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Der große Katzenjammer

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Nun hat der große Katzenjammer in Washington begonnen. Nach der schockierenden Abfertigung des amerikanischen Außenministers in Moskau und nach der eindeutig groben und auch sonst ganz ungewöhnlichen Pressekonferenz Außenminister Gromykos („Die Amerikaner wollten uns täuschen und hintergehen“) steht man im Weißen Haus vor dem Scherbenhaufen der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Was Kissinger und andere in Jahren zielstrebiger Diplomatie aufgebaut haben, scheint von Carter binnen weniger Wochen eingerissen worden zu sein.

Dabei kommt dem Präsidenten noch zugute, daß sich hinter ihm, unter den wachsenden Angriffen aus dem Osten, die innenpolitische Front schließt und festigt. Ein Konflikt mit der Sowjetunion tut jedem Präsidenten innenpolitisch gut. Keiner wagt es, in Zeiten mit außenpolitischem Streß, dem Präsidenten in den Rücken zu fallen.

Nun gilt es nunächst einmal, zu untersuchen, was eigentlich passiert ist. Daß zwei amerikanische Vorschläge über den Abbau nuklearer strategischer Waffen von den Russen brüsk zurückgewiesen wurden, ist an sich noch nichts Ungewöhnliches. Schließlich beruht die Position beider Weltmächte auf ihrem nuklearen Arsenal. Dieses stellt zwar eine latente Gefahr für die Menschheit dar, ist aber zugleich auch das Rückgrat der beiderseitigen nationalen Sicherheit. Entscheidungen über den Abbau solcher Waffen müssen lange überlegt und studiert werden.

Erschrocken war man in Washington über den Abbruch des Gesprächs deshalb, weil die Vorschläge von den Sowjets nicht einmal diskutiert worden waren. Man befürchtete fast schon einen Abbruch der Beziehungen, tröstet sich aber jetzt mit neuen Verhandlungen, die im Mai in Genf zwischen Gromyko und Vance stattfinden sollen. Nichts sei vertan, das Spiel gehe weiter.

Dabei war man noch am zweiten Verhandlungstag optimistisch.

Breschnjew war nicht erschienen und man mutmaßte, er nütze die Zeit, um die amerikanischen Vorschläge mit seinen Kollegen unj mit den Militärs zu studieren.

Als dann am dritten Tag das brüske Njet kam, hieß es im Weißen Haus zunächst, Breschnjew habe einen „kranken Eindruck“ gemacht, er sei nicht mehr der Alte, er stehe unter dem Druck und dem Einfluß der „Falken“ seines Kabinetts.

Bei der Beurteilung des russischen Verhaltens müssen nun das taktischpolitische Vorgehen der amerikanischen Regierung, wie auch der merito- rische Inhalt ihrer Vorschläge untersucht werden. Zunächst hat sich erwiesen, daß Carters Kampagne für die Menschenrechte die Sowjets nicht gefreut und das Verhandlungsklima von Haus aus getrübt hat. Zu glauben, daß eines mit dem anderen nichts zu tun habe, ist naiv und das wird jetzt in Washington auch schüchtern zugegeben. Man habe die sowjetische Mentalität wohl verkannt… Zugleich will aber Präsident Carter die innenpolitische Dividende seiner Menschenrechtskampagne nicht einbüßen, und so heißt es denn auch wieder: „Wir bleiben hart!“ und: „Wenn die Sowjets nicht abrüsten wollen, müssen wir eben unser nukleares Arsenal ausbauen.“ Dabei wäre ein vernünftiges „ti- ming“ durchaus möglich gewesen.

Man muß ja nicht gerade am Tag der

Abreise des Außenministers nach Moskau vom Kongreß 45 Millionen Dollar für den Ausbau der Sender „Radio Free Europe“ und „Radio Liberation“ fordern. Man muß auch nicht zwei Wochen vor den allgemein als vital angesprochenen Moskauer Verhandlungen vor die UN-General- versammlung treten und von der Weltöffentlichkeit Druck auf die Sowjets in Sachen Abrüstung verlangen. Dabei war die Generalversammlung gar nicht in Session und wurde ad hoc zusammengerufen. Oder ist es üblich, daß man so komplexe militärische Vorschläge zuerst den Journalisten und dann erst den Sowjets vorlegt?

Der beste Kenner sowjetischer Außenpolitik und langjährige amerikanische Botschafter in Moskau, George Kennan, formulierte es ähnlich: „Die neue Regierung hat bei diesen Moskauer Gesprächen jeden nur überhaupt möglichen Fehler begangen. Sie hat auch alle Lehren in den Wind geschlagen, die wir in unseren Beziehungen zur Sowjetunion seit dem Zweiten Weltkrieg gesammelt haben.“ Kennan warf der Regierung nicht nur psychologisches und taktisches Versagen vor, er glaubt auch, daß man Abrüstungsgespräche auf viel breiterer Ebene führen müßte, „denn alles das bildet ja ein Paket“. Die Zeit sei über-

haupt erst dann reif für solche Gespräche, wenn beide Seiten freiwillige Vorleistungen erbrächten. Dann müßten solche Verhandlungen auf Beamtenebene vorbereitet werden, denn Außenminister dürften sich keiner öffentlichen Blamage aussetzen.

Was nun den merito rischen Inhalt der amerikanischen Vorschläge betrifft, so fühlen sich die Sowjets durch ihn übervorteilt. Gerade weil in ihrem Arsenal weniger raffinierte Waffen stehen als im amerikanischen, erscheint es ihnen inakzeptabel, zehn Prozent jener Raketentypen aufzugeben, die vermutlich das Rückgrat ihrer nuklearen Macht darstellen. Die Amerikaner waren hingegen bereit, zehn Prozent ihrer konventionellen strategischen Raketen aufzugeben. Sogar vom interkontinentalen Typ ihrer offenbar alles an Raffinement übertreffenden Cruise-Missile (Reichweite: 5000 Meilen) Gegenstand von Verhandlungen und Kürzungen sein soll, obwohl dieses Geschoß von Flugzeugen, Stützpunkten und vorgeschobenen Basen abgefeuert werden kann. Es sei eben nicht „interkontinental1’.

Wie man sieht, hat also Carter seinen Plan - jedenfalls in den Augen der Sowjets - nicht ohne Schläue ausgeheckt: entweder Reduktion des allgemeinen Arsenals um zehn Prozent, oder Weiterführung der interkontinentalen Cruise-Missile.

Was der Präsident jedoch verkannt hat, ist das allgemeine Kräfteverhältnis. Die Sowjets in ihrer heutigen weltpolitischen Verfassung einer Art von militärischem Oktroy auszusetzen, ist weniger kühn als naiv. Vielleicht wäre so etwas unter Eisenhower noch möglich gewesen. Seither hat sich das Kräfteverhältnis jedoch erheblich zu Gunsten Moskaus verschoben. Es mag hier genügen, anzuführen, daß der amerikanische UN-Botschaf- ter Young erklärt hat, amerikanische Truppen könnten in Rhodesien oder Südafrika gar nicht eingesetzt werden, weil das zum Bürgerkrieg in den USA führen würde. Er spielte dabei auf die Tatsache an, daß das US-Söldnerheer zu mehr als 20 Prozent aus Farbigen besteht. Demgegenüber hat der Kreml keinerlei Schwierigkeiten, kubanische oder andere Hilfstruppen in Afrika einzusetzen, was zu einer weiteren Schwächung der amerikanischen Position führt.

Angesichts dieser Verkennung der machtpolitischen Realitäten mußte Carters Abrüstungsmanöver mit einem Fiasko enden. Daß sowohl Sowjets wie Amerikaner die Gespräche fortführen wollen, läßt erkennen, daß beide Großmächte den Konsumwünschen der Bevölkerung Gehör schenken müssen. Aber die amerikanische Verhandlungsposition wird in Genf nach dem Moskauer Eclat wesentlich schwächer sein, der Charakter der Gespräche muß sich vollkommen ändern. Der Versuch Jimmy Carters, Moskau zu nehmen wie Iowa oder Pennsylvania in den Präsidentschaftsvorwahlen, ist, wie James Re- ston in den „New York Times“ schrieb, gescheitert.

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