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Die Rolle der Entwicklungsländer

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Besonders von Seiten der Entwicklungsländer hörte man zum Teil die aggressivsten, im Schlagwortkatalog sehr armen und daher monotonen (Imperialisten, Kolonialisten usw.) und denkbar ungereimten Reden. (Zum Beispiel hörte man — allerdings gegen Ende des Kongresses — von einer Indonesierin, daß die Indonesier auf Neuguinea für den Frieden gegen die Holländer kämpften.) Der zum Ausdruck kommende Nationalismus zeigte oft jene krankhaften Züge, die wir in Europa — hoffentlich — so ziemlich hinter uns haben.

Von diesen, in Anbetracht der oft langen Kolonialherrschaft nicht unverständlichen — aber deshalb keineswegs vernünftigeren — aggressiven Tönen hob sich dann klar und deutlich das Tonband von Bertrand Rüssel ab, der wiederum zur keineswegs reinen Freude der Sowjets eine pazifistische These vertrat, die kaum mit der kommunistischen Ideologie in Einklang zu bringen ist. So meinte er, daß sich die westlichen Vertragspartner sagen sollten, daß ein Sieg des Kommunismus besser sei als ein Atomkrieg, und die östlichen Verhandlungspartner: ein Sieg des Kapitalismus sei ebenfalls besser als ein Atomkrieg. Chruschtschow selbst hielt diese Feststellung Russeis für so wichtig, daß er sie in seiner eigenen Rede am zweiten Tag erwähnte, die Konsequenzen jedoch, die sich für ihn ergeben würden, zu erwähnen vermied, so daß Russeis Satz wie ein Fremdkörper innerhalb dieser Rede wirkte.

Mit Russeis Tonband kamen im übrigen erstmals die Briten gewichtig ins Spiel. Sie waren neben einigen Skandinaviern, Indern, Holländern, Kanadiern und Deutschen dann bis zuletzt jene Gruppe, deren klare Vernunft und wohlgezielte Sachlichkeit fast alles andere so überragte, daß man neben Geschimpfe, aggressiven Formulierungen, Selbstbeweihräucherungen, Danebengerede, Wiederholungen und Gefühlsduseleien immer wieder erholend aufatmen konnte, wenn ein Brite zum Sprechen kam.

Und wiederum schon am ersten Tag sprach einer der drei anwesenden anglikanischen Kleriker — Rev. Collins —, der klar darlegte, daß der Abbau des Ost-West-Mißtrauens nötig sei. Es waren im übrigen — zumindest, soweit ich in Kommissionen und Unterkommissionen sehen konnte — vor allem die Briten, die verhinderten, daß einseitig gegen den Westen Beschlüsse gefaßt wurden. Wie mir schien, war dies weitgehend im Sinne des Haupttrends der Russen, die jedoch nicht gut selbst neutral sprechen konnten. Gleichzeitig waren jedoch die Briten offenkundig lästig, beherrschten sie doch die demokratischen Spielregeln unvergleichlich besser als die darin wenig erfahrenen Sowjets. >

Später, in Zagorsk, dem Sitz des Patriarchen Alexej, genügte eine kurze Rede des anglikanischen Rev. Vincent, um ein wohlvorbereitetes Konzept des Ostens in völlige Verwirrung zu bringen. Aber bleiben wir bei der chronologischen Abfolge.

Am zweiten Tag, dem 10. Juli, war, nach wenig belangvollen Reden am Vormittag, nachmittags schließlich die Rede Nikita S. Chruschtschows. Zu bemerken ist, daß im großen Konferenzsaal, der keine Fenster hat und nur künstlich beleuchtet wird, von den Sowjets auf einer Art Lichtklaviatur gespielt wird. Es gibt zahlreiche Reihen von Lichtern. Man kann nun den Saal mehr oder weniger hell erstrahlen lassen. Es kann fast düster sein, wie etwa während den gequälten Ausführungen eines alten ungarischen Bischofs. Es versteht sich von selbst, daß bei der Rede Chruschtschows selbst die kleinste Glühbirne brannte und der Saal maximal strahlte.

Ich fragte einen Sowjetjournalisten über dieses Lichtklavier, und er meinte, das hätte wohl mit Ersparnis zu tun. Das war jedoch keine überzeugende Erklärung, denn warum nicht bei allen gleichviel sparen?

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