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„Gipfel“-Sturm in Budapest

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Die „kurzschlüssige“ Invasion der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Mächte hatte für die dritte Budapester Vorkonferenz der kommunistischen Bruderparteien vom 17. bis 22. November 1968 ebenso kurzschlüssige Erwartungen ausgelöst: Die Parteiführer des Kreml hatten nach dem 21. August 1968 so viele Besuche, Konferenzen, Einzelgespräche, Versprechungen absolviert, daß die Abhaltung der geplanten Moskauer Gipfelkonferenz nurmehr eine Frage des einvernehmlichen Zeitpunktes sein sollte.

Die dritte Budapester Vorkonferenz spielte also auf dem Hintergrund vorausgegangener Absprachen: Frankreichs KP-Chef Waldek- Rochet hatte in Moskau eingelenkt; Italiens KP erwies sich in der Verurteilung der Invasion nicht mehr so geschlossen, eine Anzahl kleinerer Bruderparteien im Westen hatte es vorgezogen, sich die moralische Entrüstung mit sowjetischen Zugeständnissen (darunter nicht zuletzt finanziellen) „abkaufen“ zu lassen. Die Führung der KPC war um die Mitte des Novembermonats 1968 so sehr mit der internen Parteidiskussion der „Erfüllungspolitik“ gegenüber dem Kreml beschäftigt, daß Moskau von dieser Seite keine harten Einsprachen befürchtete. Polen? Gomulka hatte den V. Parteikongreß der PVAP geschickt und mit Erfolg über die Bühnen gebracht. Ungarn? Noch vor Beginn der Konferenz der 67 Bruderparteien am 17. November 1968 äußerten ungarische Funktionäre im Gespräch, daß der Nachfolger des Parteichefs János Kádár mutmaßlich Zoltán Komócsin heißen werde. Blieben also noch die Rumänen, die seit Jahresfrist immer neue „Hürden“ und Einwände aufbauten, wobei sie an die Eigenständigkeit der Entschlüsse im nationalen Bereich der Bruderparteien erinnerten. Aber — inzwischen hatte doch Rumäniens Parteiführung einige kleine , Schwenkungen . vollzogen, elastische Rückzüge vorgenommen, um der sowjetischen Eskalation ohne materielle Einbußen und Gesichtsverlust zu entgleiten. Kaum ein Beobachter im Osten und Westen zweifelte schon vor dem 17. November 1968 daran, daß die Sowjets kontrollmäßig sowohl die Rumänische Volksarmee, wichtige strategische Punkte und einen Teil der Spitzenkader der rumänischen KP Wieder in den Griff bekommen hatte.

Keine Paradeveranstaltung

Der Kreml mußte erwarten, daß die Bukarester Parteiführung isoliert Und für die durch den Kreml forcierte Moskauer Gipfelkonferenz keinerlei Bedingungen zu stellen hatte. Dabei mußte dem Kreml alles daran gelegen sein, daß der Termin für die Abhaltung des Gipfels möglichst frühzeitig und ohne Zwischenschaltung neuer Konferenz- und Kulissengespräche festgelegt wurde. All diese Voraussetzungen schienen auch den raschen und durchschla-

genden Erfolg des „Kurzschlusses“ gegen die Prager Führung zu bestätigen. Indessen stellte sich heraus, daß der Währungskrise im Westen gewissermaßen spiegelbildlich eine parteipolitische Krise im Osten als „Ausgleich“ gegenüberstand.

Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens und die Partei der Arbeit Albaniens waren zwar vorsichtshalber ebensowenig eingeladen worden, wie die stets anarcho-syndikalistischen Kubaner oder Japans „umgefallene" KP-Führung. Man konnte auch nicht sagen, daß „die Rumänen“ eine offene Fronde gegen die große Bruderpartei der KPdSU betrieben. Denn Italiens und Frankreichs KP, die skandinavischen Genossen legten ihrerseits größten Wert darauf, daß die angestrebte Moskauer „Parteikrisen-Gipfelkon- ferenz“ nicht eine bloße Paradeveranstaltung ohne wirklichen Meinungsaustausch, ohne Mitsprache und Mitentscheidung der Bruderparteien würde. Die Rumänische KP konnte sich bei ihrer alten Taktik, gegen Verfahrensfragen formale Bedenken anzumelden, natürlich voll und ganz auf die wichtigsten Bruderparteien im Westen stützen. Will Rumänien eine Aushöhlung, eine Untergrabung der Einheit des weltkommunistischen Lagers? Weit gefehlt! Die stillschweigende Aktion von fünf Bruderparteien der Warschauer- Pakt-Staaten hatte doch gezeigt, wie sehr gerade durch isolierte Aktionen die Einheit, die gemeinsame Handlungsfähigkeit aller Bruderparteien in Ost und West gefährdet wird. So konnte der KP-Sprecher Rumäniens für die westlichen Bruderparteien als Anwalt in die Schranken treten: Welchen dauernden Gewinn hätte denn Moskau von der alleinigen — mehr oder minder aufgezwungenen — Gefolgschaft der meisten Kommunistischen Parteien innerhalb des Sowjetblocks? Geht es um die gemeinsame weltrevolutionäre Willensgestaltung — oder nicht?

Worum es geht

„Die Russen möchten soviel gerne ihren Gipfel haben“, erklärte ein österreichischer Genosse dieser Tage, „wie ein Kind, das in ein Spielzeug verliebt ist!“ Gewiß, die jetzt wieder mit einer vierten Vorkonferenz vorbelastete Frühjahrstagung 1969 der Bruderparteien in Moskau, soll eine Demonstration mit Leuchtfeuer werk und ein wenig Theaterdonner sein. Es geht jedoch in Wirklichkeit für und gegen eine Verurteilung Pekings. Es geht um die parteiamtliche internationale Dogma- tisierung einer Interventionspflicht gegen unbotmäßige Situationen in Sowjet-sozialistischen Schwesterlän- dem und Bruderparteien. Die Feststellung und die Zustimmung für dieses wirtschafts- und militärpolitische Interventions-„Recht“ wird den sehr wesentlichen Inhalt der Moskauer Kulissengespräche im März 1969 (oder später?) ausmachen. Budapest aber möchte nicht wieder Schaubühne und Vorverhandlungsort sein. Diese Ablehnung einer vierten Vorrunde in der ungarischen Hauptstadt entspricht nicht angeborener ungarischer Bescheidenheit. Es dürfte unter anderem viel mehr der Kostenpunkt sein, der eine Rolle spielt. Darüber hinaus — Hand aufs'Herz! — verliefen die halb- offiziellen und inoffiziellen Gespräche der Bruderparteien wirklich so „brüderlich“, wie noch vor einem knappen Jahrzehnt, während des Moskauer 1957er „Gipfels“? Die kleinen Bruderparteien fragten sich außerdem, welcher Kreml mit welchen Akzenten im späten Frühling 1969 Gastgeber und Primus inter pares sein wird. Die Antwort auf diese nicht unwesentliche Frage müssen jedoch die nationalen Spitzenfunktionäre der KP-Internationale der nächsten Zukunft überlassen.

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