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Das Bündnis blieb Papier

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Am 15. März 1939 rollten deutsche Panzer durch das Sudetenland und besetzten Prag. Damit war der Schonfriede des Münchner Abkommens vom Vorjahr brutal und einseitig durch Hitler gebrochen. England und Frankreich, durch Bündnisverträge zur Hüfeleistung für die Tschechen und Slowaken verpflichtet, beließen es bei Drohreden und London setzte ungerührt Wirtschaftsverhandlungen mit Berlin fort, welche im Ergebnis Hitler mehr Devisen für Rüstungseinkäufe sichern sollten.

Sogar die sechs Millionen Pfund tschechisches Gold, rechtzeitig in die Bank von England überführt, wären um Haaresbreite in die Kassen der deutschen Reichsbank gewandert, hätte nicht die britische Opposition Sturm geläutet und die Nachgiebigkeit der Regierung, seit München ohnehin ein Alpdruck des Landes, angeprangert.

Plötzlich wechselte nun der Wind. Noch einmal wollte man nicht lediglich Kränze an das Grab schicken, sondern dem möglichen nächsten Opfer Hitlers zuvor beispringen. Europas Landkarte wurde studiert - die Wahl fiel auf Rumänien.

Gerade hatte Hitler in Wirtschaftsverhandlungen mit Bukarest nach Erdöl und Korn unmißverständliche Forderungen gestellt, hatte der rumänische Botschafter in London, Virgil Tües, obendrein die Befürchtung laut werden lassen, die Deutschen würden als nächstes Ungarn zum Vasallen machen und dann Rumänien zerstückeln - Rumänien mußte geholfen werden!

Was aber grenzte “an Rumänien? Polen. Also sollte Polen eine britische Garantie bekommen, um seinerseits Rumäniens Integrität zu garantieren. So kam Polen ins Spiel„ nicht um seiner selbst willen. Vorerst wenigstens. Oberst Beck, Außenminister des hälbautoritär geführten polnischen Staates, erwies sich als zäher Verhandlungspartner.

Bedrohung durch die Deutschen, gegen welche ihn die Garantie schützen sollte? Nie gehört! Kleine Probleme mit Danzig, nun ja, aber das regelt sich! Wochenlang zogen sich die Diskussionen hin. Polen hatte kein Interesse daran, in das antideutsche und damit prosowjetische Fahrwasser zu geraten - die Sowjetunion war ihm unheimlicher als Hitlers Reich.

Schließlich gestattete Beck doch, daß England Polens Grenzen garantierte - ohne daß Rumänien auch nur noch erwähnt wurde. Dessen Bedrohung hatte sich ohnehin inzwischen verzogen. Vorerst wenigstens.

Polen sei nicht in Gefahr. Das hatte seine Regierung monatelang selbst suggeriert. Chamberlain und Halifax, bestärkt von ihrem Botschafter Hen-derson in Berlin, waren diesmal weniger zu tadeln, wenn sie den Ernstfall für ihre Garantieerklärung weit fort wähnten. Aber Hitler spielte nicht mit. Seine Forderungen nach Danzig wurden lauter, die Provokationen an der deutsch-polnischen Grenze häufiger, die Leidenschaften unter den Deutschen in Polen immer gezielter aufgeputscht.

Wer hätte sich nicht an das Sudetenland ein Jahr vorher erinnert? Oberst Beck blieb ungerührt, wiegelte ab - und wurde erst hellwach, als er merkte, daß die Briten sich mit Berlin wegen Danzig zu arrangieren begannen. Nun bestand er plötzlich auf der Garantie, erinnerte die Franzosen an ihr Bündnis, warnte vor einer Wiederholung von München. Nun mußten die Briten Warschau vor unüberlegten Schritten warnen.

Dann kam der 22. August: deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt! Unterhändler rasten zwischen Warschau, Berlin und London hin und her. Drohungen Hitlers, Vermittlungsversuche Italiens, Appelle an den Papst: nichts konnte mehr den befohlenen Aufmarsch der deutschen Armeen stoppen. Polen mobilisierte. Ruhig blieb lediglich Moskau. Es hatte im Vertrag mit Hitler bereits bekommen, was ihm die Polen 1920 in blutigen Schlachten abgerungen hatten: ganz Ostpolen bis zur Curzon-Linie.

Am 1. September um 5.45 Uhr sprach Hitler in Berlin am Radio: „Die deutsche Armee kämpft mit harter Entschlossenheit für die Ehre und die Lebensrechte eines wiedergeborenen Deutschlands.“

Fünf modern ausgerüstete deutsche Armeen mit 55 Divisionen sowie zwei Luftflotten mit 3000 Flugzeugen durchbrachen in den Morgenstunden des 1. September die polnischen Grenzbefestigungen. Die polnischen Flugzeuge wurden bereits bei den ersten Luftangriffen, meist noch auf den Flugplätzen, vernichtet Tausend schwere Panzer rollten vor und warfen alle Abwehrpläne der Polen über den Haufen.

Knapp 14 Tage brauchte die Heeresgruppe Nord, um die Weichsel zu erreichen und vor Warschau zu stehen. Die Heeresgruppe Süd stürmte noch rascher vor. Czenstochau, Ra-dom, Krakau, Lemberg - der Ring um die polnische Armee schloß sich und die Masse des Heeres ergab sich am 19. September bei Kutno. 200.000 Soldaten gerieten in Gefangenschaft.

Während Polen seinem Ende entgegenging, blieben die Verbündeten Großbritannien und Frankreich untätig. Offiziell befanden sich beide am 1. September mit Deutschland noch nicht im Kriegszustand, aber die Drohgebärden blieben kraftlos und imponierten niemand, am wenigsten Hitler. . Chamberlains Auftritt vor dem englischen Unterhaus am Abend des 2. September schüdert ein maßgeblicher Zeitgenosse so:

„Das Haus war entsetzt. Seit zwei vollen Tagen wurden die unglücklichen Polen bombardiert und hingemordet und wir überlegten uns noch immer, innerhalb welcher Frist Hitler gebeten werden sollte, uns mitzuteilen, ob er Lust habe, seine Beute fahrenzulassen.“

Endlich, am 3. September, war es soweit - das Gewissen siegte über das Zaudern: um 9 Uhr ging das Ultimatum an Hitler, es war auf 11 Uhr befristet und verstrich ohne Antwort. Damit war der Krieg erklärt, Frankreich schloß sich widerstrebend an. Die Polen faßten neuen Mut und hofften auf einen baldigen Einsatz britischer Bomber und französischer Truppen gegen Deutschland.

Im Nürnberger Prozeß sagte acht Jahre später General Jodl: „Wenn wir 1939 nicht zusammenbrachen, so war das allein auf die Tatsache zurückzuführen, daß zur Zeit des polnischen Feldzugs die sechsundsiebzig englischen und französischen Divisionen, welche zweiunddreißig deutschen Divisionen gegenüberstanden, völlig inaktiv waren.“

Und sie blieben es - genauso wie die erhoffte britische Luftwaffe. Das Bündnis blieb Papier - kaum mehr wert als die Flugzettel, die einige britische Flugzeuge über dem Ruhrgebiet abwarfen. Schaden wurde dabei nur den Fliegern zugefügt, die alle bei dem Unternehmen halb erfroren waren.

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