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Als Hitler Ungarn besetzte

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Das Jahr 1944 war für das Ungarische Königreich ein Schicksalsjahr. Zwar trat die Regierung Läszlö Bärdossy 1941 in den europäischen Krieg auf der Seite Deutschlands ein, und in der Folge schickte man auch ein Dutzend Divisionen an die Ostfront. Doch hatte das Gros der ungarischen Bevölkerung bis zum Frühjahr 1944 kaum unter unmittelbaren Einwirkungen des Krieges leben müssen.

Das Agrarland gab trotz Zwangslieferungen an Deutschland für jeden noch genügend Essen her, die Arbeiterschaft verdiente an der Kriegskonjunktur, und während Deutschlands Städte bereits brannten, gab es in Ungarn bis April 1944 keinen Bombenalarm. Das konservative Königreich Ungarn war außerdem in Hitlers Europa eine Oase für die politisch und rassisch Verfolgten.

In Budapest tagte ein Parlament in welchem Oppositionelle frei ihre Meinung kundtun konnten. Arbeitergewerkschaften existierten, und es gab eine weitere Ausnahmeerscheinung im Europa unter dem Hakenkreuz: eine Sozialdemokratische Partei.

Für die Juden galten gewisse Einschränkungen. Aber sie hatten weder um ihr Leben noch um ihre Habe zu fürchten. Polnische, französische, belgische Militärflüchtlinge wurden zwischen 1942 und 1944 von den Behörden freundlich aufgenommen.

All dies war das Werk von Ministerpräsident Miklös Källay, der im Interesse Ungarns staatliche Unabhängigkeit und Souveränität geschickt zwischen Feind und Freund lavierte. Er rechnete mit einer Niederlage Deutschlands und ersehnte für Ungarn die Balkan-Invasion der Westmächte. Geheimabkommen im Sommer und Herbst 1943 mit Briten und Amerikanern regelten eine sofortige Kapitulation Ungarns, wenn westliche Truppen die Grenzen des Königreiches erreichen würden.

Hitler erfuhr jedoch rechtzeitig von Källays Bestrebungen. Da im Frühjahr 1944 selbst die Deutschen mit der Möglichkeit einer Balkan-Invasion der West-Alliierten rechneten und somit ihre Verbindungswege nach Rumänien und Griechenland gesichert sehen wollten, entschloß man sich in Berlin, in Ungarn „tabula rasa" zu machen.

Am 17. März 1944 ließ Hitler den Reichsverweser Horthy nach Kleßheim bei Salzburg kommen. Während er Ungarns Staatsoberhaupt dort zurückhielt, besetzten in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1944 die deutschen Truppen Ungarn. Widerstand erwartete die Invasoren nirgendwo: Das Gros der Bevölkerung und die Armee nahmen mangels anderer Informationen an, die Deutschen seien deswegen gekommen, um gemeinsam mit ihnen die Karpaten gegen die vorrückende Rote Armee zu verteidigen.

In Budapest amtierte in der Person von Edmund Veesen-mayer ein Statthalter Berlins, der mit seinen Kollegen von SS und SD dafür zu sorgen hatte, daß nunmehr auch in Ungarn alles so geschah, wie es die „totale Kriegsanstrengung" im Sinne der Deutschen erforderte. Damit ging Ungarns staatliche Unabhängigkeit unwiederbringlich verloren.

Im vorliegenden Buch analysiert der namhafte Budapester Historiker Gy ör gy Ränki - ein anerkannter Spezialist der Geschichte dieser Periode — auf Originalquellen gestützt, Vorgeschichte, Ablauf und Resultat der deutschen Besatzungszeit in Ungarn.

Wie wurde die Okkupation vorbereitet und durchgeführt? Wie verliefen im Herbst 1943 die Friedensverhandlungen Källays mit den Westmächten? Wie war das deutsche Besatzungssystem in Ungarn aufgebaut, und wie erzwang es die Umstellung von Wirtschaft, Militärpolitik und Innenpolitik?

Das Buch behandelt auch die Judenfrage. Mit der deutschen Wehrmacht kam auch SS-Sturmbannführer Eichmann ins Land, um Ungarn nach Hitlerschen Vorstellungen .judenfrei" zu machen. Bis Ende Juni 1944 gelang es ihm auch, etwa 400.000 Männer und Frauen in Deportationszügen über die Grenze in die Konzentrationslager zu schaffen.

Dann mischte sich Horthy ein: Im Besitz von Dokumenten über die schreckliche Wahrheit der „Endlösung", verbot er alle weiteren Deportationen. So konnten etwa 200.000 Juden in Budapest den Krieg überleben.

Ränki versteht es ausgezeichnet, anhand deutscher, englischer und amerikanischer Geschichtsquellen und selbstverständlich unter Benutzung ungarischer Unterlagen, das Thema vielseitig zu behandeln.

Wenn wir auch mit einigen seiner Folgerungen und Wertungen, die auf seiner marxistischen Geschichtsauffassung beruhen, nicht einverstanden sind (so etwa mit seinem Horthy-Bild), können wir doch feststellen, daß sein Werk auch an internationalen Maßstäben gemessen wichtig ist und zur Kenntnis der Geschichte des Donauraumes in der Endphase des Zweiten Weltkrieges beiträgt.

UNTERNEHMEN MARGARETHE. Die deutsche Besetzung Ungarns. Von György Ränki. Böhlau-Verlag, Wien — Köln — Graz 1984. 442 Seiten, illustriert, öS 343,20.

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