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Wie recht hatte Spengler?

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Wird dieser Wahlkampf ein .außenpolitisches Erwachen bringen? Wird die Diskussion über das weltpolitische Abgleiten Amerikas und des Westens der Bevölkerung die Augen öffnen? Wird sie den Blick von innenpolitischen Belanglosigkeiten auf die großen weltpolitischen Entwicklungen lenken?

Wenn man die kleinkarierte Einstellung der Amerikaner von heute kennt, möchte man diese Frage sofort verneinen. Und doch hat noch selten ein Wahlkampf die weltpolitische Bedeutung dea Landes so stark in das Zentrum der Diskussion gerückt wie dieser.

Zunächst einmal sind diese Fragenkomplexe Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Ford und Reagan. Aber auch die demokratischen Kandidaten Jackson, Wallace, Carter, und selbst die Liberalen wie Udall, können es sich nicht leisten, das Thema Detente und das Verhältnis zur Sowjetunion nicht in 'ihren Themenkreis einzufoeziehen. Oswald Spenglers Prophetie vom Untergang des Abendlandes spukt nicht nur im intellektuellen Lager.

Reagan, der Mann des amerikanischen Nationalismus, der Herausforderer Präsident Fords von rechts, ist unermüdlich damit beschäftigt, Dokumente oder Hinweise zu finden, die eine „defaitistische“ Einstellung Außenminister Kissingers und damit auch Fords beweisen sollen. „Sie haben Amerika als Führungsmacht abgeschrieben“, oder: „Sie haben zugelassen, daß wir im Jahrhundert der Sowjetunion leben ...“ So oder ähnlich greift Reagan die Regierung Ford an, und eine geschickt zusammengestellte Fernsehsendung nach einem überraschenden Wahlsieg in Nord-Carolina hat Reagans Chan-

cen, von den Republikanern nominiert zu werden, zwar nicht realistisch gemacht, aber die bereits drohende Ausschaltung aus dem Vorwahlkampf verhindert. Reagan hofft auf eine Hebung des amerikanischen Selbstbewußtseins, und das könnte ein positiver Seiteneffekt des amerikanischen Wahlkampfes sein. Daß seine Angriffe demagogisch sind, weil sich solche Themen in einem

Wahlkamipf überhaupt nicht diskutieren lassen, liegt auf der Hand. Was immer die Regierung antwortet, wird zu neuer Munition für Reagan, da es für breite Kreise der amerikanischen Bevölkerung noch immer ein Tabu bedeutet, die Vormachtstellung der USA überhaupt zu diskutieren.

Man fühlt zwar innerlich, daß es irgendwie bergab geht, Schwung und Optimismus sind nicht mehr spür-

bar, aber man ist nicht bereit, offiziell die zweite Geige zu spielen, und daher klingt das Thema so stark an.

Es geht vor allem um Äußerungen Kissingers und seines Stellvertreters Sonnenfeldt. (Übrigens auch ein Einwanderer aus Deutschland wie Kissinger selbst). Bei einem internen Instrukitionsvortrag an amerikanische, in Europa akkreditierte Botschafter in London wurde das Verhältnis zur Sowjetunion und vor allem zu ihren Satelliten besprochen. Ähnlich wie einst Bundeskanzler Raab vor den entscheidenden Verhandlungen über den Staatsvertrag davor warnte, dem russischen Bären auf den Schwanz zu treten, trat auch Sonnenfeldt dafür ein, das Verhältnis zur Sowjetunion und ihren Satelliten so zu gestalten, daß diese nicht in dauernder Angst um ihren Besitzstand leben müßten. Das würde dann zu einem „organischeren“ Verhältnis zwischen der Sowjetunion und ihren Satelliten führen, und dieser Zustand würde wieder den Satelliten ermöglichen, gewisse Autonomien zu entwickeln, wie dies beispielsweise Palen geglückt sei.

Man kann über diese Geschichtsperspektive verschiedener Meinung sein. So etwa ist es unrichtig, daß die Sowjetunion ihren eigenen Minderheiten Autonomie eingeräumt hätte. Man denke nur an das Schicksal der Wolgadeutschen, die heute im großen sowjetischen Raum „aufgegangen“ sind. Schließlich muß auch das Konzept, das die heutigen Machthaber Kambodschas dazu geführt hat, eine gesamte Generation durch Austreibung aus den Städten, Aufhebung der Familienbindungen und selbst der Namen zu vernichten, irgendwo im sowjetischen Ideenbe-reich geboren worden sem.

Aber selbst wenn man es für möglich hielte, daß ein „Nachlassen“ des westlichen Druckes zu einer Verbesserung des Loses der Satellitenvölker führen könnte, bedeutet diese Politik das Eingeständnis, daß die sowjetischen Positionen unantastbar sind — politisch ebenso wie in jeder anderen Beziehung — und daß man der Sowjetunion eine globale Vorherrschaft zugesteht, was Sonnenfeldt in die Formulierung kleidete, daß man oben iim Jahrhundert der Sowjetunion lebe und daß der sowjetische Imperialismus gerade jetzt seinem Höhepunkt zustrebe, wogegen eben nachts zu machen sei

An sich haben ja diese Überlegungen zu den Verträgen von Helsinki geführt, die den Status quo, wie er sich nach dem Zweiten Weltkrieg territorial ergab, sanktionierten. Die Sowjetunion hatte in Helsinki jedoch zugestanden, daß sie einem Eindringen westlicher Ideen — kultureller und politischer — nichts in den Weg legen werde, ein Zugeständnis, das sowieso niemand ernst nahm, der das jetzige Kräfteverhältnis Ost-West richtig einschätzt.

Aber die Menschen leben gerne in Illusionen, vor allem die amerikanischen Emigrantengruppen aus den Südoststaaten, Gruppen, die trotz des westlichen Fiaskos in Ungarn und in der Tschechoslowakei noch von Befreiung träumen, obwohl sie genauso wie jeder andere amerikanische Bürger in ihrem Innern wissen, daß eine solche Politik in den USA von heute keine Unterstützung fände. Und wenn jemand daran erinnert, daß das alles Hirngespinste sind, so wendet sich die Ablehnung gegen diesen „Schwarzseher“ und nicht gegen die Quelle dieser Entwicklung. Solschenizyn weiß davon ein Lied zu singen.

In den Ausführungen Sonnenfeldts wird zwar betont, daß die amerikanische Außenpolitik trachten müsse, zu verhindern, daß Jugoslawien nach Titos Tod in den sowjetischen Sog gerate, aber man fragt sich, wie das verhindert werden soll, wenn die Grundeinstellung fatalistisch ist.

Und hier erweist sich der speng-lerisdhe Pessimismus nicht nur als eine geistige Spielerei, sondern als ein lähmender Faktor. Wenn man

vom sowjetischen Jahrhundert redet — man hat übrigens auch vom Tausendjährigen Reich gesprochen —, schwächt man den eigenen Abwehr-mechanismus, akzeptiert den unerbittlichen Ablauf eines Schicksalsdramas und unterdrückt den eigenen Lebensmut. Die kreativen Kräfte sterben ah, Selbstdisziplin und Energien verkümmern und am Ende dieser Entwicklung steht, wie Spengler es voraussagte, eine abgestorbene Kultur, die nur noch weiter vegetiert, aber keinerlei Einfluß mehr auf das Weltgeschehen zu nehmen in der Lage ist Die Schuld an dieser Entwicklung wird nicht sich selbst, sondern dem Schicksal zugeschrieben.

Gegen diesen Geist anzukämpfen,

ist sicherlich ein Verdienst Reagans, obwohl es ungerecht ist, Ford mit diesem Pessimismus zu identifizieren. Daß Kissinger selbst im Grunde eine pessimistische Einstellung als „europäisches Erbe“ mitbringt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber er kämpft wie kein anderer für das .^bestmögliche deal“. Allein die Tatsache aber, daß eine Analyse der amerikanischen Infrastruktur in einem Wahlkampf möglich ist, muß positiv bewertet werden. Daß man Geschichtspessismismus als einen schweren politischen Fehler anprangert, ist bereits ein gewisser Fortschritt, der dazu führen kann, daß man auch die andere Frage stellt —• die Frage nach dem, was getan werden kann.

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