6689346-1962_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Als Beobachter in Moskau

Werbung
Werbung
Werbung

Der „Weltkongreß für allgemeine Abrüstung und Frieden“, symbolisiert durch eine Friedenstaube Pablo Picas-sos, fand zwischen dem 9. und 14. Juli in Moskau statt. Diesem Kongreß gegenüber existieren im „Westen“ verschiedene Einstellungen, deren wesentliche Akzentuierungen sich etwa wie folgt charakterisieren lassen:

These: Der Kongreß ist eine rein kommunistische Propagandaaktion. Wer an ihm in irgendeiner Weise teilnimmt, fällt nur auf einen Trick Moskaus hinein. Echte westliche Meinungen werden hierbei nicht zu Wort kommen, vielmehr wird dabei nur der Westen als Friedensfeind dastehen. Demnach hätte der Kongreß vor allem den Zweck, den Westen zur Annahme sowjetischer Abrüstungsbedingungen durch propagandistischen Druck zu bewegen.

Gegenthese: Der Kongreß ist ein Versuch der Sowjets, bessere Bedingungen zu einer Verständigung mit dem Westen zu schaffen. Daher wird es echte Möglichkeiten geben, westliche Positionen vorzutragen. Er hat weiter den Sinn, interne aggressive Teile des kommunistischen Blocks zurückzudrängen (vor allem China). Daher benütze man die Gelegenheit, den Sowjets direkt in Moskau den eigenen Standpunkt klarzumachen. Man forciere Kontakte und versuche, die mehr oder weniger vorhandenen Ansätze der sowjetischen Verständigungsbereitschaft zur Entfaltung zu bringen.

Um ein Ergebnis vorwegzunehmen: Wenn die Sowjets wirklich nur das propagandistische Ziel nach der ersten These verfolgten, dann muß ihr Versuch als weitgehend gescheitert angesehen werden. Denn derartige Kritiken, nicht nur am offiziellen Standpunkt der Sowjets (es wurde Chruschtschow selbst im großen Saal des Kongreßpalastes entgegengetreten), hat Moskau wohl noch nie erlebt.

Wenn man These zwei auch für möglich hielt, wie der Großteil jener Briten und US-Amerikaner, die nach Moskau kamen, war die Konsequenz hinzugehen, zu sondieren, zu diskutieren und zu sprechen. Manches wies darauf hin, daß die Sowjets echte Bereitschaft zeigten, auch wirklich profilierte Meinungen zu Abrüstungsund Friedensfragen aus dem Westen zu Wort kommen zu lassen. Dies war jedoch propagandistisch eine für sie fragwürdige Sache. Also wollten sie doch einen Schritt zu echter Verständigung tun? Es würde dies dem Liberalisierungstrend entsprechen.

All das war unsicher. Einerseits sollen echte Chancen zum Frieden nicht ungenützt versäumt werden, anderseits gab es für jeden, der da hinkam, die Gefahr, propagandistisch ausgenützt zu werden. Die Folge dieser ambivalenten Möglichkeiten war, daß aus den westlichen Ländern weit mehr Beobachter als Delegierte kamen, das heißt Mensehen, die einmal sehen und hören wollten, ohne sich direkt zu engagieren.

Wenn man nun den Ablauf dieses Kongresses betrachtet, so trägt er in verschiedener Hinsicht ein höchst vieldeutiges Gesicht. Es hängt dies zum Teil mit den inneren ideologischen und psychologischen Schwierigkeiten eines Systems zusammen, das einerseits eine höchst aggressive Ideologie besitzt, anderseits friedliche Politik betreiben will.

Auf diese Weise erklärt sich die ständig höchst komisch wirkende militaristische Phraseologie für die Tätigkeit für den Frieden. Bei den Kommunisten handelt es sich um Friedens-„ kämpf er“, die für den Frieden ,,Schlachten sehlagen“. Aber wer kämpfen will, eröffnet einen Krieg, leitet jedoch keinen Frieden ein. Oder, wie am ersten Tag einer von den nur 14 Chinesen (aus den USA waren zum Beispiel um die 200 Personen anwesend) meinte, daß man die „Imperialisten zum Frieden zwingen müsse“ Mit vollem Recht führte ein Kanadier aus, daß Frieden wollen zusammenarbeiten heißt und nicht „kämpfen“.

Es blieb der Eindruck, daß sich die Sowjets auf zwei Ebenen bewegten, nicht planmäßig, vielmehr aus der eigenen inneren Konfliktkonstellatiori heraus, einer Konfliktkonstellation, die quer durch die eigenen Gruppen ging. Die große Linie der sowjetischen war eine friedlich-koexistenzialistische, die sich auch in der durchaus positiven Schlußresolution letztlich durchsetzte. Gleichzeitig jedoch mußten höchst aggressive Kräfte gebremst beziehungsweise im Zaum gehalten werden.

Schon am ersten Tag des Kongresses, “der durch Plenarsitzungen im großen Saal des neuen Kongreßgebäudes im Kreml — ein moderner Bau aus Glas und Beton — eröffnet wurde, kam es zu höchst bemerkenswerten Begebenheiten und Kontrasten. Alle möglichen Redner stellten immer wieder fest, daß der Krieg mit den modernen Waffen schrecklich sei, die Existenz der Menschheit als Ganzes in Frage gestellt würde. Dies waren natürlich praktisch belanglose Feststellungen, waren sie doch der Ausgangspunkt für den Kongreß. Allerdings waren die Sowjetrussen sichtlich von einer chinesischen Feststellung befriedigt, die in ihrer Art durchaus neu war. Die Chinesen hatten bislang ständig behauptet, daß ein Atomkrieg zwar ganze Völker liquidieren würde, daß jedoch auf Grund der Volkszahl und der Geographie des chinesischen Volkes eine erhebliche und schließlich entscheidende Zahl von Chinesen übrigbleiben würde. Nunmehr jedoch schwenkte der chinesische Sprecher auf die russische Gegenthese ein. In maximal aggressiven Wendungen gegen die USA-..Imperialisten“ verpackt, gab er die Möglichkeit einer Totalvernich-tunc auch des chinesischen Volkes in einem modernen Krieg zu.

Wurde hier am ersten Tag des Kongresses eine Kluft überbaut, so riß doch eine andere gleichzeitig auf. Ja, es kann dieser Gegensatz als der eigentliche Antagonismus bezeichnet werden, den auch die delikat nuancierte Schlußresolution nicht übertünchte: Es war dies der Gegensatz zwischen den „Friedenskämpfern“ und den Pazifisten, der in einer für die Sowjets manchmal peinlichen Weise vom ersten bis zum letzten Tag mitspielte. (Es ist allerdings zu sagen, daß die Pazifisten auch den US-Amerikanern, würden sie einen solchen Kongreß veranstalten, höchst lästig fallen würden.)

Zum erstenmal klang — vorerst als Unterton — die pazifistische Position an, als eine Botschaft des mexikanischen Generals Cardenas verlesen wurde, die politisch antiamerikanisch war und in wesentlichen Punkten den Standpunkt der UdSSR einnahm. Aber er empfahl, die Kernwaffenversuche eben einseitig einzustellen und die andere Seite unter moralischen Druck zu setzen. Da dieser Vorschlag in Moskau gemacht wurde, bezog er sich natürlich naheliegenderweise zunächst auf die UdSSR. Die Tatsache, daß die Rede den Sowjets politisch sehr nahe kam, verstärkte nur noch das Gewicht des Vorschlags.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung