6924958-1982_07_12.jpg
Digital In Arbeit

Ein Wachhund vor dem Kreuz

19451960198020002020

Die Tragödie Polens hat schon vor 210 Jahren begonnen - mit der ersten Teilung, an der (schweren Herzens) auch Maria Theresia beteiligt war.

19451960198020002020

Die Tragödie Polens hat schon vor 210 Jahren begonnen - mit der ersten Teilung, an der (schweren Herzens) auch Maria Theresia beteiligt war.

Werbung
Werbung
Werbung

Nichts kommt von ungefähr. Und jedes geschichtliche Ereignis hat seine Vorgeschichte. Der polnische Staat war von seiner früheren Großmachtstellung im Osten Europas herabgekommen seit der Einführung des Wahlkönigtums und des „Liberum Veto", der Bestimmung, daß schon eine einzige Gegenstimme im Reichstag jeden Antrag zu Fall bringen konnte.

Der Adel beherrschte alles; Bauern und Bürgertum waren im Zustand ärgster Unterdrückung. Die geplanten Reformen im Inneren, angesichts der schon er-

folgten und drohenden weiteren Gebietszerstückelungen vom Reichstag in Warschau 1791 beschlossen, konnten sich nicht mehr auswirken. Das von dem polnischen Patrioten Thaddäusz Kosciusko geführte Heer erlag am 7. Dezember 1792 bei Dubienska der russischen Ubermacht.

Die politische Verwirrung in Polen verstärkte sich mit dem Tod von August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen (1763). Friedrich II. von Preußen und Katharina II. von Rußland setzten sich massiv für die Beibehaltung des alten, für das Land so verderblichen Wahlrechtes ein und verlangten auch mehr Freiheit für die Dissidenten (Nichtka-tholiken).

Die Russen brachten die von europäischen Philosophen propagierte Toleranz auf den Lanzen der Kosaken. Die Polen waren nicht mehr Herren im eigenen Lande, sondern Repuin, der russische Botschafter in Warschau. Unter seinem Druck mußte nach dem Willen der Zarin Katharina Stanislaus Poniatowski zum König gewählt werden. Dieser war wohl ein sehr gebildeter und auch , kunstbeflissener Mann, aber ohne Kraft und festen Willen, ein unbedingter Diener Rußlands. Von vielen als bloßes Werkzeug der fremden Macht betrachtet, wurde im Lande für und gegen ihn gekämpft.

Einstweilen hatte Katharina II. (dieGroße genannt) einen gefährlichen Tatarenauf stand niedergeworfen, die Schweden besiegt und auch den gewaltigen Krieg von 1768-1774 gegen die Türkei höchst erfolgreich für Rußland entschie-

den. Sie hatte nun freie Hand und entschloß sich, gemeinsam mit Friedrich II. polnische Landesgebiete zu erwerben, nach denen schon ihre Vorgänger ein Verlangen gehegt hatten.

Die Polen waren machtlos und konnten dies nicht verhindern. Mit den drei gewaltsamen Landesteilungen von 1772, 1793 und 1795 wurde schließlich ihr Staat völlig vernichtet. Das polnische Volk lebte von der Zeit an, wo ihm auch der letzte Rest seines Staates genommen worden war, im Bereich der Teilungsmächte Rußland, Preußen und Österreich, das sich nur an der ersten und dritten Teilung beteiligt hatte.

Maria Theresia widersetzte sich im Gegensatz zu ihrem Sohn, Kaiser Josef II., lange dem Teilungsplan von Katharina und Friedrich, der schon im Mai 1771 vorlag. Sie wollte, daß Polen unverklei-nert als Staat erhalten bleibe. Noch im Jänner 1771 versuchte sie in einem Schreiben an Josef die Teilungspläne zu hintertreiben. Mahnend und schmerzbewegt betonte sie, daß durch diese der Ruf der Ehrlichkeit ihrer Regierung verloren sei. Sie mußte sich aber dem Zwange fügen, worunter sie bis an ihr Lebensende seelisch litt.

Dem vorgelegten Teilungsplanentwurf gab die Kaiserin wohl ihr „Placet", schrieb aber dazu: „Weü so viele große und gelehrte Männer es wollen. Wenn ich aber schon längst tot bin, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und redlich war, hervorgehen werde." — Diese Worte müssen uns heute wie eine erstaunliche Prophezeiung erscheinen.

Für die Polen war es hingegen ein Glück, daß Galizien zu Österreich kam. Denn dort konnten sie Polen bleiben, während Preußen den Polen das Deutschtum und Rußland das Russentum sowie

das Schisma aufzuzwingen suchten. Im österreichischen Landesteil konnten sie unbehindert singen: „Noch ist Polen nicht verloren!" Und dort konnten politische Flüchtlinge, die dem Erschießen, dem Kerker oder der Deportie-rung nach Sibirien entgehen wollten, Zuflucht und Schutz finden, so wie heute auch.

Bemerkenswert ist, wie der deutsche Philosoph Leibniz, als polnischer Edelmann getarnt, die Polen im Jahre 1669 vor der drohenden russischen Gefahr warnte:

„Der Mosko wit ist allen bedächtigen und einsichtigen Christen immer ein Gegenstand des Schreckens gewesen. Er kennt daheim bei sich nur eins, die Knechtschaft; er ist wie ein zweiter Türke, diesem gleich an Macht, aber gefährlicher durch die Nähe, roher als der Türke und fanatischer. Ihr könnt geeint ihm widerstehen, aber neigt ein Teil von Euch ihm sich zu, so wird er wie der Wolf in den Schaf stall bei Euch einbrechen und im Angesicht des jammernden Europa Euch zerreißen.

Aber auch die Nachbarn werden erkennen, was es bedeutet, daß so ein doppelter Türk ersteht, daß ein Bollwerk der Christenheit an die Barbarei verlorengeht, daß eine Macht aufwächst, die hinreichen kann, Europa zu unterdrük-ken. Haben wir Polen erst dem Moskowiter das Tor eröffnet, so ist ihm der Weg nach Deutschland gebahnt."

Die Türken, in ihrem damaligen Siegeslauf durch die Polen mehrmals gehemmt, meinten, daß diese wie ein schützender Wachhund vor dem Kreuze liegen. Die Polen selbst sahen sich gelegentlich in einer christusähnlichen Rolle des Leidens und Sterbens für andere Völker. Sie waren bereit, stellvertretend für andere Opfer auf sich zu nehmen.

1914 konnten die russischen Massenheere, nicht mehr aufgehalten von einem „Bollwerk Polen", gegen die Zentralmächte Österreich und Deutschland anrennen. Und weil der geschichts-blinde Adolf Hitler 1939 dieses Bollwerk abermals beseitigte, lag für die Sowjetarmeen der Weg nach Deutschland und in die Länder Osteuropas frei.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung