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Der gelernte Verschworer und der Mann aus dem Chaos

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Somit war das Signal gegeben, und das Duell zwischen Hitler und B e n e s c h um den Frieden Europas begann. Denn tatsächlich standen sich nun diese beiden Persönlichkeiten als sichtbare Gegenspieler gegenüber. Benesch, der listenreiche Verschwörer und Hasser der alten Donaumonarchie, emporgestiegen zu der Würde des Staatspräsidenten eines Nationalitätenstaates, der in jedem seiner Teile ein Spiegelbild der alten Monarchie war, ohne die überwölbende, historisch-geweihte Kraft ihrer Sendung zu besitzen, auf der anderen Seite Hitler, „der Mann aus dem Chaos“, den die sehr vorsichtig und in binnendeutschen Gedankengängen befangene Bürokratie der Wilhelmstraße für kompetent in den Fragen des ehemaligen Raumes der Donaumonarchie hielt, der aber ungewollt zum Vollzieher historischer Korrekturen wurde, obgleich er selbst, als fanatischer Verfechter des Nationalstaatsgedankens, gleich Benesch keine Ahnung von der übervölkischen deutschen Mission im Donauraum und in Mitteleuropa hatte.

Seltsam hilflos erscheinen in diesem anhebenden Spiel die vermittelnden Gestalten: Henlein, der sich für einen überragenden Diplomaten hielt und mit Hilfe seiner guten Kontakte zum alten böhmischen Adel noch durch Wochen versuchte, ein deutsch - tschechisches Gespräch auf der Basis einer möglichst von Berlin unabhängigen Lösung zustande zu bringen, oder der nach der Tschechoslowakei entsandte ehemalige britische Hendelsminister Lord Runciman, der sich noch einbildete, als britischer Schiedsrichter den furchtbaren Knäuel politischer und nationaler Haßkomplexe entwirren zu können. Hoffnungslos war auch die Rolle des tschechischen Generalstabs, der noch zugunsten Prags ein aktives Eingreifen der Roten Armee in Mitteleuropa erhoffte, während gleichzeitig der polnische Botschafter in Paris, Lukasiewicz, die Tschechoslowakei schon als „zum Tode verurteiltes Land“ bezeichnete und, ebenso wie Rumäniens König, den Gedanken eines Durchmarschrechtes russischer Truppen zugunsten Prags zurückwies. Am Höhepunkt der Krise, als alle Vermittlungsversuche tschechischer Politiker und des englischen Vermittlers, mit Henlein zu einer Einigung zu kommen, gescheitert waren, trieb es Benesch aus seiner Reserve heraus, um im letzten Moment noch eine Wendung zu erzielen.

Die Besprechungen des Staatspräsidenten begannen am 20. August und sind uns wörtlich in den jüngst veröffentlichten Aktenpublikationen erhalten. Henlein delegierte die ihm ergebenen Mandatare Dr. K u n d t und Dr. S e d e-k o w s k y; die vorhandenen Niederschriften der Unterredungen, die in der Bibliothek des Präsidenten in der Burg von Prag in deutscher Sprache geführt wurden, geben einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt des tschechischen Staatsmannes, der sein Volk scheinbar zweimal zu stolzer Höhe führte, um dann dem furchtbaren Richtspruch der Geschichte zu verfallen. Damals, am 2 4. August 1 938, gab Benesch den Sudetendeutschen sozusagen einen Rückblick auf seinen politischen Weg seit 1919. Zunächst bestritt er die ihm von den deutschen Parlamentariern seit 1919 immer wieder angekreidete halsstarrige Haltung in Sachen eines deutsch-tschechischen Ausgleichs und behauptete, bereits 1919 von Paris aus ver langt zu haben, daß die Deutschen in der Republik bei der Ausarbeitung der Verfassung herangezogen werden sollten. Er wehrte sich, nur nach seinen einstigen politischen Büchern beurteilt zu werden.

Selbst den Panslawismus „in jeder Verkleidung“ lehnte er ab, wohl aber ließ er noch einmal seinem Haß gegen das alte Österreich freien Lauf. Er habe nie in Wien Politik betrieben.

In Österreich seien die Tschechen unter dem Tisch gesessen, während die Deutschen um ihn waren. Er, Benesch, aber wäre unbedingt für eine Regelung mit Deutschland, denn nach seiner Ansicht seien alle Verträge seit 1919, auch der von Versailles, schlecht gewesen.

Als Staatsoberhaupt sei er nunmehr in der tragischen Lage, die zwanzigjährige Entwicklung unter Masaryk zu liquidieren und den Nationalstaat in einen Nationalitätenstaat umzuwandeln. — Wenngleich diese Äußerungen Beneschs aus taktischer Erwägung gefallen sein mögen, um den scheinbaren toten Punkt der Verhandlungskrise mit den Sudetendeutschen zu überwinden, so hat doch die Geschichte inzwischen bewiesen, wie sehr Benesch an der katastrophalen Entwicklung im böhmischen Raum die Mitschuld trug. Während er am Hradschin mit den sudetendeutschen Unterhändlern philosophische und historische Reflexionen über eine Lösung der Krise abhielt, versuchte Generaloberst Beck durch eine Denkschrift und einen Kollektivschritt der deutschen Generalität, Hitler von einer Gewaltlösung abzubringen, da sie Europa mit in den Krieg ziehen müßte. Aber Hitler brachte eine Umkehr nicht zustande, selbst nicht nach dem Einspruch seines eigenen Generalstabschefs, der ihm die Worte entgegenschleuderte, der soldatische Gehorsam habe dort eine.Grenze, wo das Gewissen die Ausführung eines Befehls verbiete. Wir wissen heute auf Grund der Akten, daß die endgültige Lösung in München Hitler nicht befriedigte. Es ging ihm nicht mehr um die nationale Frage der Sudetendeutschen, sondern die Planungen wiesen längst nach dem Osten, der Weichsel zu.

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