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Die Wandlungen eines KP-Führers

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Einer der .Rangältesten” KP-Führer und Staatschefs in Osteuropa, Jänos Kädär, begeht am 26. Mai seinen 70. Geburtstag. Das mit seinem Namen gekennzeichnete Programm ist seit langem über die eigenen Landesgrenzen hinaus bekannt und durch seine kompromißlose Anwendung bildet Ungarn heute eine Oase im kommunistischen Machtbereich Osteuropas.

Geboren wurde der Jubilar noch in der Zeit der Donaumonarchie in der (damals) ungarischen Adria-Hafenstadt Fiume (Rije-ka). Groß wurde Jänos Kädär in der Zeit der Horthy-Ära, wo er als Halbwüchsiger aus der ländlichen Obhut der Großeltern nach Budapest geschickt wurde, um eine Lehre als Facharbeiter zu absolvieren.

Bereits mit 19 Jahren schloß er sich der kleinen, in der tiefen Illegalität wirkenden ungarischen Kommunistischen Partei an, die nach der mißglückten Proletarier-Diktatur von 1919 in der Zwischenkriegszeit ein jämmerliches Dasein führte.

Als der Krieg in Europa 1945 zu Ende ging, begann Kädärs steile Karriere in Ungarn. Die aus Moskau nach Budapest zurückgekehrten Führer der Partei — Mä-tyäs Räkosi, Ernö Gero und andere — schienen Interesse an Kädär zu haben, der in ihren Augen ein wahrer „Bilderbuch-Proletarier” war.

Zwischen 1945 und 1949 wurde nun der einstige Arbeiter mit Elementarschulbildung Mitglied des Ungarischen Parlaments, stellvertretender Polizeipräsident von Budapest und zwei Jahre lang sogar Innenminister der Regierung. In der KP selbst avancierte Kädär zum Stellvertreter des Generalsekretärs, also Mätyäs Rä-kosis.

Dann erfolgte der Sturz in die Tiefe!

Nachdem so viele Kommunisten (und Nicht-Kommunisten) zwischen 1949 und 1951 von Räkosis Schergen unschuldig verhaftet, teilweise hingerichtet und für längere Zeit als .Abweichler” eingekerkert worden waren, kam auch Jänos Kädär an die Reihe.

An einem trüben Märztag 1951 holte ihn der Staatssicherheitsdienst aus seinem Büro ab. Nicht gewillt, die falschen Anschuldigungen seiner Inquisitoren auf sich zu nehmen, mußte er Tortur und Demütigung im Gefängnis erdulden. Erst im Frühjahr 1954 kam er auf freien Fuß und kehrte in die Parteiadministration zurück.

Im Winter 1955/56 nahm innerhalb der KP der Kampf für einen humanen Sozialismus auf nationaler Basis festere Konturen an.

Kädär lancierte vorsichtig zwischen der Front der Reformer um Imre Nagy einerseits und den Stalinisten um Rakosi andererseits. Als Parteisekretär eines Budapester Arbeiterbezirkes vermied er es, klar Stellung zur gegebenen Situation zu beziehen, obwohl er, insgeheim, eher den Reformern nahe stand.

Im Sommer 1956, als Räkosi durch Moskaus Emmissäre nicht nur als Führer der KP entfernt wurde, sondern auch Ungarn verlassen mußte, rückte Kädär in das Politbüro der ungarischen KP vor.

Die Führung der Partei fiel indessen einem üblen Stalinisten zu: Ernö Gero.

Ungeachtet der Bestrebungen der reform willigen Kommunisten im Lande, versuchte Ernö Gero, die gerechten Forderungen der Werktätigen mit unbedeutenden Gesten zu befriedigen. Die Antwort darauf erhielt er am 23. Oktober 1956. An diesem Tag brach der Volkszorn in einem Aufstand gegen das Regime aus.

Innerhalb von zwei Tagen wurden die Stalinisten und an ihrer Spitze Ernö Gero aus dem politischen Leben weggefegt. Imre Nagy wurde Ministerpräsident, und Jänos Kädär übernahm mit Moskaus Einverständnis die Führung der KP.

Kädärs positive Rolle während des Volksaufstandes war bereits Gegenstand einiger Untersuchungen der politischen Literatur. Wir wollen hier nur als Tatsa-”che feststellen, daß er sich sowohl in Worten als auch in Taten uneingeschränkt für die berechtigten Forderungen der Volksmassen nach Freiheit und Demokratie einsetzte.

Noch am Tage seines mysteriösen Verschwindens aus Budapest — am 1. November 1956 — trat er in einer Rundfunksendung dafür ein, daß Ungarns neuer Weg in die Zukunft durch,die positiven Errungenschaften i der Revolution gesichert werde___

Was mit Jänos Kädär in den folgenden Tagen geschah, ist noch heute ein Rätsel der Geschichte. Man weiß nur, daß er am späten Abend des 1. November 1956 aus Budapest „mit sanfter Gewalt” nach der Sowjetunion entführt wurde, wo man ihn auf seine bevorstehende neue Rolle vorbereitete.

Die militärische Intervention der Sowjets in Ungarn erfolgte in den frühen Morgenstunden des 4. Novembers. Zur gleichen Zeit meldete sich Jänos Kädär durch den Rundfunk aus einer von sowjetischen Panzern gesicherten ungarischen Provinzstadt. Er gab die Gründung einer „neuen” Regierung bekannt, die mit der Unterstützung der Roten Armee den Sozialismus in Ungarn für die Zukunft zu fetten beabsichtige”...

Sein politischer Sinneswandel war für Feind und Freund unbegreiflich, und auch sein Verhalten unmittelbar nach der Niederwerfung des Aufstandes gab einige Rätsel auf. Denn er versprach vorerst eine breite Amnestie für alle aktiven Teilnehmer an den „Oktober-Ereignissen”. Kaum war das Land bis Mitte 1957 aber politisch befriedet, begann die Regierung Kädär ihre blutige Abrechnung mit den Revolutionären!

Obwohl darüber noch bis zum heutigen Tag keine offiziellen Angaben existieren, weiß man aus zuverläßigen Quellen, daß zwischen 1957 und 1963 außer Imre Nagy , Päl Maletar und anderen Führern des Aufstandes beinahe 100.000 Ungarn eingekerkert und etwa 1.000 Personen dem Henker übergestellt wurden!

Die politische Wende für die Bevölkerung Ungarns - seit 1963 ein erkennbarer Sonderfall in Osteuropa — trat nur langsam und allmählich ein. Begonnen hatte sie eigentlich schon im Dezember 1961, als Partei- und Regierungschef Kädär bei einer Versammlung die Worte fallen ließ: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns!”

Und in der Tat blieb diese Losung bis zum heutigen Tag ein Kernstück in der neuen Politik von Jänos Kädär, der nun daran ging, Stück um Stück, mit vorsichtigen Schritten, im Interesse des gesamten Volkes seine humanere Politik zu betreiben.

Heute — nach zwei Jahrzehnten dieser Kädärschen Politik — kann man ohne Opportunismus behaupten: Im gegebenen Rahmen des Systems hat Jänos Kädär viel positives geleistet!

Während er die wesentlichen Stützen und politischen Prinzipien des sozialistischen Regimes östlicher Prägung unangetastet ließ, wurden in den sechziger und siebziger Jahren einige - nicht unwesentliche — Forderungen des Volksaufstandes 1956 in die Tat umgesetzt.

Das Alltagsleben der Werktätigen verbesserte sich zunehmend; das materielle Interesse der Bevölkerung am Arbeitsplatz wurde geschickt gefördert; der Privatsektor erfuhr einen starken Aufschwung und mit der im Frühjahr 1963 verkündeten politischen Amnestie wurde seitens der Regierung auch ein ehrlicher Strich unter den Rachefeldzug gegen die Revolutionäre gemacht.

Der Polizeiterror wurde abgeschafft; man öffnete die Grenzen nach Westen für Touristenreisen (mit einigen wirtschaftlich begründeten Einschränkungen). Im kulturellen Bereich wurde eine Art Liberalisierung geduldet.

Nun stellt sich unwillkürlich die Frage: Ist dies alles der Verdienst von Jänos Kädär, der das Fegefeuer für sich und seine Nation auf sich nahm, um am Ende unter Aufopferung einiger seiner Ideale und Freundschaften (1956!) zum Wohle der Allgemeinheit in den von der „großen Politik” gegebenen Grenzen wirken zu können?

Die Antwort kann, auch von der Geschichte, nur ein „Ja” sein — umsomehr, als bei seinem Wirken auch die Menschliche Komponente eine große Rolle spielte. Kädär, bescheiden in seinem Auftreten, bar aller Machtgier oder Nepotismus, eher schüchtern in seinem Benehmen, sehr puritanisch in seinem Lebensstil, wuchs in Ungarn zu einer wahren Vaterfigur auf, die von Freund und Feind der sozialistischen Entwicklung Ungarns zwar nicht immer kritiklos gesehen, aber im großen und ganzen anerkannt wird!

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