6644317-1958_14_14.jpg
Digital In Arbeit

Was ging in Budapest vor?

Werbung
Werbung
Werbung

Ueber die Vorkommnisse in Budapest bin ich, wie folgt, unterrichtet:

Zirka 1 Uhr 30 nachm. langte das Auto S. M. beim Ministerpräsidium an. Telekis Auto war noch nicht angekommen. — Obst. Järmy ging in die Burg und teilte dem beim Tore stehenden Hptm. Magashäzy mit, daß S. M. angekommen sei. — Auf dessen ungläubige Miene wies er auf Grf. Sigray, der die Nachricht bestätigte. Hierauf ging Sigray und Järmy um S. M., der nun zu Fuß zum Kormänyzö (Reichsverweser Horthy) ging.

Nun sprach S. M. 2Yi Stunden unter vier Augen mit, Horthy. — In der Zeit wurde S. M. auch ein Mittagessen serviert. — Ueber den Inhalt der Unterredung mit Horthy machte S. M. nur spärliche Mitteilungen. S. M. erwähnte mir, daß er den Eindruck hatte, daß Horthy die Politiker vorschütze, und sagte mir ausdrücklich, daß Horthy betont habe, daß auch Attentate gegen seine Person nicht ausgeschlossen seien. — Kurz, die Unterredung mit Horthy hatte bei S. M. den Eindruck hervorgerufen, daß er, um die Sache seines Thrones und der Dynastie zu retten, sofort Budapest verlassen müsse und nach Szombathely zurückkehren müsse!

Horthy begleitete S. M. nur bis zum Vorzimmer. - Uebergab S. M. dort dem Flügeladjutanten Htpm. Magashäzy, der S. M. über eine Hintertreppe zu Fuß zum Ministerpräsidium führte, dort S. M. “nötigte, sofort einzusteigen und mit Obst. Järmy wegzufahren, ohne auch nur den Grafen Sigray abzuwarten oder dem todmüden König auch nur eine kurze Ruhepause in einem Gastzimmer des Ministerpräsidiums zu gestatten. —

Als S. M. die Burg verließ, waren im Vorzimmer Horthys bereits Teleki und einige sonstige Minister, dann Gömbös, Pronay versammelt. S. M. sprach mit keinem Politiker auch nur ein Wort.

Horthy hat, solange S. M. in Budapest war, mit niemandem seiner verantwortlichen Regierung auch nur ein Wort gewechselt.

Das offizielle Kommunique, wonach S. M. Budapest über den Rat der Regierung und aller Parteiführer verlassen habe, ist bewußt unwahr.

Als Sigray S. M. folgen wollte, rief ihn Horthy zu sich ins Zimmer zurück, und als Sigray Horthy einwendete, daß er S. M. begleiten müsse, gab ihm Horthy zur Antwort: „Das ist nicht notwendig, S. M. hat dich davon enthoben.“ —

So hat Horthy ganz allein, ohne jeden verantwortlichen Ratgeber, gegen den Träger der ungarischen Krone entschieden, und S. M. im schwersten Wendepunkte seines Schicksals ganz ohne Führer oder Ratgeber einfach auf die Gasse gesetzt, seinen todmüden König, der nach viertägiger Fahrt eben erst von einer achtstündigen Autofahrt eingetroffen war, im gleichen, nach dieser Inanspruchnahme nunmehr minderwertigen Auto wieder auf die Landstraße hinausgejagt. —

Ich habe in meinem Tagebuch nicht mehr über die Unterredung S. M. mit Horthy aufgezeichnet, als ich in Vorstehendem mitgeteilt habe.

Als S. M. am 28. März frühmorgens in völlig erschöpftem Zustand, von Frost geschüttelt und übernächtig, im Bischofspalaste in Szombathely ankam, erwartete ich S. M. in der Toreinfahrt, führte ihn in ein geheiztes Zimmer und ließ rasch einen heißen Tee bereiten.

Auf diesen wartend, erzählte mir S. M. von dem Empfang, den ihm Horthy bereitet habe.

Bei der Gelegenheit sagte mir S. M. nach meinen Aufzeichnungen wörtlich:

„Horthy sagte mir, in Budapest ist nichts zu machen. Er rät mir aber, es in Wien zu versuchen, Lehär wird gewiß gern dabei sein.“ S. M. fragte mich, was ich zu diesem Rat Horthys sage.

Ich antwortete:

„Ein solcher Vormarsch auf Wien ist aus dem Handgelenk überhaupt nicht zu machen, und nur ein militärischer Laie konnte E. M. einen solchen Rat geben, oder jemand, der E. M. absichtlich einem Mißerfolg aussetzen will.“

Damit war diese Frage erledigt, und S. M. kam auch später nicht mehr auf diese Angelegenheit zurück.

Ich kann es daher nicht glauben, daß seitens Sr. M. an Horthy mit dem Unsinne herangetreten worden sei, gegen Wien zu marschieren.

Wohl aber halte ich es für gewiß, daß Horthy Sr. M. von einem derartigen Plan sprach. Ist es doch nicht abzustreiten, daß Horthy vielfach den Hebel ansetzte, um in Wien Umsturzbewegungen herbeizuführen.

Hiezu verhandelte er nachweisbar persönlich sowohl mit dem bayrischen Abgeordneten Kanzler, dem Vertreter der Einwohnerwehren als auch mit den Wiener legitimistischen Führern, z. B. dem Feldmarschalleutnant Novak von Arienti, dem er nachgewiesenermaßen schriftlich (der eigenhändige Brief ist in meiner Hand) drei ungarische Divisionen für Wien anbot, während seine Agenten in München und Wien das Blaue vom Himmel herunter versprachen. Wie ich glaube, wohl nur in der Absicht, um auch in den Nachbarstaaten möglichst viel Unordnung hervorzurufen und so vor den Ententestaaten seine Unentbehrlichkeit als Element der Ordnung nachzuweisen.

Gegen 11 Uhr nachts kam ein chiffriertes Telegramm von Horthy, das bis 1 Uhr früh dechiffriert war und folgenden Wortlaut hatte: „Bärö Lehär ezredes Szombathely. Kerlek a

haza erdekeben igyekezz, hogy a ma ejjel Szom bathelyre visszaerkezo Käroly kyrälyt meg az ejj folyamän a hatäron aszällitsd.

Horthy“

(Deutsch): „Oberst Baron Lehär, Szombathely. Bitte, trachte im Interesse des Vaterlandes, daß Du den heute Nacht nach Szombathely zurückgelangenden König Karl noch im Laufe der Nacht über die Grenze hinübertransportierst. Horthy.“

Später erhielt ich die Verständigung, daß auch Teleki und Sigray noch in der Nacht nach Szombathely zurückkehren.

Ostermontag, 28. März.

Um 2 Uhr früh kam Teleki mit Sigray an. Ich wies ihnen die Depesche von Horthy vor und erklärte, daß ich es für unmenschlich und barbarisch halte, S. M. nach dreitägiger Eisenbahnfahrt und 600 km Autofahrt erneut den Gefahren einer Incognito-Reise in Oesterreich auszusetzen.

Von mir könne man nicht verlangen, daß ich meinen gekrönten König förmlich per Schub an die Grenze schaffe, um ihn dort vielleicht dem nächsten österreichischen Gendarmen auszuliefern, und daß vielleicht S. M., unser gekrönter König, dort gezwungen wird, eine Nacht im Arrest oder in einer Spelunke zuzubringen. Daß ich mich ohne Rücksicht auf die Konsequenzen weigere, einen solchen Befehl durchzuführen.

Teleki mußte mir schließlich recht geben.

Unter dem Eindruck dieser Unterredung teilte Teleki um 4 Uhr früh der Reichsverweserschaft mit, daß er vorschlage, S. M. bis auf weiteres in Szombathely zu belassen.

Da alles zur Ruhe gegangen war, erwartete ich allein S. M. im Stiegenhaus. — Gleich mit den ersten Worten erschien mir die Situation in einem ganz anderen Lichte, als sie mfr Horthys Telegramm dargestellt hatte. — S. M. hatte gar nicht daran gedacht, das Land zu verlassen. Er begab sich einfach nach Szombathely zurück, weil er fürchtete, in Budapest in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt zu werden, ja sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht fühlte. — Noch immer glaubte S. M. an die Loyalität Horthys und daß er durch seine Reise nach Szombathely die Situation Horthys in Budapest so erleichtert habe, daß dieser nun für S. M. die Wege in Budapest ebnen könne. — So war wenigstens die Auffassung S. M. offenbar auf Grund der von Horthy gegebenen Informationen, da S. M., wie bereits betont, in Budapest sonst mit niemandem über die Sache gesprochen hat.

S. M. konzipierte nunmehr selbst einen Befehl an Horthy und gab schriftlich Anhaltspunkte für die Verfassung einer Proklamation, die im Moment der Zustimmung Horthys veröffentlicht werden sollte.

Ich telephonierte sofort an die kormänzyösäg und bat Horthy um %i Uhr zu Hughes. —

Mittlerweile legte sich S. M. um Vi 7 Uhr vormittags zur Ruhe, ohne jedoch nach den fürchterlichen physischen Anstrengungen und seelischen Erregungen 'etwas Schlaf zu finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung