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KÖNIGSOSTERN 1921

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Generalmajor Anton Baron L e h ä r ist einer der wenigen lebenden Augenzeugen der dramatischen Vorgänge des Jahres 1921, da der letzte Träger der habsburgischen Kronen den Versuch unternahm, nach Ungarn zurückzukehren und die Herrscherrechte wieder zu gewinnen. Lehär war aber schon, ehe er als einer der Treuesten der Getreuen seines kaiserlichen Herrn eine wichtige Aufgabe innerhalb der Nachkriegsereignisse in Ungarn übernahm, einer der bekanntesten Offiziere der k. u. k. Armee. Während sein Bruder, der berühmte Komponist, durch seine Melodien weltberühmt wurde, hat Generalmajor Lehär, der aus dem Generalstab hervorging, durch seine Waffentaten im Jahre 1914 den Müitär-Maria-Theresien-Orden errungen und in der unglücklichen Piave-schlacht des Jahres 1918 noch die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere erhalten. Der Chodel-bach und der Piave zieren symbolisch sein Wappen. In seinen Aufzeichnungen ist er ein kritischer und für den Historiker wertvoller Beobachter. Der Kaiser und König, sein Gegenspieler, der Reichsverweser, die Politiker, aber auch die verschiedenen Kräfte im Hintergrund werden in der klaren Form des militärischen Berichtes gezeigt, ohne daß dabei die Spannung dieses wahrhaften Dramas verlorengeht. Lehärs Persönlichkeit als Offizier steht an einer Zeitwende, und somit verdienen seine Aufzeichnungen eine besondere Beachtung, nicht nur für den Historiker als unschätzbare Quelle, sondern auch für die Gegenwart, die erst jetzt die Ereignisse der Zwischenkriegsepoche richtig zu werten beginnt. „Die Furche“

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Generalmajor Anton Baron L e h ä r ist einer der wenigen lebenden Augenzeugen der dramatischen Vorgänge des Jahres 1921, da der letzte Träger der habsburgischen Kronen den Versuch unternahm, nach Ungarn zurückzukehren und die Herrscherrechte wieder zu gewinnen. Lehär war aber schon, ehe er als einer der Treuesten der Getreuen seines kaiserlichen Herrn eine wichtige Aufgabe innerhalb der Nachkriegsereignisse in Ungarn übernahm, einer der bekanntesten Offiziere der k. u. k. Armee. Während sein Bruder, der berühmte Komponist, durch seine Melodien weltberühmt wurde, hat Generalmajor Lehär, der aus dem Generalstab hervorging, durch seine Waffentaten im Jahre 1914 den Müitär-Maria-Theresien-Orden errungen und in der unglücklichen Piave-schlacht des Jahres 1918 noch die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere erhalten. Der Chodel-bach und der Piave zieren symbolisch sein Wappen. In seinen Aufzeichnungen ist er ein kritischer und für den Historiker wertvoller Beobachter. Der Kaiser und König, sein Gegenspieler, der Reichsverweser, die Politiker, aber auch die verschiedenen Kräfte im Hintergrund werden in der klaren Form des militärischen Berichtes gezeigt, ohne daß dabei die Spannung dieses wahrhaften Dramas verlorengeht. Lehärs Persönlichkeit als Offizier steht an einer Zeitwende, und somit verdienen seine Aufzeichnungen eine besondere Beachtung, nicht nur für den Historiker als unschätzbare Quelle, sondern auch für die Gegenwart, die erst jetzt die Ereignisse der Zwischenkriegsepoche richtig zu werten beginnt. „Die Furche“

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26. März 1921. Karsamstag in Szombathely (Steinamanger). Minister Vas ist bei Bischof Mikes zu Gast, um dort die Osterfeiertage zu verbringen. Ministerpräsident Graf Teleki bei Graf Sigray in Iväncz. Ich soll morgen dorthin zu einer wichtigen Besprechung fahren.

Nachmittags Auferstehungsfest. Mikes trägt das Allerheiligste. Ich folge dem Himmel, mir zur Rechten Minister Vas. Ehrenkompagnie, Musik, Salutsalven, Kirchenfahnen, Volk.

Zum letzten Male senkte sich Ungarns Fahne vor mir...

Ich eile nach Hause in mein friedliches Heim. Morgen Ostersonntag.

Da ich mich zur Ruhe begebe, ahne ich nicht, daß auf der Straße im Pinkatal ein Auto gegen Szombathely rast. Darin sitzt — nach abenteuerlicher Fahrt über Ungarns Grenze gelangt — mein gekrönter König und Herr.

Gegen 11 Uhr nachts legte ich mich zu Bett.

Um 11 Uhr 30 nachts schlagen meine Hunde an, ich wache auf, ins Zimmer tritt Almässy, der Privatsekretär des Bischofs Grf. Mikes, und ersucht mich, sofort zum Bischof zu kommen.

Auf dem Wege dahin erzählte er mir, daß Seine Majestät soeben vollkommen unerwartet in Begleitung des Grafen Tamäs Erdödy in ; Szombathely eingetroffen sei! —

Im Palais angelangt, treffe ich S. M. in Gesellschaft des Bischofs Gfn. Mikes und des Ministers Vas. —

Ich melde mich bei S. M. und Er befragt mich über die militärische Situation. —

Ich antworte zunächst mit der Gegenfrage: „Wie stellt sich das Ausland zur Rückkehr S. M., haben S. M. bestimmte Zusicherungen in der Hand?“ Worauf S. M. antwortete: „Seien Sie beruhigt, die maßgebendste Stelle hat mich versichert, daß man zwar Lärm schlagen, protestieren wird, daß aber ansonsten vom Ausland nichts Ernstliches zu befürchten ist. Wer diese Stelle ist, darf ich vorläufig nicht sagen.“ —

Ich fasse hierauf meine Ansicht, wie folgt, zusammen:

Disziplin unbedingt gut. —

Offizierskorps in Nyugatmagyarorszäg (Westungarn, also in meinem Kommandobereich) zum größten Teil absolut auf Seite S. M.

Stände sehr gering. — Infolge des Oster-urlaubes überdies um V,i reduziert. —

Infolge der eben erfolgten 4. Umorganisie-rung und der Maßnahmen bzgl. Ententeüberwachung ist die Armee bei weitem nicht mehr so schlagfertig, wie etwa vor 8 Wochen. —

Bleibt die Armee geschlossen und einheitlich, so ist die Bedrohung durch die kleine Entente keine große Gefahr. Ihr kann, wenn von der Zentrale entschieden aufgetreten wird, unbedingt begegnet werden. — Wenn jedoch die Armee nicht einheitlich auftritt, wenn sie zerfällt oder der Bürgerkrieg ausbricht, so wird dies für die kleine Entente die Einladung sein, aktiv einzugreifen. — Auch das wäre noch nicht das Gefährlichste. — Die Bevölkerung lebt aber derart in der Furcht vor dem Kriege und ist derart kriegsmüde, daß, bei der Skrupellosigkeit in der Anwendung der Mittel seitens der Feinde des Hauses Habsburg in Ungarn, es ganz gut möglich ist, daß die Gegenpartei sogar serbische Hilfe in Anspruch nimmt und bei der zentralisierten Pressezensur und Pressevergewaltigungs-Organisation, wie sie de facto bei uns besteht, zu erwarten ist, daß die ganze öffentliche Meinungen gegen S. M. gerichtet wird, ohne daß dies von Szombathely aus zu hindern wäre. —

Schließlich legte ich S. M. noch dar, daß ein dauernder Erfolg, der nicht die ganze Existenz des Landes aufs Spiel setzt, notwendig ist, da, wenn dem Lande dadurch Abbruch geschähewenn die Szombathelyer Truppen nach Budapest marschieren müssen und einige tschechische Baone aus dem Brückenkopf bei Poszony den Korridor nach Jugoslavien besetzen, daraus derartige Agitationsmittel gegen S. M. schöpfen würde, daß die Pressepropaganda ein leichtes Spiel hätte, die gesamte öffentliche Meinung gegen S. M. aufzubringen.

Nach meiner Meinung müsse der gesetzliche König nur den gesetzlichen Weg gehen und dürfe nicht Revolution machen. — Den Anstoß zu der Bewegung für S. M. müsse aber unbedingt Budapest selbst geben. — Hiebei müsse mit Horthy gerechnet werden- — Ich halte Horthy für einen Mann .v.ön durchaus legitimistischer Gesinnung. — Er hatte mir erst kürzlich selbst' gesagt, daß ich ihm ins Gesicht spucken kann, wenn er je etwas anderes sein würde als S. M. gehorsamer Soldat.

Man müsse aber mit der Eitelkeit Horthys rechnen, insbesondere mit seiner Umgebung. — Diese würde es nie verzeihen, wenn Oberst Lehär, bzw. Szombathely den Ausgangspunkt der Restauration bilden würde. —

Man müsse Horthy das Verdienst überlassen, daß er S. M. wieder eingesetzt habe. —

Ich bin überzeugt, daß Horthy, der dem alten König die Ernennung zum Kämmerer unter schwierigen Voraussetzungen verdanke, der von S. M. vom Linienschiffskapitän mit Uebersprin-gung des Konteradmirals direkt zum Vizeadmiral ernannt wurde, der seine ganze jetzige Stellung der Gnade und dem Vertrauen S. M. verdanke, sich bei S. M. als Offizier melden werde. Daß ich vom- Standpunkte der Offiziers-ehre, auf Grund der Besprechungen, die ich mit Horthy über den Fall hatte, daß S. M. überraschend ins Land kommt, für mich und für Horthy keine andere korrekte Lösung sehe, als daß Horthy selbst die Regierungsgewalt S. M. übergibt.

In dem Moment müßte S. M. ein verantwortliches Ministerium bilden, und dieses übernehme dann die Verantwortung von Gott, S. M. und dem Lande, daß die Anwesenheit S. M. in Ungarn zum Glücke des Landes ausschlägt und nicht für das Land eine Katastrophe bildet.

Da die Aeußerungen des Bischofs Grf. Mikes, des Ministers Vas und des mittlerweile hinzugekommenen Abgeordneten Lingauer sich im gleichen Sinne bewegten, stellte ich den Antrag, den zufällig bei Grf. Sigray in Iväncz befindlichen Ministerpräsidenten Grf. Teleki herbeizuholen und mit ihm die Modalitäten zu besprechen, unter welchen Horthy die Regierung an S. M. zu übergeben hätte. —

Ich sandte meinen Personaladjutanten Oberleutnant Oswald per Auto nach Iväncz und ließ die beiden Herren abholen. —

Da Graf Tamäs Erdödy mir ausdrücklich mitteilte, daß S. M. an der österreichischen Grenze erkannt worden sei und demnach seine Rückkehr am Sonntag bekannt sein werde, weckte ich den Stellvertreter meines Generalstabschefs, Major Värjon, und ließ die nötigen Maßregeln zur persönlichen Sicherheit S. M. treffen. — De facto war bereits am Ostermontag früh der Polizei in Wien die Anwesenheit S. M. bekannt. —

Mittlerweile konzipierte Minister Vas das von S. M. herauszugebende Manifest.

Den Wortlaut! des von Vas konzipierten Manifestes nahirß dann erst später der Abgeordnete Lingauer in Verwahrung.

Minister Vas war damals nichts als der dienstbereite Minister des Königs.

Erst später, als er wieder in Budapest war, entdeckte er sein Herz für Horthy.

Ostersonntag.

Nach 3 Uhr früh kamen Teleki und Sigray an. — Im Stiegenhaus wurde Teleki über das Ereignis unterrichtet und zog sich nunmehr mit uns zu einer Beratung zurück. — Teleki war konsterniert, sprach von der Möglichkeit eines Bürgerkrieges und konnte sich nur schwer fassen.

Sodann begaben wir uns zu S. M. — Dort schilderte Teleki S. M. die militärische Situation als Schwächemoment, sprach seine Befürchtung aus, daß die kleine Entente über uns herfallen würde, falls die große Entente sie dazu aufmuntert. — Dann wies er auf die innerpolitischen Schwierigkeiten hin, die aber zu besiegen seien. - Er schloß mit nachstehendem konkreten Antrage:

S. M. möge, da der Zeitpunkt unglücklich gewählt ist, sofort abreisen. — Wenn dies unmöglich sei, weil die Anwesenheit S. M. bereits bekannt sei, wie dies Erdödy Tamäs angab, dann gebe es nur einen Weg: sofort nach Budapest zu reisen, hiedurch der Sache den Putsch-charakter, den sie in Szombathely trage, zu nehmen. — Auch Teleki gab der Meinung Ausdruck, daß Horthy S. M. die Regierung übergeben werde, daß die inneren Schwierigkeiten zu besiegen seien, daß die weitere Entwicklung der Dinge davon abhänge, inwieferne die kleine Entente mit ihren Drohungen ernst macht. —

S. M. erwiderte darauf, daß er ganz bestimmte und verläßliche Informationen habe, daß sowohl die kleine Entente als auch ein Teil der großen Entente gegen seine Anwesenheit in Ungarn Einsprache erheben werde. Daß dies sehr viel Lärm machen werde, aber daß man ganz bestimmt nicht aktiv gegen Ungarn vorgehen werde. - Ein Teil der großen Entente werde S. M. unterstützen, doch dürfe die betreffende Persönlichkeit öffentlich nicht genannt werden. S. M. wolle durch seine Anwesenheit in Ungarn dem Lande helfen und normale Zustände herstellen, unter keiner Bedingung aber das Land in neue Verwicklungen stürzen.

Wenn S. M. in Budapest überzeugt werden könne, daß seine Anwesenheit für das Land einen Krieg bedeute, der zur Katastrophe führen kann, so werde S. M. das Land verlassen. Unbedingt aber fordere S. M., daß man ihm die Möglichkeit gebe, sofort nach Budapest sich zu begeben, um dort mit Horthy zu sprechen.

S. M. hält Horthy für absolut loyal; er könne nichts tun, was gegen seinen Soldateneid und gegen die Soldatenehre sei. — Bezüglich des.. Soldateneides betonte S. M. bei dieser Gelegenheit und auch später mehrmals, daß er mit Ausnahme des Erzherzogs Joseph niemanden seines Treueides entbunden habe und daß die den Soldaten gegebene Erlaubnis, in den Nationalstaaten zu dienen und das Treuegelöbnis abzulegen, im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung in den einzelnen Nationalstaaten gegeben wurde, daß er aber immer daran festgehalten habe, daß dadurch niemand von seinem Eide entbunden sei. Tatsächlich wurden die Truppen nur auf den „Höchsten“ Kriegsherrn beeidet, wobei Horthy mir ausdrücklich erklären ließ, daß dadurch der Eid auf den „Allerhöchsten“ Kriegsherrn bindend bleibt. Es wurde demnach der Beschluß gefaßt, in Szombathely alles zu vermeiden, was den Charakter eines Putsches tragen könnte — oder als Spitze bzw. als Mißtrauen gegen Horthy ausgelegt werden könnte.

Teleki übernahm es, 1H Stunden vor S. M. abzureisen und Horthy vorzubereiten, während S. M„ mit Sigray 1 Vi Stunden später eintreffend, im Ministerpräsidium von Teleki Nachricht erwartet.

Mit Rücksicht darauf, daß wir wußten, daß alle Telephon- und Telegraphenstellen von den verschiedenen Spionagediensten überwacht werden, gaben wir: Teleki, Sigray und ich, den Befehl zur vollkommenen Telegraphen- und Telephonsperre, wodurch allein die glatte Durchreise S. M. gewährleistet wurde.

Teleki fuhr um 6 Uhr früh in Begleitung des Ministers Vas ab, S. M. mit Sigray, Obst. Järmy, Oblt. Anesini, Oblt. Almässy, der das Auto lenkte, um 7 Uhr 30. In einem dritten Auto folgte noch Hptm. Farkas und Oblt. Zawier-sinszkyi. —

Die Begleiter S. M. erzählten später, daß S. M. auf der Fahrt nach Budapest Zeichen einer ungeheuren Ermüdung zeigte. — Zwischen Szekesfehervar und Budapest schlief S. M. so fest, daß er sogar auf dem Pflaster von Teteny und Budafok selbst durch die heftigsten Stöße nicht aufzuwecken war.

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