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Vergessene Tragödie

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Hitler gab soeben „einstweilen” den Plan auf, England zu überfallen. Nun gab es vorübergehend keine Kriegsschauplätze mehr. Nach der Entfesselung des ägyptischen Feldzuges griff Italien plötzlich Griechenland an und wurde mit dieser selbstgestellten Aufgabe nicht fertig. Deutschland mußte eingreifen. Die Deutschen landeten in Afrika und übernahmen das Kommando auf dem Balkan — zu einer Zeit, als Hitler seinen „Fall. Barbarossa”, den Angriff auf Rußland, gerade anlaufen lassen wollte.

Im Königreich des Reichsverwesers Horthy herrschte zu dieser Zeit, für den oberflächlichen Beobachter zumindest, tiefster Frieden. Eine Wirtschaftskonjunktur ermöglichte auch bislang darbenden breiten Schichten ein bescheidenes Aufblühen. Ungarn war damals noch „nichtkriegsführend”, jedoch keineswegs neutral, denn es mußte ja am 20. November 1940 dem Dreimächtepakt beitreten, als Dank für die durch Schiedsgerichtsverfahren im Wiener Belvedere zurückgegliederten Gebiete im Norden und Osten des Landes.

In den ungarischen Zeitungen standen noch die Agenturmeldungen aus Berlin und aus London nebeneinander.

Dies konnte selbst empfindliche Gemüter auf der äußersten Rechten sind stören, denn die Sache Englands stand damals wirklich schlecht. So entstand ja nur das Bild einer unbeholfenen, morschen angelsächsischen Welt, die ihre Verbündeten nacheinander im Stich läßt und ihnen dann durch die Radiowellen Trost zuspricht. Aber die Hörer der Sendungen der BBC waren damals, sofern sie Intellektuelle waren, vielleicht gar nicht so unzufrieden. Es stand anscheinend sonnenklar fest, daß die Barbarei die humane Welt eines gewaltlosen Fair play überschwemmen werde und daß man davor in die höheren Regionen einer kunstverständigen, moralisierenden Esoterik flüchten mußte.

Horthy und seinem Regime schwebte freilich anderes und mehr vor. Sie wollten Glück und Sonderstellung ihres soeben um 67.000 Quadratkilometer vermehrten Landes verewigen, sie hofften vorerst allen Ernstes darauf, daß sie sich mit unverbindlichen Gesten der „Freundschaft”, mit wirtschaftlichen Zugeständnissen die Anerkennung ihrer „nationalen Eigenart”, ja sogar ihrer „Mission im Donauraum” von dem Diktator und Eroberer Europas erkaufen könnten. Ministerpräsident Graf Teleki, sein Außenminister Graf Csäky und ihre Umgebung versuchten, für dieses Konzept, so gut es ging, eine reale Basis zu schaffen. Nachdem Deutschland bereits alle übrigen Grenzen des Landes militärisch kontrollieren konnte und Restrumänien sich Ungarn gegenüber verständlicherweise nicht gerade freundschaftlich verhielt, blieb als einziger Weg eine Annäherung an Jugoslawien, mit dem Hintergedanken, auf diese Weise zu verhindern, daß die beiden Länder gegeneinander ausgespielt würden. Nach ersten Kontakten, die günstig verliefen, reiste der elegante Graf Csäky mit Herren seines Stabes nach Belgrad und Unterzeichnete dort im „Roten Salon” des Außenministeriums, zusammen mit dem jugoslawischen Außenminister Cincar- Markovic, einen Freundschaftspakt. Das war am 12. Dezember 1940, erst drei Wochen nachdem sich Ungarn dem Dreimächtepakt angeschlossen hatte. Dtm-zweitägigen BfestfefrCsSkys von jvo acr.cilgarBche Außenminister, von tödlicher Krankheit befallen, als Sterbender nach Budapest zurücktransportiert wurde.

Nachfolger Csäkys wurde der Berufsdiplomat und keineswegs als „Achsenfreund” geltende Ladislaus Bardossy. Teleki glaubte, mit ihm seine Politik des „eigenen ungarischen Weges” fortsetzen zu können. Es kam jedoch anders.

Manneswort an Belgrad

Nachdem Jugoslawien am 25. März 1941 ebenfalls im Wiener Belvedere dem Dreimächtepakt beizutreten gezwungen worden war, stürzte am folgenden Tag eine militärische Verschwörung den Prinzregenten Paul, und die neue Regierung Simoviö warf das Steuer herum. Deutschland sah sich wieder zu raschem Handeln genötigt. Ribbentrop teilte Bardossy ohne Umschweife mit, daß die deutschen Truppen gegen Jugoslawien auch über ungarisches Territorium marschieren, ja von dort aus auch operieren würden, und daß Ungarn ebenfalls ein- greifen müsse, dafür allerdings die nach dem ersten Weltkrieg abgetrennten südlichen Gebiete zurückerhalten werde.

Teleki wußte, daß ein kategorisches Nein die sofortige Besetzung des Landes mit allen Folgen, nicht zuletzt auch für die damals fast eine Million ungarischen Juden, bedeuten würde. Das Mitmarschieren gegen das Land, mit dem man erst ein halbes Jahr vorher einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte, war von Teleki und seiner Umgebung als moralisch unmöglich abgelehnt worden. Teleki wollte nicht einmal den deutschen Durchmarsch ge statten, der damalige Generalstabschef jedoch, ein Banaler Schwabe namens Heinrich Werth, wie viele ungarische Offiziere Anbeter der deutschen Blitzsiege, hatte hinter dem Rücken Telekis längst schon das Einvernehmen mit der Wehrmacht hergestellt.

Sowohl England als auch Deutschland reagierten sauer. Die Deutschen marschierten — und sie stellten später nur einen Teil des versprochenen Gebietes unter ungarische Verwaltung —, Außenminister Eden ließ jedoch Teleki mitteilen, daß England Ungarn den Krieg erklären werde. Nach Eintreffen der Depesche aus London ging Paul Teleki, nachdem er gleichzeitig vom

Verrät der Offiziere Kenntnis erhielt, zuerst in die Kathedrale St. Stephan, wo gerade seine Pfadfinder zum vorösterlichen Einkehrtag versammelt waren. (Teleki war seit jeher oberster Schirmherr der Pfadfinderbewegung.) Er sprach dort lange mit seinem Beichtvater, dann kehrte er in das Palais Sändor neben der königlichen Burg in Buda, das damals das Ministerpräsidium beherbergte, zurück. Am frühen Morgen des 3. April fand ihn sein Kammerdiener mit durchschossener Schläfe tot auf, neben ihm lag sein Revolver.

Die Panzer rollten schon

Der Selbstmord Telekis erweckte in Ungarn ungeheure Bestürzung. Von ihm selbst offensichtlich als Geste an das bedrängte Jugoslawien, als verzweifelter Versuch, die „Ehre” einer Nation in den Augen der Welt zu retten und zu zeigen, daß Ungarn nur der Gewalt weicht, wurde diese Tat eines strenggläubigen Katholiken und Familienvaters — seine Frau lag damals gerade schwerkrank im Spital — von Freund und Feind auch so aufgefaßt. Nicht zuletzt wollte dieser keineswegs als „Magnat”, vielmehr professoral und asketisch wirkende Aristokrat seinem eigenen Volk ein Beispiel gegeben und eine strenge Auffassung von der Gültigkeit des gegebenen Wortes demonstrieren.

Sonderbarerweise befand sich in den seitenlangen Nekrologen der ungarischen Zeitungen, ja in den zum traurigen Anlaß aufgelegten Sonderheften der Zeitschriften so gut wie nichts über die möglichen Gründe, die Teleki in den Tod getrieben haben mochten. Dem unerschrockenen Menschen und Staatsmann, dem großen Wissenschaftler — er war ein international bekannter Geograph —, dem Verfechter eines ethnisch integren Ungarns und eines freilich humanen ungarischen Rassismus ‘ galten diese Gedenkartikel. Man vermied es dabei freilich, auch an den Zauderer Teleki zu erinnern, der dem hart zugreifenden „Verbündeten” und den rechtsextremistischen Strömungen innerhalb des Landes nicht immer gewachsen war. Auch konnte es ihm passieren — es war 1940 —, daß er eine Ausstellung der radikal sozialreformerischen „Dorf- forscher” zuerst persönlich eröffnete, dann aber, nach einigen Wochen, auf Drängen seiner erzkonservativen Standesgenossen polizeilich sperren ließ.

Am Tage nach dem Selbstmord Telekis rollten endlos die motorisierten Kolonnen der deutschen Wehrmacht durch .Ungarnᾠ

Ende Juni 1941, also zwei Monate später als ursprünglich geplant, löste Hitler den „Fall Barbarossa” aus. Die ungarischen Armeeführer drängten zur Kriegserklärung an die Sowjetunion, die Horthy und Telekis Nachfolger, Bardossy, endlich auch bewilligten. Im März 1942 trat Bardossy zurück. Sein Nachfolger, Nikolaus Källay, versuchte zwei Jahre lang, bis zur Besetzung Ungarns durch die Deutschen, das Land vorsichtig aus dem Krieg herauszuführen. Er wollte damit zum Konzept Telekis zurückkehren, zu einer Zeit, da die deutsche Machtentfaltung noch auf ihrem Höhepunkt stand. Nichtsdestoweniger kam es bei den Friedensverhandlungen zwischen den Siegermächten und Ungarn nicht zu jener Szene, die Winston Churchill wenige Tage nach dem Tode Paul Telekis im Londoner Rundfunk voraussagte: „Wir müssen am Verhandlungstisch einen Stuhl für den Grafen Paul Teleki freilassen. Dieser leere Stuhl soll alle Anwesenden darauf aufmerksam machen, daß die ungarische Nation einen Ministerpräsidenten hatte, der sich selbst aufopferte für die Wahrhaftigkeit, für die auch wir kämpfen.” Bis zum Jahre 1947 revidierte selbst der vieles richtig voraussagende Winston Chur chill diese seine alte Erklärung, indem er vom persönlichen Opfer, Teleki im dritten Band seiner Kriegserinnerungen bemerkte, es „reinigt seinen Namen vor der Geschichte. Aber es konnte weder den Marsch der deutschen Armee noch seine Konsequenzen auf halten

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