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Rumänien und der Sperrvertrag

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Auch auf der Sofiaer Tagung des Politischen Konsultativausschusses des Warschauer Paktes traten erneut Meinungsunterschiede zwischen Rumänien und den übrigen Ostblockstaaten zutage, nicht so dramatisch und nicht in einer so auf Publizität bedachten Weise wie in Budapest, jedoch in einer Šache, die die Welt, im Augenblick mindestens, viel unmittelbarer und tiefer bewegt als die Frage nach der Aktionseinheit der kommunistischen Parteien. Es handelt sich um den Atomsperrvertrag.

Zum Unterschied von Budapest weiß man wenig über das, was sich die maßgebendsten Männer des europäischen Kommunismus zu sagen hatten und wie und mit welchen Argumenten der jeweilige Standpunkt vorgetragen wurde. Haben die Sowjets — am Rande ihrer Geduld, wie die Korrespondenten vorher aus Moskau berichteten — den rumänischen Parteichef Ceausescu unter Druck gesetzt? Ein massiver Druck

— der bei anderen aufgetretenen Meinungsunterschieden ausgeblieben ist — erschien diesmal manchem westlichen Kommentator für die Sowjets beinahe als dringend geboten, und zwar — wie die „Stuttgarter Zeitung“ meinte — weil eine aus dem sowjetischen Lager betriebene Verzögerung des Vertragsabschlusses Moskau erhebliche Schwierigkeiten in seinem komplizierten Spiel mit Washington bereiten könnte.

Wie im Juni

Nach dem spektakulären Abgang der rumänischen Delegation aus Budapest können sich aber Moskau und die „braven“ kommunistischen Führungen die Hände in Unschuld waschen und darauf hinweisen, daß ihnen die Mittel für eine Züchtigung des unbotmäßigen Verbündeten fehlen. Es passiert etwas ähnliches wie im Nahostkonflikt im vergangenen Juni, als die abweichende Stellung Bukarests keinen Einfluß auf die Einstellung der Araber zum gesamten Ostblock hatte. Dafür aber trug sie zur Verhinderung einer breiteren Front in der UN-General- versammlung um die sowjetisch- arabischen Forderungen bei und erleichterte somit den Rückzug Moskaus von einer extremen Position, die in der Tat für den Ostblock unbequem und voller Risiken war, wäre er in den Zwang geraten, ihre Durchsetzung versuchen zu müssen. Und weil sich die rumänische KP-Führung einer Art von Narrenfreiheit freut, hat sich ihr Verhältnis zu den Arabern nicht einmal besonders verschlechtert. Betrachten wir somit etwas näher die von Bukarest in Sachen Atomsperrvertrag bezogene Stellung ein wenig nach dem Grundsatz „timeo Danaos..

Keine Eile!

Es wird beinahe axiomatisoh angenommen, daß Moskau einen kurzfristigen Abschluß des Atomsperrvertrages wünscht. Radio Moskau sagte es ja auch in einer Sendung in deutscher Sprache am 18. Februar 1968. Die aus den Kreisen der EWG formulierten Einwände bedeuten gewiß aus sowjetischer Sicht Gründe, auf einen raschen Abschluß des Vertrages in der jetzigen Fassung zu drängen. Dies heißt jedoch nicht, daß Moskau diesen Abschluß, ähnlich wie die Amerikaner, noch in diesem Sommer dringend braucht. In Jugoslawien glaubt man, wie die Tanjug am 12. Februar berichtete, daß im Herbst eine Konferenz der nichtatomaren Länder zusammentreten wird, um eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Abkommen der Atommächte über die Nichtausbreitung der Kernwaffen auszuarbeiten. Man sagt den Jugoslawen nähere Kenntnisse über die Hintergründe der sowjetischen Politik nach, Auch engagierten sie sich kaum in einer für Moskau abträglichen Aktion, dagegen sind sie für „antiimperialistische“, das heißt für antiamęrika- nische Aktionen immer zu haben.

Nehmen wir nun an, daß der Planungsstab für die sowjetische Führung auch eine Alternative zum sehr raschen Vertragsabschluß erarbeitet hat. Man könnte darauf hin- weisen, daß die sowjetische Propaganda einen der wichtigsten Schlager

— das angebliche Streben Bonns nach Atomwaffen — verlieren würde. Nach dem Vertragsabschluß würde die sowjetische Propaganda nicht nur unglaubwürdig, sondern direkt lächerlich wirken, falls sie eine deutsche Gefahr für die Nachbarvölker noch beschwören möchte. Und was geschieht nachher mit dem unsichtbaren Faden, der jetzt Gomulka so eng an Moskau bindet?

Welches Gegengewicht gäbe es noch zu den latenten antisowjetischen Gefühlen des polnischen Volkes, die bei der Aufführung des Theaterstücks „Dziady“ von Mickiewicz und nach dessen Absetzung so stark in Erscheinung traten? Welche Plattform bliebe Ulbricht noch übrig?

Moskau und Johnson

Nach allgemeiner Ansicht, wünscht Washington den Vertrag spätestens bis Sommer unter Dach und Fach zu bringen, da er sonst für Präsident Johnson keine Rolle mehr im Wahlkampf spielen könnte. Die schwerwiegende Konzession der Amerikaner hinsichtlich der Kontrollbestim- mungen sei darauf zurückzuführen. Wünschen die Sowjets die Wiederwahl Johnsons? Der amerikanische Präsident hat zwar eine schwere Konfrontation mit den Sowjets vermieden, hat aber vielleicht für Moskau auf unbequemste Weise das Vietnamproblem angepackt: ein langer, aber entschiedener Kampf, der an den Ressourcen des Ostblocks mehr als an denen des Westens zehrt; wobei in den USA selbst die verfolgte Mittellinie daran hindert, daß weder die „Falken“ noch die „Tauben“ die Oberhand gewinnen. Dies bedeutet umgekehrt, daß zwar die Falken den Kampfwillen erhallten, die Tauben aber zu einem Abbröckeln dieses Willens nicht entscheidend beitragen können. Wie könnten sich diese Gegebenheiten jedoch ändern, falls ein anderer Präsident der Versuchung nachgeben würde, Amerika stärker zu engagieren, ohne dabei einen raschen Erfolg erzielen zu können!

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