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Kehrtwende in Bukarest

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Am 30. August 1944, vor 40 Jahren, zog Stalins Rote Armee in Bukarest ein. Das Schicksal der Deutschen Wehrmacht in Rumänien war freilich schon in den Tagen vorher besiegelt worden, als Hitlers Verbündete sich plötzlich gegen das Dritte Reich gestellt hatten.

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Am 30. August 1944, vor 40 Jahren, zog Stalins Rote Armee in Bukarest ein. Das Schicksal der Deutschen Wehrmacht in Rumänien war freilich schon in den Tagen vorher besiegelt worden, als Hitlers Verbündete sich plötzlich gegen das Dritte Reich gestellt hatten.

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Am 23. August 1944 mußte in Bukarest schleunigst der rumänische Ministerrat zusammengerufen werden. Marschall Ion Anto-nescu, der mit diktatorischen Machtbefugnissen ausgestattete Ministerpräsident (eigentlich: „Conducatorul" — „Führer") hatte sorgenerregende Nachrichten von der Front erhalten.

Stalins Rote Armee hatte vor drei Tagen im Räume Jasy eine Offensive mit elf Divisionen begonnen, die bereits so weit fortgeschritten war, daß, wenn nicht sofort eine totale Aufbietung aller Kräfte erfolgte, der Einsturz der

ganzen Front drohte. Die andere Möglichkeit war, mit den Sowjets ein sofortiges Waffenstillstandsabkommen zu treffen.

Der Ministerrat ermächtigte Antonescu, die Lage dem König vorzutragen. Der Monarch, der 23jährige Michai, empfing um 16 Uhr in seinem Palast den Marschall und seinen Außenminister, Namensvetter Prof. Mihai Antonescu.

Die Audienz war kurz und dramatisch. König Michai ging überhaupt nicht auf die Darlegungen Antonescus ein. Er erklärte vielmehr die sofortige Entlassung Antonescus und seiner Regierung, die das Land in eine solche Situation gebracht hatten und ließ die beiden durch eine Offizierswache verhaften. Dies war der Beginn des vorsorglich geplanten Bukarester Umsturzes, dessen Vorgeschichte weit, zurückreicht:

Bis 1939 hatte Rumänien für seine Grenzen eine britisch-französische Garantie. Mit Englands Isolierung und Frankreichs Zusammenbruch im Sommer 1940 blieb Rumänien auf sich allein gestellt. Politische Unruhen erschütterten das Land, hervorgerufen durch massive territoriale Forderungen der Nachbar-Länder.

Ende Juni 1940 erzwang Moskau durch ein Ultimatum die sofortige Rückgabe Bessarabiens und als „Zugabe" der nördlichen Bukowina, die einst zur Habsburg-Monarchie gehört hatte. Sofia stellte Anspruch auf diejenigen Teile der Dobrudscha, die den Bulgaren nach dem Krieg 1912 abgenommen worden waren. Und Ungarn wollte sein „Piemont" -Siebenbürgen — zurück.

Hitler machte kein Hehl daraus, daß er selbst an Rumänien interessiert war, vor allem der Ölfelder von Ploesti, der landwirtschaftlichen Produkte und nicht zuletzt der strategisch wichtigen Lage Rumäniens im kommenden Ostfeldzug wegen. König Carol (aus dem Hause der Hohenzoller) blieb kein anderer Weg offen, als am 27. Juni 1940 den deutschen Führer zu bitten, er möge nun die Garantien der rumänischen Grenzen übernehmen.

Die deutsche Reichsregierung sagte sofort „ja", und die rumänische Politik nahm einen neuen Lauf. Nachdem Bessarabien und die Nord-Bukowina den Sowjets abgetreten worden waren, mußten die Rumänen auch die bisher bitterste Pille in ihrer Geschichte schlucken.

Eine deutsch-italienische Kommission in Wien fällte am 30. Au-

gust 1940 einen „Schiedsspruch", in dessen Folge Siebenbürgen quasi zweigeteilt wurde: Nord-Siebenbürgen mit mehrheitlich ungarischen Bewohnern kam zu Ungarn, Süd-Siebenbürgen verblieb bei Rumänien.

Sobald das „Wiener Diktat"—so die offizielle und bis heute gültige Bezeichnung in Rumänien — bekannt wurde, brach in der Bevölkerung starke Unruhe aus. Ministerpräsident Gigurtu mußte zurücktreten. Die Menge rief nach General Ion Antonescu, dem Mann, der einst Generalstabschef der rumänischen Armee gewesen war und in gewisser Hinsicht mit der pro-faschistischen „Eisernen Garde" (eine rumänische rechtsradikale und gleichzeitig völkische Organisation) kollaboriert hatte.

Antonescu nahm von König Card die Regierungsmacht nur unter der Bedingung an, daß er in jeder Hinsicht freie Hand erhalte und daß der abgewirtschaftete König Carol zugunsten seines Sohnes abdanke und das Land sofort verlasse. Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, wurde am 6. September 1940 alles nach dem Willen Antonescus geregelt.

Im Sommer 1941 nahm Rumänien an Hitlers Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Zwei rumänische Armeen, etwa 27 Divisionen, begleiteten die deutsche Wehrmacht auf ihrem Eroberungsfeldzug. Antonescu holte für sein Land Bessarabien und die Nord-Bukowina zurück und vereinbarte mit Hitler die Einverleibung

südrussischer Gebiete, die mit Odessa zusammen als Transni-strien zum Königreich kamen. Daneben drängte der im August 1940 zum „Marschall von Rumänien" beförderte Staatschef die Deutschen, das „Wiener Diktat" rückgängig zu machen.

Der Krieg gegen die Sowjetunion war nie populär in Rumänien. Als dann die großen Rückschläge bei Stalingrad auch die rumänischen Truppen in Mitleidenschaft zogen, kam die Ernüchterung in Bukarest. Antonescu begann sich Gedanken zu machen, einen Weg aus der Allianz mit Hitler zu finden. Seine Mittelsmänner im neutralen Ausland nahmen Fühlung mit der sowjetischen Diplomatie auf.

Die Bedingungen, die Moskau jedoch für einen Separatfrieden stellte, wollte der Marschall nicht akzeptieren. So wurden die Verhandlungen im Mai 1944 abgebrochen und Antonescu setzte weiter auf die deutsche Karte.

Was er jedoch nicht wissen konnte, war die Tatsache, daß König Michai beziehungsweise die rumänischen Oppositionsführer im Schatten Stalingrads selbst nach Möglichkeiten für einen Separatfrieden mit den Alliierten Ausschau hielten. Die Verhandlungen mit den Westmächten

scheiterten jedoch.

Seit der Konferenz von Teheran (1943) gehörte Rumänien zum Interessenbereich der Sowjetunion. Die Bukarester Unterhändler mußten sich also an die Sowjetregierung wenden.

Die ihnen in Kairo im Frühjahr 1944 gestellten Bedingungen waren viel günstiger als diejenigen für Antonescu. Sie lauteten: Bruch Rumäniens mit Deutschland, gemeinsamer Kampf gegen die deutsche Wehrmacht, die Anerkennung der sowjetisch-rumänischen Grenze vom 22. Juni 1941 (also die Abtretung Bessarabiens und der Nord-Bukowina an die UdSSR), die Zahlung von Reparationen und volle Bewegungsfreiheit der Roten Armee auf dem gesamten rumänischen Territorium. Als „Gegenleistung" wurde Rumänien (auch im Namen der Westmächte) die Zurückgliede-rung Nord-Siebenbürgens zugesichert.

Während die geheimen Verhandlungen den ganzen Sommer 1944 dauerten, begann sich in Rumänien selbst der Widerstand zu bilden. Initiator dieser Bewegung war die rumänische KP, seit 1924 im Untergrund. Da sie selbst viel zu schwach war (sie hatte lediglich 2.000 Mitglieder), knüpfte die Parteileitung Kontakte zur bürgerlichen Opposition und zum Königshof. Ende Juni 1944 kam der „Geheimbund" der ungleichen Partner zustande.

Die sowjetische Großoffensive vom 20. August überraschte jedoch sowohl den königlichen Hof

als auch die Antonescu-Regie-rung. Der Monarch mußte sofort handeln. Die rumänischen Unterhändler in Kairo erhielten die Anweisung, den Waffenstillstandsverträg mit den Sowjets anzunehmen. In Bukarest selbst wurde am

23. August mit der Verhaftung Antonescus und seiner Leute der Umschwung in Gang gesetzt.

Um 22 Uhr erfolgte die Proklamation des Königs im Bukarester Rundfunk. Er gab bekannt, er habe die Waffenstillstandsbedingungen des Gegners angenommen, der Bund mit Deutschland sei gelöst, die königliche Armee stellt den weiteren Kampf gegen die Rote Armee ein.

Die neue rumänische Regierung unter General Constantin Sana-tescu bot freien Abzug der deutschen Truppen an, sofern sie sich ihrerseits jeder Feindseligkeit enthielten. Hitler wollte aber weder einen freien Abzug aus Rumänien noch auf Rumäniens Kriegsund Wirtschaftspotential verzichten. In der Nacht vom 23. auf den

24. August erhielt der deutsche General Erik Hansen den Befehl, den „Putsch in Bukarest" niederzuschlagen.

Am selben Tag bombardierten deutsche Flugzeuge Bukarest. Gleichzeitig versuchten die Deutschen die Hauptstadt militärisch

in ihre Gewalt zu bringen. Die Folgen für sie waren verheerend. Unter dem Befehl von General Teodorescu setzte sich die rumänische Garnison energisch zur Wehr. Nicht nur Armeeangehörige, sondern auch aus der Bevölkerung gebildete, in vielen Fällen von Kommunisten * geführte Kampftruppen, lieferten den Angreifern in und um Bukarest blutige Gefechte. Die Deutschen mußten sich zurückziehen.

Am 25. August erklärte die Sa-natescu-Regierung auf Grund der deutschen Angriffe dem Deutschen Reich den Krieg. Die königliche Armee erhielt den Befehl, die Deutsche Wehrmacht im Lande anzugreifen und diese aus Rumänien mit Waffengewalt zu vertreiben.

Am 30. August konnte die Rote Armee in Bukarest kampflos einziehen. Die Stadt hat sich von den Deutschen selber befreit. Noch am Abend des 30. August erreichten sowjetische Truppen Ploesti und nahmen die Ölraffinerien in ihren Besitz.

Der Verlust Rumäniens hatte

für die deutsche Kriegsführung auch hinsichtlich des Balkans schwerwiegende Folgen. Ende August 1944 wurde die Evakuierung Griechenlands beschlossen. Bulgarien schickte sich an, das deutsche Bündnis zu verlassen, und in Jugoslawien nahm der Partisanenkrieg eine neue Wende.

Die Rote Armee dagegen vermochte nach dem Ausscheiden der rumänischen Truppen aus der deutschen Heeresgruppe rasch an Boden zu gewinnen.

So hatte der 23. August 1944 den Krieg auf europäischem Boden verkürzt und die mutige Tat der Rumänen Stalins Roter Armee viel Blut und Opfer erspart. Daß Rumänien in den folgenden Zeiten in seiner Hoffnung, ohne Diktatur leben zu können, bitter enttäuscht wurde und auch heute noch, trotz einer relativen Selbständigkeit, mit zahlreichen ökonomischen, sozialen und politischen Problemen zu kämpfen hat, ist ein anderes Kapitel in der Geschichte.

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