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Operation Taifun: Barbarossas Ende

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Die wahre Bewertung der Schlacht um Moskau war lange Zeit von der internationalen Historiographie verkannt worden. Die Deutschen verheimlichten begreiflicherweise ihre große Niederlage vor den Toren der sowjetischen Hauptstadt und was die Sowjets betrifft, betrachteten diese eigentlich bis zu J. W. Stalins Tod (1953), die Stadt an der Wolga, Stalingrad, als die große Wende in ihrem Vaterländischen Krieg.

Erst in den späten fünfziger Jahren, als man im Osten offener über den deutsch-sowjetischen Krieg zu schreiben begann, setzte sich an Hand von Fakten die Erkenntnis durch, daß für die Rote Armee der Anfang des Weges zum Brandenburger Tor in Berlin nicht Stalingrad, sondern Moskau war!

Begonnen hatte alles mit Adolf Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die deutsche Führung rechnete mit einem Blitzkrieg im Osten. Der auf Ton-

füßen stehende sowjetische Koloß, dessen Militärmacht im finnischen Winterkrieg 1939/40 ja vor der ganzen Welt seine Unfähigkeit darlegte, sollte von der siegesbewußten deutschen Wehrmacht in einem raschen Feldzug von sechs bis acht Wochen niedergeworfen, ja vernichtet werden!

Hitler wollte keinen „Befreiungsfeldzug“, vielmehr Kolonien in Rußland erobern, ein „deutsches Indien“, Lebensraum für die Germanen auf Kosten der ru- ßischen Bevölkerung. Der Krieg in Rußland, so entschied sich Hitler relativ früh, sollte als ein Weltanschauungskrieg ohne Ritterlichkeit und ohne Erbarmen geführt werden!

Der Sommerfeldzug 1941 verlief für die Deutschen erfolgreich: große Geländegewinne, enorme Gefangenenzahlen und Kriegsbeute ließen die Hoffnungen auf einen raschen Sieg in der deutschen militärischen Führung hochschnellen. Aber die Sowjets gaben sich nicht auf! Stalin verkündete gegen die „faschistischen Eindringlinge“ den totalen Krieg. Internationalismus wich Patriotismus. Der „Große Vaterländische Krieg der Sowjetunion“ schweißte die gesamte Bevölkerung des riesigen Reiches in einem Abwehrkampf zusammen.

Der Herbst 1941 brach ein. Die deutschen Divisionen stürmten weiterhin mit Elan ins Innere der Sowjetunion. Minsk, Smolensk, Kiew, Odessa waren gefallen, die baltischen Sowjetrepubliken erobert, das Donez-Becken und die

Krim bedroht. Doch der Zusammenbruch der Sowjetunion ließ auf sich warten.

Stalin gelang es, trotz der enormen Verluste, einen Großteil der Roten Armee vor Moskau zu konzentrieren. Wollte Hitler also, wenn auch mit Zeitverlust, sein Ziel im Osten 1941 doch noch erreichen, um sich dann wenigstens im Frühjahr 1942 der Kriegsführung im Westen und Mittelmeer wieder voll zuwenden zu können, mußte er noch vor Wintereinbruch die Rote Armee endgültig zerschlagen und den Sieg mit der Einnahme Moskau krönen.

Am 6. September 1941 ging der Befehl für die Offensive auf Moskau dem Oberkommando der Heeresgruppe Mitte zu. Er trug den Decknamen „Operation Taifun“.

Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte war Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Mit knapp 80 Divisionen, rund zwei Millionen Mann, sollte seine Heeresgruppe auf einer Breite von 600 Kilometer den Angriff aufnehmen, um das von der Ausgangslage 350 Kilometer entfernte Moskau zu erobern. Um die Stadt selbst sollte sich danach das Militär nicht mehr kümmern.

Hitler plante, Moskau „dem Erdboden gleich zu machen“.

Trotz eindeutiger Schwerpunktbildung der im Osten eingesetzten deutschen Divisionen auf die Heeresgruppe Mitte, waren die Kräfte — wie sich dann in der Praxis zeigte - für die „Operation Taifun“ in höchstem Maße unzureichend. Zwar konnten für die bewegliche Kriegsführung 14 Panzerdivisionen aufgeboten werden, doch diese hatten in den vorhergegangenen Schlachten den größten Teil ihrer Bestände eingebüßt.

So verfügten sie anstelle der erforderlichen 2.800 Panzer lediglich über 1.220 Kampfwagen. Noch schlimmer stand es mit den Kraftfahrzeugen und Zugmaschinen. Hier betrugen die Ausfälle bereits

bei Offensivbeginn 70 Prozent.

Am 2. Oktober 1941 ging aus dem Raum ostwärts von Smolensk bis Orel die Heeresgruppe Mitte zu ihrem Angriff auf Moskau über. Anfänglich lief alles wie vorgese,- hen. Die Sowjets waren überrascht worden: Sie erwarteten nach der für sie mit Niederlage endenden Schlacht von Kiew keinen neuen deutschen Angriff mehr; umsoweniger, da die Schlammperiode in ihren Augen jede bewegliche Kriegsführung zunichte machen müßte.

Am 7. Oktober erreichten die Deutschen ihren ersten Sieg über die sowjetische Heeresgruppe Ti- moschenko: 670.000 Gefangene und eine so große Kriegsbeute waren gemacht worden, daß Reichspressechef Dietrich am 10. Oktober in Berlin stolz verkündete, die Sowjetunion sei bereits erledigt! Hitler wies daraufhin GFM v. Bock an, jegliche Kapitulation von Moskau abzulehnen!

Stalins Taktik: Zeitgewinn

Für die Sowjets brach eine sehr schwere Zeit an. Stalin ließ jeden, der eine Waffe tragen konnte, gegen die anrückenden Deutschen einsetzen. Am 19. Oktober wurde der Belagerungszustand über Moskau verhängt, die Regierung und die ausländischen diplomatischen Missionen verließen die Stadt. Stalin selbst blieb jedoch und übernahm die Verteidigung der Metropole.

Frische Truppen wurden von allen Teilen des Reiches in Marsch gesetzt. Zehn Reserve-Armeen sollten in kürzester Zeit aufgestellt werden. Man beorderte Truppen aus dem Kaukasus, aus Mittel-Asien und aus dem sowjetischen Fernen Osten, da durch den sowjetischen Meisterspion in Tokio, den Deutschen Dr. Richard Sorge, Moskau noch Anfang Oktober die Nachricht erhielt, Japan werde in kürzester Zeit die USA angreifen und plane demzufolge keine kriegerischen Handlungen gegen die Sowjetunion.

Stalins Taktik beruhte auf Zeitgewinn. Die deutsche Offensivkraft mußte gebrochen werden, ehe sie Moskau erreichte!

Nach und nach kamen die Deutschen Moskau näher. Anfang November mußte jedoch der Angriff zeitweise eingestellt werden. Eine Ruhepause wurde eingelegt. Am 13. November befahl jedoch Generaloberst Franz Halder, Generalstabschef der Wehrmacht, den weiteren Angriff auf Moskau.

Am 15. November, nachdem der erste Schnee gefallen war und die Panzer wieder festen Boden unter sich hatten, nahmen die Deutschen den Angriff gegen Moskau erneut auf. Wenn es ihnen dabei

auch gelang, teilweise bis auf 30 Kilometer an die Metropole heranzukommen, so konnte der entscheidende Durchbruch auch diesmal nicht erzielt werden.

Der enorme Kräftemangel war nur ein Grund dafür. Dazu kamen noch die ungünstigen wetterlichen Verhältnisse.

Am 1. Dezember mußte GFM v. Bock Hitler die Meldung machen, daß die Kräfte der Truppe völlig erschöpft seien. Zwar standen deutsche Aufklärungspanzer in dieser Zeit bereits in Klin, in einem Moskauer Vorort und auch Tula im Süden der Stadt beziehungsweise der Wolga-Moskva- Kanal wurde erreicht — doch die „Operation Taifun“ war bereits zu Ende!

Nicht nur Schnee und Eis, nicht nur Raum und Abnützung, sondern auch der seit Ende Oktober immer stärker werdende sowjetische Widerstand war die Hauptursache des Scheiterns der Operation.

Die vor Moskau kämpfenden Rotarmisten wurden zusätzlich beflügelt von der Erkenntnis: „Wir dürfen Hitlers-Truppen nicht in die Stadt lassen.“

Kaum brach der deutsche Vormarsch ab - am 5. Dezember durften die Truppen zur Abwehr übergehen — trat für die Heeresgruppe Mitte überraschend die sowjetische „Dampfwalze“ in Aktion. Sieben rote Armeen, bestens ausgerüstet und von solchen Heerführern wie Schukow oder Konjew geführt, begannen ihre Gegenoffensive im Raume von Moskau.

Folgen für die Wehrmacht

Innerhalb von einer Woche gerieten die an der „Operation Taifun“ teilnehmenden deutschen Divisionen in eine bisher unbekannte Krise, denn die Rote Armee zerschlug nicht nur den deutschen Ring um die Hauptstadt, sondern sie zwang auch Hitlers Truppen — erstmals in diesem Krieg — zu einem Rückzug, der sich auf die Wehrmacht in mancher Hinsicht verheerend auswirkte:

• Vor Moskau im Dezember 1941 endete eigentlich das „Unternehmen Barbarossa“, Hitlers Plan einer „raschen“ Niederwerfung der Sowjetunion.

• Vor Moskau, im Dezember 1941, büßte die Wehrmacht erstmals in ihrer Geschichte das Vertrauen in die eigene militärische und politische Führung ein.

• Vor Moskau im Dezember 1941 war der Ninjbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht gebrochen worden.

Gleichzeitig dokumentierte der Abwehrsieg der Roten Armee Rußlands Wehrwille, sich auch nach dem verheerenden Sommerdisaster 1941 nicht geschlagen zu geben.

Stalins Armeen traten aus dem Moskauer Raum zu einer von den Deutschen unerwarteten Großoffensive an, in der Hoffnung, den erbarmungslosen Feind aus dem ganzen Land ,Jn kürzester Zeit“ hinausdrängen und das Siegesbanner bis nach Berlin tragen zu können. Aber dies dauerte noch genau 41 Monate…

(Der Autor, Militärhistoriker, ist Direktor der Schweizerischen Osteuropa-Bibliothek, Bem)

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