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Ein ungarischer Patriot kehrt heim

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Im Komitat Szolnok, zwischen Donau und Theiss, in der Gemeinde Kenderes sind schon seit längerem Vorkehrungen im Gange für den 4. September 1993. An diesem Tag kehren aus dem fernen Lissabon die Gebeine des seit 1957 im dortigen Englischen Friedhof zur Ruhe gebetteten einstigen k.u.k. Admirals und ungarischen Reichsverwesers Miklös von Horthy nach Ungarn zurück.

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Im Komitat Szolnok, zwischen Donau und Theiss, in der Gemeinde Kenderes sind schon seit längerem Vorkehrungen im Gange für den 4. September 1993. An diesem Tag kehren aus dem fernen Lissabon die Gebeine des seit 1957 im dortigen Englischen Friedhof zur Ruhe gebetteten einstigen k.u.k. Admirals und ungarischen Reichsverwesers Miklös von Horthy nach Ungarn zurück.

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Die frisch renovierte Familiengruft der Horthys in Kenderes wird sowohl den Reichverweser als auch dessen 1959 in Portugal verstorbene Gattin und seinen am 28. März 1993 im 86. Lebensjahr gestorbenen Sohn aufnehmen. Kenderes war seit Jahrhunderten die engere Heimat der Familie Horthy. Sie besaßen da ein mittelgroßes Landgut und ein Herrenhaus, in dem heute eine Landwirtschaftsschule untergebracht ist.

Wer war dieser Mann, der seine Laufbahn als Marine-Offizier in der k.u.k. Kriegsmarine 1886 mit 20 Jahren begann, danach fünf Jahre lang (1909 bis 1914) Flügeladjutant in der Wiener Hofburg bei Kaiser und König Franz Joseph war, im Ersten Weltkrieg in der Adria gegen britische und italienische Kriegsschiffe erfolgreich kämpfte und schließlich im Oktober

1918 - kurz vor Kriegsende - als Vizeadmiral von Kaiser und König Karl zum Flottenkommandanten der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine befördert wurde?

Miklös von Horthy, ein ungarischer Edelmann, hatte eigentlich seine Laufbahn mit dem Zerfall der k.u.k. Monarchie als beendet betrachtet. Mit 50 Jahren zog er sich nach dem Zusammenbruch nach Kenderes zurück. Die Donaumonarchie löste sich auf -und zwar auf ähnliche Weise wie wir dies in unseren Tagen auf dem Balkan erleben. Ungarn hatte keinen Meeresanteil - wer wollte noch einen Admiral weiterbeschäftigen?

Geschrumpftes Ungarn

Die Revolutionswirren in Ungarn

1919 riefen von Horthy zu den Fahnen der antikommunistischen Bewegung in Südungarn. Horthy wurde Verteidigungsminister in einer „weißen” Schattenregierung und danach Oberkommandierender der Ungarischen Nationalarmee, die im Herbst 1919 eigentlich aus nicht mehr als 10.000 Mann bestand. Die Räterepublik von Bela Kun war in dieser Zeit schon auseinandergefallen; rumänische Truppen besetzten Budapest und einen großen Teil von Ungarn. Die Siegermächte in Paris wußten eigentlich selbst nicht, was sie mit Ungarn anfangen sollten, denn die Führer der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie hätten am liebsten gesehen, daß das Königreich in Zukunft überhaupt nicht mehr existierte.

In Ungarn selbst waren die Politiker unter sich uneins. Horthy war eine integre Persönlichkeit, tragbar für diverse politische Bewegungen und was noch wichtiger war, auch in Paris wurde ihm Vertrauen entgegengebracht. Mit einigen Versprechungen -die Horthy auch erfüllte - waren die Siegermächte einverstanden, daß das Königreich Ungarn - dessen Staatsgebiet im Friedensvertrag von Tria-non im Juni 1920 auf ein Drittel der ursprünglichen Größe zusammengestutzt wurde - mit Miklös von Horthys Namen in Verbindung gebracht werden sollte.

Am 1. März 1920 wurde Horthy in Budapest zum Reichsverweser von Ungarn gewählt. Das Land hatte unzählige Probleme - politischer und ökonomischer Art. Ungarns zwanziger Jahre waren voll von Dramatik. Inflation, Flüchtlingsströme aus Siebenbürgen und der Slowakei, politische Uneinigkeit im Lande und die Habsburgerfrage belasteten den Weg in die Zukunft.

Horthys Regime war konservativ, aber die demokratischen Grundrechte wurden dem einzelnen zugesichert. Es gab ein Zweikammer-Parlament, eine Arbeiterpartei und eine (von der Polizei kontrollierte, aber nicht beeinträchtigte) Gewerkschaftsbewegung. Die Kommunistische Partei wurde nicht geduldet und der Großgrundbesitz kaum beschnitten. Horthy hatte keine „Staatspartei”, wollte auch nie Mitglied einer Partei sein. Er versuchte in der politischen Mitte zu bleiben - obwohl er seine antikommunistische Gesinnung nie verleugnete und sie auch - mit rechtlichen Mitteln - durchsetzte.

König Karls zweimalige - unglückselige - Rückkehrversuche nach

Ungarn mit dem Wunsch, von Budapest aus eine Restauration anzustreben, hatte Horthy klugerweise abgewiesen (1921). Heute weiß man, daß Karl keine bindenden Garantien zu seinen Restaurationsplänen im Donauraum seitens französischer Politiker hatte und daß es - wenn Horthy die Macht Karl übergeben hätte - in Ungarn zu einem Bürgerkrieg oder noch schlimmer zu einem offenen Krieg mit der Kleinen Entente (Rumänien, Jugoslawien und Tschechoslowakei) gekommen wäre. Als Epilog zur Karl-Affäre kam es dann im ungarischen Parlament am 6. November 1921 zur Verabschiedung eines Gesetzes, das die Absetzung des Hauses Habsburg in Ungarn zum Gegenstand hatte.

Hoffen auf Hitler-Deutschland

Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam und sein Regierungsprogramm unter anderem die Revision (wenn nötig mit Gewalt) der Versailler Friedensverträge von 1919/20 enthielt, horchte man in Budapest auf. Man hoffte - mit Recht - in Deutschland Verbündete zu finden. Ministerpräsident Gyula Gömbös war der erste europäische Staatsmann, der Hitler im Juni 1933 einen Besuch abstattete. Danach folgte eine Politik Budapests, die auf die Entstehung der „Achse” (Deutschland-Italien) und auf eine freundschaftliche Annäherung an Österreich abzielte. Horthy selbst sah Hitler 1936: es war ein inoffizieller Besuch. Seine Eindrücke vom deutschen Reichskanzler waren positiv.

Das „Horthy-Regime” - dies müssen wir uns ständig vor Augen halten - war alles andere als eine bürgerlichdemokratische Staatsform JEs war und blieb bis zu seinem Ende in autoritäres, paternalistisches und konservatives Regime mit einem gewissen liberalen Einschlag.

Horthy war die Verkörperung dieses Magyaren, sowohl in seiner Person als auch seinem Stil als Staatsoberhaupt nach. Die Bevölkerung anerkannte ihn, er war populär - und als es seinen Regierungen in den Jahren zwischen 1938 und 1940 - bedingt durch die europäische Lage - gelang, weite Teile des einstigen, 1918 untergegangenen Ungarns ohne Krieg zurückzugewinnen, erhielt Horthy von seinen Landsleuten spontan den Beinamen: „der Reichsvermehrer”.

1938, nach dem „Anschluß” Österreichs, nahm Ungarn nicht wenige Flüchtlinge aus dem Nachbarland auf. Als die deutsche Wehrmacht Polen überrannte und mit Stalins Roter Armee das Land eroberte, fanden vorübergehend etwa 150.000 polnische Flüchtlinge - darunter ganze polnische Regimenter - Zuflucht in Ungarn. Die meisten gingen danach via Balkan nach Frankreich, um den

Kampf im Rahmen der alliierten britisch-französischen Truppen gegen Hitler fortzusetzen.

Horthys zweiter Besuch bei Hitler -in Kiel im August 1938 - öffnete dem Reichsverweser die Augen. Hitler machte nunmehr kein Hehl aus seiner künftigen Politik, die mittels Krieg eine neue „europäische Ordnung” (unter deutscher Vorherrschaft) zum Ziel hatte. Das paßte Horthy nicht; ab nun bezog er eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus (einer Art „National-Bolsche-wismus”, wie er dies später seiner Familie in der königlichen Burg in Budapest erklärte).

Im April 1941 konnte Ungarn seine bisherige Rolle - eine Art „nichtkriegsführende Macht” - nicht mehr aufrechterhalten. Hitler wollte Jugoslawien zerschlagen und die Deutsche Wehrmacht beanspruchte Durchmarschrechte in Un-garn. Am Krieg gegen Jugoslawien nahm auch die Ungarische Armee teil. Sie war in den dreißiger Jahren insgeheim ausgebaut worden und hatte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges eine Stärke von rund 70.000 Mann erreicht. Als Belohnung durfte Ungarn einen Teil der Woj-wodina, das Komitat Bäscka, ins Reich heimführen. Ende 1941 zählte Ungarn auf diese Weise beinahe 14 Millionen Einwohner.

Hitler, der in Ungarn anfänglich einen verläßlichen Partner sah, hatte dem Reichsverweser Horthy bei der dritten Begegnung Ende April 1941 Kroatien - als Bestandteil des „alten Ungarn” - angeboten. Man solle nur den Kroaten eine gewisse Autonomie geben. Horthy wies das Geschenk mit der gleichen Begründung zurück, wie er dies 1939 in puncto Slowakei gemacht hatte: er wollte keine Nationalitäten haben. Die Beziehungen zwischen Berlin und Budapest kühlten ab, obwohl Ungarn sowohl Mitglied des Dreimächte-Paktes als auch des Antikomintern-Pak-tes wurde. Ein deutsch-ungarisches Bündnis kam jedoch nicht zustande. Juristisch gesehen war das Königreich Ungarn lediglich Waffengefährte, aber nicht Bündnispartner des Großdeutschen Reiches.

Der deutsche Einfluß in Ungarn war jedoch mächtig. Die drei antijüdischen Gesetze, die zwischen 1938und 1941 im Parlament - nicht ohne Gegenstimmen - verabschiedet wurden, schränkten die Menschen- und bürgerlichen Rechte der etwa 800.000 Juden in Ungarn empfindlich ein. Die deutsche Volksgruppe in Ungarn erhielt dagegen exzellente Privilegien, die wehrfähigen unter ihnen mußten größtenteils in der deutschen Waffen-SS ihre Militärzeit abdienen.

Am 22. Juni 1941 begann Hitlers Ostfeldzug. Ungarn nahm am Krieg 1941 mit einem Armeekorps, im Jahre 1942 mit einer Armee teil. Kriegserklärungen wurden gegenüber Moskau und Washington ausgesprochen, London erklärte auf Drängen Moskaus Ungarn an-fang Dezember 1941 den Krieg. Was Horthy und sein politischer Kreis bis März 1941 unter allen Umständen vermeiden wollte, nämlich am Krieg der Giganten teilzunehmen, war Ende 1941 schon Vergangenheit. Die weltpolitische Lage und Ungarns geopolitischer Standort ließen Budapest keinen Spielraum.

1943 wurde die Ungarische Armee am Don von Stalins Truppen völlig zerschlagen. Ungarn hatte eine neue Regierung mit Ministerpräsident Miklös von Källay an der Spitze. Er bekam von Horthy den Auftrag, das Land aus dem „deutschen Krieg” ohne große Erschütterungen herauszuführen. Nach anfänglichen Erfolgen, scheiterte jedoch diese Politik. Der deutsche Geheimdienst bekam rechtzeitig Wind von den ungarischen Kontakten im westlichen Ausland und Hitler ließ Ungarn am 19. März 1944 militärisch besetzen.

Källay mußte abdanken. Eine prodeutsche Regierung kam an die Macht und der deutsche bevollmächtigte Gesandte Edmund Veesenmayer amtierte in Budapest als Prokonsul des Hitler-Reiches. Die Rote Armee stand kaum 100 Kilometer von der Ostgrenze Ungartts entfernt.

Horthys Versuch, im September 1944 mit den Westalliierten einen sofortigen Waffenstillstand zu schließen, ja britische und amerikanische Fallschirmjägertruppen in Ungarn landen zu lassen, scheiterte. Die Westalliierten verwiesen den Reichsverweser in Sachen Separatfrieden an Moskau und nur an Moskau. Die Rote Armee stand schon in Siebenbürgen. Deutsche und ungarische Truppen versuchten Malinowskis 2. Ukrainische Front aufzufangen.

Es war ein schwerer Entschluß des militanten Antikommunisten Horthy, Stalin in einem persönlichen Brief um Gnade für Ungarn zu bitten. Die ungarische Friedensdelegation traf zwar Anfang Oktober 1944 in Moskau ein, aber die Deutschen waren rascher. Sie vereitelten geschickt und rasch am 15. und 16. Oktober 1944 Horthys Versuch, Ungarn das Los eines Kriegsschauplatzes deutscher und sowjetischer Truppen zu ersparen.

Horthy wurde zum Rücktritt gezwungen. Er mußte sogar vorher eine rechtsradikale Regierung ernennen, bei Weigerung wurde ihm die Füsilierung seines bereits in Gestapo-Händen befindlichen Sohnes angedroht. Hitler bot dem Reichsverweser eine „ehrenhafte” Abdankung an. Es gab keine andere Wahl. Mit deutscher Eskorte verließ die Familie Horthy am 17. Oktober 1944 Budapest und wurde via Wien in ein bayrisches Schloß unweit von Weilheim gebracht, wo sie unter Bewachung von etwa 100 SS-Leuten das Kriegsende erlebte.

Von der Gestapo bedroht

1945 wurde Horthy von den US-Behörden in Gewahrsam genommen, nach Nürnberg gebracht, wo er als Zeuge gegenüber den deutschen Hauptkriegsverbrechern auftreten mußte. Ab Dezember 1945 durfte er zu seiner Familie nach Bayern zurückkehren. Weder die Siegermächte (einschließlich der UdSSR) noch die ungarischen Nachkriegsregierungen beabsichtigten, Horthy den Prozeß zu machen. Sie hatten auch keine rechtliche Grundlage, außer den Kommunisten, die Horthy gern wegen 1919 zur Rechenschaft gezogen hätten. Aber Mätyäs Räkosi, Chef der ungarischen KP, wurde für seinen diesbezüglichen Eifer von Moskau nicht unterstützt.

Ende 1948 verließ die Familie Horthy Weilheim. Sie fand eine neue Bleibe in Portugal, wo sie sich in Estoril niederließ. Miklös von Horthy erlebte noch den Ausbruch des Ungarischen Volksaufstandes 1956. Als die Rote Armee am 4. November 1956 mit der militärischen Niederschlagung des Aufstandes begann und der Westen tatenlos zusah, verlor Horthy jedes Interesse an Weltpolitik. Er las keine Zeitung mehr, hörte kein Radio. Er wurde plötzlich kränklich. Ab Jänner 1957 stand er unter ärztlicher Kontrolle.

Sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Schon vorher bestimmte er die Grabstätte, wo man ihn nach seinem Tod „provisorisch” bestatten sollte - mit der Auflage, daß man seine Gebeine nach Hause, nach Kenderes, bringen soll, wenn Ungarn einmal frei von fremden Truppen, ein freies Land sein sollte.

Am 9. Februar 1957 schloß der 88jährige seine Augen für immer. Am 15. Februar wurde er auf dem Englischen Friedhof von Lissabon beigesetzt. Auch die Emigration hatte seine politische Grundauffassung nicht wandeln können.

Er blieb, was er zeitlebens war: ein ungarischer Patriot vom Schlage eines Edelmannes des 19. Jahrhunderts, der sein Land und seine Nation über alles stellte.

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