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Julius Maniu

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Unter den zehn nichtmagyarischen Abgeordneten, die in den Jännerwahlen 1905 in das ungarische Parlament entsandt wurden — die ersten Vertreter der Nationalitäten, die der stolze gotische Palast auf dem Rudolf-Rakpart in seine Hallen einziehen sah —, war auch der Rumäne Dr. Julius Maniu. E$ war kein freundlicher Empfang, der ihm und seinem siebenbürgischen Landsmann Dr. Alexander Vajda-Vojvod zuteil wurde. Sein erstes Erlebnis war, daß er im Zusammenstoß mit Mitgliedern der Kos-suth-Partei, die im ersten Rausch ihres Sieges über Stephan Tisza und seine bisherige liberale Parlamentsmehrheit über alle Stränge sdilug, mit Brachialgewalt aus dem Sitzungssaale hinausgestoßen wurde.

Ich lernte ihn bald kennen. Eine einprägsame Erscheinung, gertenschlank, mit einem scharfgeschnittenen Kopf, in dem zwei stahlgraue Augen stehen; die Züge Ausdruck der Entschlossenheit und eines festen Willens. Vom Anbeginn an war er der Führer seines Volkes. Menschenkenntnis, Selbstlosigkeit, große Rednergabe und sein sauberes Privatleben befähigten ihn dazu. Durch vierzig Jahre haben ihm nicht zuletzt sein Mut und seine unantastbare Reinheit diese Stellung bewahrt, dies in einem Lande, in dem Mißbräuche und Korruption bis hoch hinauf das politische Leben durchsäuerten. Wenn man von der rumänischen Zaranistenpartei, der politischen Bauernbewegung Siebenbürgens und später des ganzen Regats sprach, so war dabei immer zuvorderst der Name Julius Maniu eingeschlossen.

Als Maniu seine politische Laufbahn begann, waren die demokratischen Elemente Ungarns, voran die nationalen Minderheiten, im Kampfe um das allgemeine Wahlrecht begriffen. An der Spitze der demokratisdien Front, hart, keiner Lockung und keiner Einschüchterung der Budapester Offiziösen und Offiziellen zugänglich, stand Dr. Maniu. Mit Aurel Popovici teilte er in großen Zügen das Programm einer auto-nomistischen Durchbildung des Gesamtstaates, ohne Schwärmerei, mit einem unerbittlichen Realismus des Wollens. Für seine Gegner war es nicht gut, mit ihm Kirschen essen. Wenn man mit ihm sprach, wußte man stets rasch, woran man mit ihm war. In der Ära Kristoffy schien ihm der Sieg zu winken, aber auch, als diese Hoffnung zerbrach und die oppositionelle Stellung der Rumänen immer opfervoller wurde, blieb Maniu der eingeschlagenen Politik des Widerstandes gegen das überlieferte Budapester System treu.

Während des ersten Weltkrieges, in den Märztagen 1916, führte mich mit Maniu eine heikle Mission zusammen. Zwischen den beiden Lagern des Weltkrieges standen zu dieser Zeit die Dinge auf des Messers Schneide. Diese Peripetie sollte benützt werden, um die Neutralität des schwankenden Rumäniens, das Miene machte, sich auf die Seite der Alliierten zu schlagen, zu befestigen. Die Reizungen, die von der unbefriedigenden Lage der Rumänen Siebenbürgens ausgingen und von der im benachbarten Königreich sich entfaltenden Kriegshetze weidlich ausgenützt wurden, sollten deshalb behoben werden. Die Pflege freundlicher Beziehungen zu Rumänien war von Lueger her Tradition in der österreichischen christlichsozialen Partei gewesen, und so entsprang der Initiative christlichsozialer Führer eine Wie'ner Zusammenkunft mit den leitenden Persönlichkeiten der ungarischen Rumänen, mit dem Zwecke, die politische Befriedung unter den siebenbürgischen Rumänen anzubahnen. Die Konferenz, an der Dr. Maniu teilnahm, endigte mit der Aufstellung eines maßvollen rumänischen Forderungsprogramms, das in loyaler Form Abgeordneter Prinz Alois Liechtenstein der ungarischen Regierung übermittelte.

Darauf Aufregung im ungarischen Ministerpräsidium, scharfe Vorstellungen des Ministerpräsidenten Stephan Tisza in Wien gegen diese „österreichische Einmischung in innere ungarische Angelegenheiten“, Ablehnung auch nur eines Verhandeins über die rumänischen Postulate. Der Minister des Äußern, Baron Burian, unterstützte d'ese Stellungnahme. Der Versuch einer Besserung des Verhältnisses der Mittelmächte zu Rumänien war gescheitert, v

Die Episode sollte Folgen für Dr. Maniu persönlich haben. Mit den österreichisch-unigarischen Regimentern rumänischer Nationalität, die nach dem Waffenstillstand auf der Heimkehr von der italienischen Front in Niederösterreich steckenblieben, da die Ungarn den Durchzug dieser geschlossenen, wohlbewaffneten militärischen Verbände verwehrten — eine kleine Armee ungarischer Rumänen von 56.000 Mann war damals in Wien und Niederösterreich versammelt —, war auch der Oberleutnant Maniu nach Wien zurückgekehrt. Aus dem Wirbel jener stürmisch bewegten Monate ist kaum mehr eine Erinnerung an die absonderliche Aufgabe erhalten geblieben, die in dieser Lage dem ungarischen Rumänenführer und k. u. k. Oberleutnant Dr. Julius Maniu in Wien zuteil wurde. Der damalige Staatssekretär für Heerwesen, Dr. Deutsch, der erst in den Anfängen seines Bemühens stand, aus der Wiener Volkswehr ein brauchbares Ordnungsinstrument gegen die zuchtlosen, plündernden Soldatenhaufen in Wien zu gestalten, tat das Klügste, das er in dieser Situation tun konnte: er nahm das Anbot Manius an, der sich ihm im Namen der in Wien haltenden rumänischen Truppenkörper zur Verfügung stellte.

Dr. Deutsch übergab damals Doktor Maniu das militärische Platzkommando in Wien, wies ihm die notwendigen Amtsräume an und fortan amtierte durch Wochen Dr. Maniu im Heeresministerium und rumänische Soldaten aus Ungarn bezogen an den Wiener öffentlichen Gebäuden in tadelloser Disziplin wochenlang dieWache.

Seine nunmehrige Stellung erlaubte es Dr. Maniu, eines Tages sich nach seiner eigenen militärischen Dienstbeschreibung umzusehen. In diesem Akt machte er eine seltsame Entdeckung: beigelegt war eine Amtsdepesche des Ministerpräsidenten Tisza vom März 1916 an den Kriegsminister, das Verlangen enthaltend, es sei Dr. Julius Maniu „sofort einrückend zu, machen“ und „ihm Gelegenheit zu geben, seinen ungarischen Patriotismus zu beweise n“. ' Ein Uriasbrief, die Vergeltung des erzürnten ungarischen Staatsmannes für jene Verhandlungen, die auf Wiener Boden mit rumänischen Politikern aus Ungarn im Interesse des gesamten Staates geführt worden waren. Rechtsanwalt Dr. Maniu war als vielbeschäftigter Syndikus de? katholischen Erzbistums Blasendorf (rum. Blaj) enthoben gewesen. Plötzlich mußte er an die Front. Er kam aber doch heil zurück.

Maniu war rumänisdier Ministerpräsident, als er mir einmal in einer gemütlichen Stunde von seinem Avancement zum Platzkommandanten von Wien und jener Entdeckung erzählte, die ihn an unsere im Palais Alois Liechtenstein im März 1916 geführten Konferenzen erinnerte.

Ende 1936 traf ich ihn im Hotel Bristol das letztemal. Mit großer Eindringlichkeit führte er das Gespräch. „Die Dinge in Mitteleuropa“, legte er dar, „drängen zu einer Lösung. Das Verschwinden der Monarchie macht sich von Jahr zu Jahr stärker als Störung der kulturellen und politischen Ordnung Europas bemerkbar.“ Auch innerhalb der neugewonnenen staatlichen Formen müsse eine bessere Pflege der gemeinsamen Interessen möglich sein. Für sich selbst sehe er als nächste Aufgabe, den Gegensatz zwischen Rumänien und Ungarn, mit einem vernünftigen Friedensschluß von Volk zu Volk zu begraben. Rumänien und Ungarn seien ja doch beide durch ihre ethnographische Isolierung darauf angewiesen, sich zu vertragen und durch ihre Zusammenarbeit sich zu stärken. Aber es müsse auch ein besserer politischer Zugang zu Österreich wieder gefunden werden. „Macht ein Ende, ihr Österreicher, dem Anschlußgerede“, sagte er, „und noch eins: haltet euch vor, eine künftige Neuordnung wird nicht unter monarchistischer Flagge geschehen können; es hat sich zuviel ereignet, das heute dagegen spricht.“

Der einstige Bürger der alten Monarchie war es, der aus ihm sprach, als er mit großer Wärme Pläne entwickelte, die aus der Vergangenheit nicht die Formen, aber die friedlichen Ideen einer Völkerverbindung in die Zukunft hinübertragen wollten. Er redete davon nicht in der Art eines Privatmannes, der persönlich unverbindliche Meinungen wiedergibt, sondern als der Staatsmann, der hinter sich die größte Partei seines Landes, eines wohlhabenden und hoffnungsvollen Staates hat.

Innerhalb .des siebzigjährigen Bestandes der unabhängigen Staatlichkeit Rumäniens hat das Land keinen Volksmann gehabt, der annähernd die Volkstümlichkeit und Autorität Manius besessen hätte. Das rumänische Bauernvolk dankte ihm “als seinen wahren Befreier aus Bojarenherrschaft und öffentlicher Korruption mit seiner charakteristischen nie wankenden Treue. Er war es ja gewesen, der an der Spitze seiner politisch wohlgeschulten siebenbürgischen Bauern 1928 im Namen des von ihm einberufenen Karlsburger Gegenparlaments den Sturz der verderbten liberalen Cliquenherrschaft herbeigeführt und in den Dezemberwahlen 1928 mit einem überwältigenden Siege den Weg für ein demokratisches Rumänien und umfassende soziale Reformen gemeinsam mit seinen alten siebenbürgischen Kampfgenossen freigemacht hatte. In der auswärtigen Politik suchte er einer I.Isolierung Rumäniens vorzubauen durch die Wiederherstellung alter wirtschaftlicher und kultureller Zusammenhänge mit der Umwelt; wie er dies verstand, zeigte seine Haltung gegenüber dem großen östlichen Nachbar und so auch der mit Rußland 1933 geschlossene Nichtangriffspakt, ein politisches Konzept, das auch in der Moskauer „S o w j e t - E n z y k 1 o p ä d i a“ mit einem achtungsvollen Vermerk für Maniu zur Kenntnis genommen wurde. Nicht vergessen sei, daß Maniu und seine Partei es waren, durch die am 23. August 1944 mit jähem Schlag die Diktatur Antonescus und die hit-lerisdie Fremdherrschaft zerbrochen wurde und nach diesem Beitrag des rumänischen Volkes zu seiner Freiheit rumänische Truppen an der Seite der russischen für das neue demokratische Europa kämpften, das den Völkern verheißen worden war.

Nun steht dieser große Rumäne, der immer ein Demokrat und ein aufrechter, eiserner Bekenner seiner Überzeugungen war, vor einem Parteigericht. Die letzten Jahre hat er in Zurückgezogenheit von der Politik auf seinem siebenbürgischen Landgut verbracht. Der Vierundsiebzigjährige lag krank in einem Spital, als er verhaftet wurde. Zeitlebens ein tiefgläubiger, bekenntnistreuer Katholik, wird er in der bis aufs letzte gehenden Erprobung eines Mannes aus diesem Glauben und aus dem Bewußtsein, für die Freiheit seines Volkes und die Menschenrechte wie eh Kämpfer zu sein, Kraft schöpfen.

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