eingestellt. Neue Tafeln mit neuen Inschriften zi-

„Nach dem Tode Roose-. velts wurden der Sowjetarmee neue Sicherheitsmaßnahmen verordnet” tierten nun Stalin, der sagte: „Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.”

Am 16. April begann die entscheidende Schlacht der Roten Armee um Berlin. Am 25. April trafen sich Amerikaner und Russen an der Elbe bei Torgau — auch der sowjetische Ring um Berlin schloß sich an diesem Tag.

Für Stalin waren beide Ereignisse von größter Bedeutung, Konjew, dessen Truppen als erste auf die Amerikaner stießen, mußte dem Kremlherrn über dieses historische West-Ost-Treffen sehr ausführlich berichten. Er sprach von einem äußerst warmen Empfang durch die „Ameri-kanski”.

Aber gleichzeitig traf in Moskau die Meldung ein, daß sich die 12. Armee des General Wenck ohne Schwierigkeiten von der amerikanischen Front gelöst habe und nun auf Berlin marschiere, um die Stadt zu entsetzen.

Für Stalin stellte sich die Frage: Würden die Amerikaner nachstoßen, ihre in Halle vereinbarte Demarkationslinie überschreiten und Berlin vor der Roten Armee erreichen? Die Vertrauenskrise zwischen dem Kreml und den Westalliierten schien sich noch einmal gefährlich zuzuspitzen.

Sie löste sich erst auf, als am 29. April Wenck in der Zange zweier russischer Armeen bei Potsdam den Rückzug antreten mußte und deutlich wurde, daß weder Eisen-howers noch Montgomerys Truppen den Auftrag hatten, einen Vorstoß über die Elbe in Richtung Osten zu unternehmen.

Der Autor ist Militärhistoriker und Leiter der „Stiftung Schweizerische Osteuropa-Bibliothek” in Bern.

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