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So begann es

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Der Morgen des 3. April 1941 ließ sich grau und trübe an. Ich weiß heute noch nicht, wie es kam, doch ist es Tatsache, daß die Nachricht vom Tode des Grafen Paul Teleki schon in den Frühstunden dieses Tages, lange, ehe sie durch Presse und Radio verbreitet worden war, in Budapest jedem bekannt war. Und man wußte nicht nur, daß, sondern auch w i e er gestorben war. So unglaublich es schien, daß er, der gläubige, ausübende Katholik, sich selbst das Leben genommen hatte.

Dann kam die amtliche Mitteilung an die Öffentlichkeit, kurz und knapp: „Ministerpräsident Graf Paul Teleki ist in der Nacht zum 3. April mit tragischer Plötzlichkeit verschieden.“

Tragische Plötzlichkeit? Mir fiel die Antwort ein, die Teleki erst unlängst im Abgeordnetenhause einem Interpellanten, der sich über die Zensur beklagte, erteilt hatte: „Jede Zensur ist schlecht“, hatte er gesagt, „und da ist es nur natürlich, daß jeder die seines eigenen Landes für die schlechteste hält. Jedenfalls gebe ich zu, daß es nicht leicht ist, heute in Ungarn Journalist zu sein; was ist, darf er nicht schreiben, und aus nichts etwas zu machen, ist eine schwere Sache. So wollen wir es eben so halten wie die alten Ungarn: sie zwinkerten einander zu und wußten schon, was der andere meinte!“

So frei sprach der Mann, der selbst — und zwar oft buchstäblich, indem er persönlieh die Zensur zensurierte, das heißt freigab, was jene verbot — der oberste Zensor im Lande war!

Ein Bekannter rief mich an: „Ist es wahr?“ Er sagte nicht, was. Es war nicht nötig. „Ja.“ „Nicht natürlich?“ „Nein.“ „Selbst?“ „Ja.“

Teleki hatte recht gehabt: man verstand sieb in dieser lakonischen Weise. Und wer die Bedeutung dessen, was geschehen war, noch nicht erfaßt hatte, der lernte sie um zehn Uhr vormittags erkennen: deutsche Stukas erschienen über der Stadt und ließen sich mit drohendem Sirenengeheul bis knapp über die Dächer nieder. Offenbar eine neue Art, einem „befreundeten“ Land an einem Tage tiefer nationaler Trauer seine Teilnahme zu bekunden. Nun wußte man genug. Ohne jede amtliche Aufforderung hing binnen wenigen Stunden fast von jedem Hause eine schwarze Fahne herab. Denn alle ahnten, daß dies nur das Vorspiel zu einem Drama war, dessen tragende und leidende Rolle die ungarische Nation selbst zu spielen hatte und dessen blutigen Ablauf nun keiner mehr aufhalten würde.

Um zwölf Uhr mittags war die Bestätigung da. Demonstratio ad Odilos: iiuigs des Donaukais rollten ratternd endlose K.olonnen deutscher Tanks stromabwärts, dem Süden zu. Wenige Monate vorher, am t2. Dezember 1940, hatte Ungarn einen „ewigen Freundschaftspakt“ mit Jugoslawien abgeschlossen. T e 1 e k i hatte den Vertrag mit seiner Unterschrift besiegelt. Und es war ihm ernst damit. In öffentlicher Rede hatte er es — für alle, auch und gerade für jene, die es nicht hören wollten — mit unzweideutiger Klarheit ausgesprochen: „Wir werden nie etwas tun, wegen dessen wir es nicht wagen könnten, in den Spiegel zu schauen“ und jetzt fuhren deutsche Tanks mitten durch Ungarn, der jugoslawischen Grenze zu ...

Ich werde nie das Bild vergessen: grauer Himmel über der Donau. Zwischen den Häuserreihen mit den lang herabwehenden schwarzen Fahnen, an einem Spalier schweigender Menschen vorbei, brausen die Tanks. Stundenlang. Ihre Insassen versuchen, offenbar befehlsgemäß, „Begeisterung“ zu mimen und zu entfachen. Sie winken den Menschenmauern zu. Diese aber bleiben starr. Nur hie und da antwortet ein „Pfeilkreuzler“. Der Empfang ist eisig.

Wieder kam mir ein Wort T e 1 e k i s in den Sinn. Vor Dakar hatten britische Kriegsschiffe und Einheiten der Vidiy-Flotte Schüsse gewechselt. Teleki bemerkte, min sei es offenbar Mode geworden, daß ehemalige Freunde untereinander Krieg führten. Auf die Frage, gegen wen Ungarn da kämpfen würde, hatte er mit einer resignierten Geste die bezeichnende Antwort gegeben: „Gegen niemand. Wir haben keine Freunde!“

. Die Vorgeschichte von T e 1 e k i s Tod ist nunmehr vollkommen geklärt: Deutschland hatte für seine Truppen den Durchzug durch Ungarn zum Aufmarsch gegen Jugoslawien verlangt. Teleki hatte sich unter Hinweis auf Ungarns Freundschaftspakt mit Jugoslawien der Forderung widersetzt. Sie wurde kategorisch wiederholt. Teleki tat alles, um die zum Nachgeben bereiten hödisten Faktoren des Landes zu überreden, festzubleiben. Vergebens. Er konnte sich nicht durchsetzen. So trat er den Weg an, der ihm als der einzige för 3wi noch gangbare erschien: in den Tod. Nur so glaubte er sein Volk vor der tödlichen Gefahr, die ihm drohte, warnen zu können. Mit Geringschätzung hatten die Naziführer von jenen „demokratischen Staatsmännern“ gesprochen, die sich in der Stunde der Not ihrer Verantwortung einfach dadurch entzögen, daß sie ihren Posten verließen und zurückträten. Ihm sollten sie diesen Vorwurf nicht machen können.

In seinem nun bekanntgewordenen Abschiedsbrief an den damaligen Reichsverweser H o r t h y schrieb er, er mache es sich zum Vorwurf, sein Land nicht ,vor dem Abgrund zurückgehalten zu haben, dem es unaufhaltsam zusteuere: „Wir haben uns mit Gaunern verbündet.“ — — —

Als der Trauerzug mit T e 1 e k i s Leiche das Parlamentsgebäude verlassen hatte, ertönten die Luftabwehrsirenen. Es war der erste ernste Luftalarm dieses Krieges in Ungarn. Die erste Warnung. Oder die letzte? Heute liegt Budapest und liegen andere ungarische Städte zum großen Teil in Trümmern und das Land windet sich unter den fürchterlichen Folgen dessen, was damals begann ...

Man mag über Teleki und seine Politik verschiedener Meinung sein. Zudem gilt der Selbstmord dem Katholiken nicht nur als Sünde: er sieht in ihm auch keinerlei Lösung irgendwelcher Fragen, und seien es die schwersten. Doch mag auch hier das Wort des Herrn Anwendung finden: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!“ Am Vorabend seiner Todesnacht hatte Teleki gebeichtet und der Wahrer des obersten Richteramtes auf Erden hat ihm die Ehre eines christlichen Begräbnisses nicht versagt.

Eines ist jedenfalls sicher: in einer Zeit, da in so vielen Staaten des geknechteten Kontinents schwächliche Jasager das große Wort führten, hat es in Ungarn einen Staatsmann gegeben, der sein Land mehr liebte, die Ehre und %das Wohl seines Volkes höher hielt als sein Leben.

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