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Wenig Zukunft

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Es gibt kaum einen Staat der Welt, in dem es einen solchen Widerspruch zwischen einem überlebten bürokratisch-diktatorisch-hierarchisch abgestuften System einerseits und den Erfordernissen, Bedingungen und sozialen Kräften einer entstehenden Industriegesellschaft andererseits gibt wie gerade in der Sowjetunion. Das findet seinen Ausdruck in entscheidenden Widersprüchen.

Die Sowjetunion kann in der wissenschaftlich-technischen Revolution nicht mithalten, weil sie ihr riesiges aufgeblähtes diktatorisches Wirtschaftssystem daran hindert, mit der technologischen Entwicklung der übrigen Welt Schritt zu halten.

Seit Stalins Tod ging der Einfluß der Ideologie zurück, und seit Chruschtschows Sturz im Oktober ,1964 so drastisch und schnell, daß man von einem ideologisch-psychologischen Vakuum in der Sowjetunionsprechen kann. Dieses Vakuum führt zur Resignation, aber auch zur Suche nach Alternativen. Solche Alternativen sind Besinnung auf die Tradition, ein ganz starkes Anwachsen des religiösen Interesses, ein zunehmender Nationalismus in den einzelnen Völkern, aber auch politische Alternativen.

Wenden wir uns der Frage zu, weshalb ein System von innerer Zerrissenheit und Schwäche trotzdem so stark nach außen wirken kann. Dieser Widerspruch isj kaum zu erklären, aber ich möchte versuchen, ihn zu deuten.

Erstens hat es das Regime verstanden, die eigenen Schwächen, Mängel, Schwierigkeiten und die innere Zerrissenheit vor dem Ausland weitgehend zu verschweigen und zu verbergen. Statt dessen versucht es immer, das Bild einer monolithischen Einheit zu vermitteln - vielfach mit dem Erfolg, das ausländische Beobachter - auch solche, die keineswegs prokommunistisch eingestellt sind -das Regime für innerlich-stark und stabil halten. Im Westen ist die Vorstellung weit .verbreitet, in der Sowjetunion gehe es vielleicht ein paar Intellektuellen schlecht, aber die Masse der Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterschaft sei auf Grund hoher sozialer Leistungen mit dem System einverstanden.

Zweitens scheinen mir die Erfolge der sowjetischen Außenpolitik in der Konsequenz begründet, mit der ihre Vorstellungen durchgesetzt werden. Im Westen gilt es nicht als chic, irgendeine Idee mehr als dreimal öffentlich zu äußern, und keinesfalls wird länger als drei Monate auf ihr bestanden.

Die Sowjetpolitiker handeln hingegen nach dem Motto: „Konsequenz führt zum Erfolg“. Von 1949 an hat man ununterbrochen erklärt, Berlin sei die Hauptstadt der DDR - gemeint war Ostberlin. 23 Jahre lang standen diese Behauptungen im Widerspruch zur Realität, denn Berlin -ganz Berlin - stand unter der Leitung der Vier Mächte. Nach 23 Jahren ständiger Wiederholungen kam es zu internationalen Vereinbarungen, und man sprach plötzlich nicht mehr über Berlin, sondern nur noch über West-Berlin. Man setzt diese Ziele schließlich nur zu oft durch, zumal es in der westlichen Politik den Begriff des „Realismus“ gibt: als Ausdruck für die Bereitschaft, ein Stück zurückzugehen, da jedes andere Verhalten angeblich irreal sei. Anpassung wird als „Realismus“ etikettiert.

Im sowjetischen Denken ist die Diplomatie nur ein kleiner Aspekt der Außenpolitik - und zwar der unbedeutendste. Aus sowjetischer Sicht entscheidend ist der politische Kampf. Er äußert sich in verschiedenen Methoden, von denen die Diplomatie nur eine ist. Schon in Westeuropa ist es schwer, diese Problematik zu erklären, in Amerika ist es hoffnungslos. Auf amerikanischen Universitäten diskutiert man über Diplomatie und „diplomatic history“, und wenn von Macht die Rede ist, meint man miltary power. Das Wesen des politischen Kampfes erfaßt man damit jedoch nicht: die Selbstverständlichkeit, Schwierigkeiten im westlichen Lager auszunutzen; die Sorgfalt, mit der jede kleine Wendung registriert und bei geringen Schwierigkeiten sofort eingegriffen wird; wie man versucht, die Länder des Westens gegeneinander auszuspielen - und innerhalb jedes einzelnen Landes dann die jeweiligen Parteien, Strömungen und konkurrierenden Persönlichkeiten. So schafft die Sowjetunion trotz ihrer wirtschaftlichen Schwäche und ihrer systemimmanenten Krise das Unglaubliche, die Rolle einer Weltmacht zu spielen.

Man sollte im Westen einerseits Gefahren erkennen, die in der Machtentfaltung des Ostblocks liegen, auf der anderen Seite deswegen aber nicht in eine Panik verfallen, sondern auch sehen, daß sich der Ostblock in der schwersten Krise seiner Geschichte befindet. Alles deutet auf einen Umbruch hin, und es hat noch niemals solche Gelegenheiten für den Westen gegeben, auf den Ostblock und die Entwicklung dort einzuwirken. Die Politik von US-Präsident Carter, Entspannung und Menschenrechte zu verbinden, halte ich von diesem Gesichtspunkt aus für richtig. Dies ist der erste Versuch, die Dinge auch vom Westen her differenzierter zu sehen und endlich zu erkennen, daß Verhandlungen mit den Führern in Moskau, Warschau oder Ost-Berlin nur ein Aspekt der Entspannung sind. Entscheidend ist es, Brücken zu den Völkern dieser Länder zu schlagen. Eine wichtige Funktion erfüllen dabei die westlichen Rundfunksendungen für den Osten. Durch sie und durch unser unablässiges Eintreten für die Menschenrechte wird nicht nur ein ethisches Prinzip verwirklicht, sondern auch ein realpolitisches Ziel erreicht werden.

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