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Versagen vor Moskau?

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Von Klaus Reinhardt redigiert, gab die Schriftenreihe des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes den Band „Die Wende vor Moskau“, das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42 heraus. Mit echt deutscher Gelehrtengründlichkeit geschrieben, bildet dieser Band einen Teil eines zukünftigen großen deutschen Archivwerkes, das, basierend auf Originalakten, eine genaue Schilderung des katastrophalen Versuches der Wehrmacht bietet, Moskau zu nehmen und damit die Wendung, die Hitler schon im Sommer 1941 erhoffte aber nicht erreichte, herbeizuführen.

Das Ziel Hitlers war, Rußland zu vernichten. Dieser Weg führte über Paris und sollte später auch über London genommen werden, aber diese Wege stellten nur Verzögerungen dar, die Kräfte bannten, welche später im Kampf gegen Rußland fehlten.

Der große Angriff im Sommer 1941 brachte zunächst beachtliche Erfolge, aber die Vernichtung des Feindes blieb aus. Stalin gelang es, die Volksmassen zu mobilisieren und den Propagandaapparat sowie die • Leidensfähigkeit der Sowjetvölker in den Dienst der Verteidigung zu stellen. Er konnte ganz neue Industrien aufbauen und stampfte Division um Division aus dem Boden, die er, wenn auch im Anfang nur schlecht ausgerüstet, an die Front warf. Nach einer Pause im Sommer 1941 suchte Hitler den Angriff mit Schwerpunkt in Moskau weiterzuführen und ließ am 6. September 1941 die entschei-dungssuchende Operation gegen die westlich von Moskau stehende Heeresgruppe Timoschenko beginnen. Als Operation „Taifun“ sollte Ende September die. Heeresgruppe1 Mitte so angreifen, daß die Feindhälfte umfaßt werden sollte, so daß sie keine Möglichkeit zum Ausweichen gehabt hätte.

Das Kräfteverhältnis hatte sich aber inzwischen zu Ungunsten der Deutschen verschoben. Die Russen zogen aus Sibirien und aus dem Kaukasus alle noch verfügbaren Kräfte herbei und die neuen Fabriken im Ural brachten einen viel größeren Waffenausstoß als die deutsche Industrie. Die deutschen Angriffe hatten zwar anfangs Erfolg, die Russen wurden zurückgedrängt, aber die deutschen Verluste an Menschen und Material waren enorm, wobei für diese Verluste kein Ersatz mehr an die Front kam. Bald setzte der Herbstregen ein und Ende Oktober standen die Deutschen vor dem Problem, die Offensive einzustellen oder weiterzuführen. Das Werk schildert die harte Auseinandersetzung zwischen Hitler und seinen Ratgebern. Marschall Rundstedt, der in der Ukraine kommandierte, wollte zur Offensive übergehen, Bock vor Moskau nur einen begrenzten Stoß führen, da ihm klar war, daß in diesem Jahr Moskau nicht mehr zu erreichen war.

Am 13. November 1941 trafen sich Hitler und die Frontbefehlshaber zu einer Besprechung, bei der außer Bock alle Truppenführer für den Übergang zur Verteidigung waren.

Inzwischen war der Winter hereingebrochen und die Verluste der Deutschen bei den Angriffen stiegen ins Ungemessene. Die Stärke der Kompanien sank bis unter die Hälfte, und die Panzerdivisionen, die Stoßkraft des Heeres, waren nahezu vernichtet, ohne daß die deutsche Industrie in der Lage war, Ersatz im ausreichenden Maß zu beschaffen. Die Russen dagegen warfen rund 100.000 Mann mit 300 Panzern und 2000 Geschützen an die Westfront und außerdem gelang es ihnen, ein tief gestaffeltes Stellungssystem auszubauen. Währenddessen brach der Winter immer stärker herein. Die Russen waren ihm auf Grund ihrer Ausrüstung und Ausbildung viel besser gewachsen als die ausgebluteten deutschen Armeen.

So mußte die gestartete Offensive bald steckenbleiben. Die Russen dagegen traten ab Dezember zum Gegenstoß an und die Heeresgruppe Bock verlor vor Moskau die Schlacht. Mit vielen Verlusten gelang es, die Front weiter hinten wieder zu halten. Eine Reihe von Generalen wurde abgesetzt, vor allen Dingen Brauchitsch, Bock und Rundstedt, die für die Fehler Hitlers, aber auch für die falsche Lagebeurteilung büßen mußten. Vor Moskau konnte die deutsche Armee nicht mehr zum Angriff antreten, ein langsames Rückwärtsbewegen brachte die Front bis zur Schlacht vom Sommer 1944 immer wieder unter Geländeverlust zum Stehen. Von dem erträumten Sieg war keine Rede mehr. Statt der Operation „Taifun“, dem Versuch der Eroberung Moskaus, war das Ende jeder Angriffsmöglichkeit in der Mitte der Front gekommen, die Offensive 1942 gelangte zum bitteren Ende von Stalingrad: jetzt war die Niederlage unverkennbar.

Inzwischen waren die Vereinigten Staaten als Feind in den Kampf eingetreten. Japan dagegen war ein schwacher Verbündeter, der niemals die geballte industrielle Kraft der USA ausgleichen konnte. War somit der Stoß auf Moskau das Ende des Hitlerschen Traumes oder haben erst die Ereignisse von Stalingrad die Kraft des Heeres gebrochen?

Das vorliegende Werk glaubt, das deutsche Unvermögen vor Moskau habe die Wende eingeleitet. Sicher hat die verlorene Schlacht im Winter 1941 beigetragen, materiell und psychologisch das Vertrauen des Heeres an sich und seinen „Führer“ in Frage zu stellen. Bei allen Vorzügen des Buches, an dem niemand vorbeigehen kann, der sich mit diesen Kämpfen und dieser Kriegsphase beschäftigen will, fehlt aber eine Einsicht: Das Ende Deutschlands kam, wie im ersten Weltkrieg, aus dem Unvermögen, sich auf dem Weltmeer zu halten. Der Kriegseintritt der USA hat der deutschen U-Boot-Waffe den Lebensnerv gezogen und damit das Meer Deutschlands Feinden ausgeliefert. Ohne Seeherrschaft gibt es keine Weltherrschaft. Das hat Hitler nicht erkannt, er hat Landsiege errungen. Die Herrschaft auf hoher See aber nie erreicht. Auch die deutsche Kriegsforschung ist hier nicht frei von den Ansichten einer landorien-tierten Macht, die nur geringen Anteil am Meer hat, einem kontinentalen Denken huldigt und vergißt, daß Landmächte immer im zweiten Glied stehen.

Um diesem Nachteil zu entgehen, bauen die Sowjets heute eine riesige Flotte, die in kurzer Zeit die Stärke der USA-Flotte überbieten wird, um die Weltherrschaft, wenn nicht zu erreichen, so ihr doch zumindest als gleichwertige Macht nahezukommen.

DIE WENDE VOR MOSKAU. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42. Von Klaus Reinhardt. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 340 Seiten, DM 38.—.

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