6544501-1947_07_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Prager Gentlemen-Agreement vom 18. Februar 1937

Werbung
Werbung
Werbung

Am 27. Jänner 1937 hatten wir drei deutschen Minister, die dem Kabinett Dr. Hodza angehöiten. dem Ministerpräsidenten eine Denkschrift überreicht, in der die drei deutschen Regierungsparteien — Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Bund der Landwirte — ihre Forderungen darlegten. Es handelte sich diesm d nicht um eines der vielen Memoranden, die im Laufe der Jahre von Politikern und von Parteien überrei ht. besprochen und dann vergessen worden waren. Wir hatten schon Wochen vorher sowohl dem Staatspräsidenten Dr. Bene^ch als auch dem Ministerpräsidenten unsere Forderungen mit dem Hinweis angekündigt, diesmal müßten wir von der tschechischen Regierungsmehrheit eine bestimmte Antwort erhalten.

Schon am 18. Februar 1937 kam die Antwort: In der Sitzung des Ministerrates teilte Dr. Hodza mit, die tschechischen Regierungsparteien hätten sich entschlossen, einen Großteil unserer Forderungen anzunehmen. Die Regierung wolle den deutschen Mitbürgern vor allem in folgenden drei Punkten entgegenkommen: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit — diese war im industriereichen deutschen Sektor weit; größer als im tschechischen Gebiet —, soziale Fürsorge und Aufnahme Deutscher in den Staatsdienst, annähernd nach dem Bevölkerungsschlüssel (20 Prozent).

Dr. Hodza erklärte, die tschechischen Regierungsparteien würden diese Zugeständnisse nicht in der Weise durchführen, daß der Nationalversammlung diesbezügliche Ge-ctzesvorschläge übermittelt werden, es solle sich diesmal um ein Gentlemen? Agreement handeln, das in der Auswirkung für die deutsche, magyarische und polnische Minderheit wertvoller sein würde als Gesetze.

Wir drei Vertreter der deutschen Regierungsparteien nahmen die „Februarbeschlüsse“ mit dem Bemerken zur Kenntnis, daß hier nicht ein „Ausgleich“ zwischen Deutschen und Tschechen geschlossen worden sei, sondern daß wir diese Zugeständnisse als einen Anfang betrachten. Ein endgültiges Urteil würden wir erst dann abgeben können, bis praktische Ergebnisse sichtbar würden.

Ein Jahr später fand im Sitzungssaal des Senats eine Kundgebung der deutschen Regierungsparteien statt. Dr. Benesch und Dr Hodza hatten Begrüßungsschreiben gesandt, worin weitere Hilfe versprochen wurde. Wir zogen Bilanz. Zunächst fragten wir uns, ob den deutschen Arbeitslosen wirklich geholfen worden war. Durch die Refundierung von Handelssteuern für die vorwiegend deutsche Textil-, Glas- und Porzellanindustrie, durch Vergebung von Regierungsaufträgen an deutsche Bauunternehmer und durch Genehmigung verschiedener Bauvorhaben deutscher Gemeinden waren in der Tat Zehnrausende von deutschen Arbeitslosen wieder in den Arbeitsprozeß eingeschaltet worden. Freilich blieb die Zahl der Arbeitslosen noch immer sehr hoch. Beim Kapitel soziale Fürsorge wurde festgestellt, daß der budgetäre Anteil der sozialen Hilfe für die deutschen Hochschüler von 1 2 a u f 20 Prozent gestiegen war und daß sich der Fürsorgeminister Ing. N e i. a s auch sonst bemühe den Deutschen zu helfen. Selbst bei der Aufnahme Deutscher in den Staatsdienst waren Fortschritte sichtbar: in einem Jahre waren 1500 deutsche Beamte und 5500 deutsche Arbeiter in den Staatsdienst neu eingestellt worden. Bei diesem Kapitel wurden für die Zukunft drei Forderungen gestellt: es seien zahlreiche deutsche Beamte in die Ministerien aufzunehmen. Die Durchführung dieses Wunsches begegnete der Schwierigkeit, daß bei den Behörden zweiter und dritter Instanz sehr wenige deutsche Beamte höherer Rangsklassen waren, und daß es bestqualifizierte deutsche Privatbeamte vielfach ablehnten, in den Staatsdienst einzutreten. Zweitens verlangten wir eine Rückführung deutscher Beamten und Angestellten aus dem tschechischen ins deutsche Gebiet. Das dritte Verlangen betraf eine bessere Berücksichtigung deutscher Beamten bei der Beförderung.

Welches “waren unsere Schulforderungen? Wir Deutsche besaßen eine Universität und zwei technische Hochschulen. Zahlreiche Mittelschulen waren vor allem in den ersten Jahren der Republik geschlossen worden, so manche von ihnen, zum Beispiel die Gymnasien in den tschechischen Städten Göding und Kremsier, mit Recht. Auf dem Gebiete der Volksund Bürgerschulen hatten wir, wenn wir von dem Hultschiner Ländchen absehen, vor allem deswegen Beschwerden, weil nur zu oft deutsche Kinder als Tschechen reklamiert wurden. Da die Tschechen in fast jedem deutschen Ort ihre Mindcrheits-schulen hatten, wurden diese zum Teil auch von deutschen Kindern besucht, zum Beispiel wenn die Eltern Staatsangestellte waren oder weil sie sich daraus materielle Vorteile versprachen. Über eine Überfüllung der deutschen Volks- und Bürgerschulklassen konnte im allgemeinen nicht geklagt werden. Das Sprengelbürgerschulgesetz hätte auch den Deutschen viele neue Bürgerschulen gebracht. Eine Entwicklung, die Fortschritte erkennen und auf weitere im Sinne der nationalen Befriedung hoffen ließ, war angebahnt.

Doch das einjährige Jubiläum der Februarbeschlüsse fiel in eine Zeit, da am Himmel drohende Wolken aufstiegen.

Am 12. Februar 1938 war der österreichische Bundeskanzler Dr. Schuschnigg in Berchtesgaden zu schweren Zugeständnissen gezwungen worden. In seiner Rede vom 20. Februar spielte sich Adolf Hitler bereits als Schutzherr der zehn Millionen in Österreich und in der Tschechoslowakei 'lebenden Deutschen auf. Schon drohte Hitler dem, der „eine Entspannung durch einen Ausgleich in Europa mit Gewalt zu verhindern versucht“, er werde „eines Tages Gewalt zwangsläufig unter die Völker rufen“.

Wenige Wochen nach Berchtesgaden, wo von der Unabhängigkeit Österreichs die Rede gewesen, war Hitler in Österreich einmarschiert.

In der Tschechoslowakei zeichneten sich di kommenden Ereignisse schon schattenhaft am Horizonte ab. Damals löste sich der „Bund der Landwirte“ und die „Deutsche Christlichsoziale Volkspartei“ auf, gleichzeitig gaben Dr. Spina und ich die Demission.

Nunmehr begannen die Tschechen mit H e n 1 e i n zu verhandeln. Henlein bekannte sich schließlich offen zum Nationalsozialismus.

Da trat für die Prager Regierung eine besorgniserregende und kaum erwartete Wendung ein. In Paris und London, wo man bisher die Regierung Dr. Hodza auf eine volle Unterstützung hatte hoffen lassen, wurde man immer kühler und kühler.

Als im August Lord Runciman in Böhmen eintraf und sich im Prager Hotel Aleron, aber auch im Schloß Rothenhaus, niederließ, überzeugte man sich bei der Prager Regierung bald, daß der englisch Lord nicht als bloßer Beobachter und zum Studium der politischen Verhältnisse auf Reisen gegangen, sondern in sehr wichtiger Mission gekommen war. Es geschah das bisher nicht Dagewesene, daß ein ausländischer Gast in scheinbar halbamtlicher Mission sich in die inneren Verhältnisse der Tschechoslowakei mischte.

Am 18. August fand auf dem Schlosse Rothenhaus die erste Zusammenkunft Lord Runcimans mit Henlein statt und es geschah nicht von ungefähr, daß zur gleichen Zeit in nächster Nähe eine Kundgebung ^er Henlein-Partei stattfand, daß sich in Brüx zwischen Deutschen und Tschechen Zusammenstöße ereigneten, und daß Lord Runciman zur Vornahme einer Untersuchung an Ort und Stelle aufgerufen wurde. .

Schon am 28. August erfolgte eine zweite Zusammenkunft zwischen dem Lord und Henlein, eine Verbindung, die durch Lord Runcimans Assistenten, Ashtsn Gwatkin, fortgesetzt wurde.

Ich bestreite, daß sich Lord Runciman über die wirklichen Zustände ,in der Moldaürepublik ein klares Bild gemacht hat. Stellte er an Henlein konkrete Fragen, dann berief sich dieser jedesmal: er müsse sich erst mit seinen Mitarbeitern besprechen. W,enn er dann die Antwort überbrachte, dann war sie nichts anderes als eine Antwort aus — Berlin.

Der Lord fragte mich, ob ich es für möglich halte, daß die Tschechen und die Deutschen auf die Dauer zusammen leben können, -eine Fragestellung, die schon eine verneinende Antwort suggerierte Ich antwortete mit einem bestimmten Ja, aber Lord Runciman, der mehr auf die Meinung in den Schlössern als auf die Meinung des Volkes gehorcht hatte, erklärte, als er nach London zurückkehrte, die in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen müßten von den Tschechen getrennt werden.

Runcimans Ansichten hatten die englischfranzösische Note vorbereitet, die am 19. September in Prag überreicht wurde und in der die Vertreter der Regierungen Chamberlain und Daladier gemeinsam ihrer Überzeugung Ausdruck ' gaben, „daß der Punkt erreicht ist, in dem die hauptsächlich von Sudetendeutschen bewohnten Gebiete nicht weiter innerhalb der Grenzen des tschechoslowakischen Staates gehalten werden können, ohne die Interessen der Tschechoslowakei selbst und den europäischen Frieden auf die Dauer zu gefährden“.

Die Hitler-Lawine war nun losgetreten, sie raste ins Tal. Zunächst verwüstete sie die Tschechoslowakei, dann kam Polen an die Reihe. Dann verbreiterte sie sich in den Schrecklichkciten des zweiten Weltkrieges.

Die Schuld jener Politiker, die das Münchener Übereinkommen auf dem Gewissen haben und die am zweiten Weltkrieg mitschuldig sind, kann nicht hinwegdisputiert werden. Es soll aber auch nicht die Schuld jener Prager Politiker vergessen werden, die in den Wochen, wo noch der große Konflikt aufzuhalten gewesen wäre, dem Staatsfeind Henlein weit größere Zugeständnisse machten, als sie uns staatstreuen Deutschen

.einräumten, Zugeständnisse, mit denen wir imstande gewesen wären, mit ganz anderer Kratt und mit viel größerem Erfolg unser ehrliches Werk für den Frieden fortzusetzen.

Gemessen an dem Weltgeschehen könnten die Februarbeschlüsse des Jahres 1937 als etwas Unbedeutendes gewertet werden. Sie sind es nicht. Der tiefste Sinn des damaligen Gentlemen Agreement war, in Böhmen, im Herzen Europas, einen dauerhaften Frieden anzubahnen und damit den Weltfrieden erhalten zu helfen.

Es war nicht unsere Schuld, daß das Unternehmen, dem wir dienten, schließlich zum Mißerfolg verurteilt wurde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung