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Dunkle Stunde am Hradschin

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Der am 4. Februar 1938 zum deutschen Reichsaußenminister ernannte frühere Botschafter Joachim von Ribben-t r o p, dessen verhängnisvolle Rolle der Welt erst im Jahre 1939 klar werden sollte, war während der Anschlußtage Österreichs keineswegs in seinem Ehrgeiz befriedigt gewesen; er, der so richtig den Typ eines servilen Höflings in der Umgebung Hitlers darstellte, mußte während des Einmarsches in Österreich London beruhigen, und der schon abgesetzte Neurath führte einstweilen in Berlin die Vertretung des ehrgeizigen neuen Außenministers, der danach brannte, sich „durch Taten“ in das Buch der Geschichte einzutragen. Die Möglichkeit sollte rasch kommen. Am 29. März 1938 versammelte Ribbentrop eine Reihe von Beamten des Auswärtigen Amtes, um gemeinsam mit dem in Berlin weilenden Führer der Sudetendeutschen, Konrad H e n 1 e i n, eine Besprechung über die zukünftige Entwicklung in der Tschechoslowakei zu halten. Der neugebackene Reichsminister, dessen Überheblichkeit in geradem Verhältnis zu seiner Unkenntnis der Lage in der Tschechoslowakei stand — so waren ihm, wie aus den jünst veröffentlichten Aktenpublikationen („Deutschland und die Tschechoslowakei 1937/38“, Imprime-rie Nationale, Baden-Baden) hervorgeht, nicht einmal die Namen der wichtigsten tschechischen Politiker bekannt —, versuchte offenbar in dieser entscheidenden Besprechung zu bluffen: die Fachleute des Berliner Auswärtigen Amtes, die einer Gewaltlösung des Sudetendeutschenproblems ebenso kühl gegenüberstanden wie maßgebende Kreise der Wehrmacht, wurden mit der Tatsache vertraut gemacht, daß am Tag zuvor der Reichskanzler selbst den Vorsitzenden der SdP, Konrad Henlein, zum „berechtigten Führer“ des Sudetendeutschtums ernannt hatte. Diese starke Unterstreichung der Autorität Henleins durch Hitler und Ribbentrop diente der Niederhaltung der in der Umgebung Henleins kreisenden Intrigen radikalster Gruppen, die ihn nie als echten „alten Kämpfer“ ansehen wollten Was sich aber daneben in dieser entscheidenden Stunde vollzog, war die Ausgabe der Richtlinien für die künftige deutsche Angriffspolitik auf dem politischen Sektor gegenüber dem „Benesch-Staat“, also, schon ein Monat nach dem Einmarsch in Österreich. Hatten noch die Sudetendeutschen Ende 1937 dank ihrer hervorragenden außenpolitischen Organisation, die in London und Paris inoffizielle Gesandte unterhielt, davon geträumt, daß Henlein, ungleich Seyß-Inquart in Österreich, sowohl von Benesch als auch von Hitler als gleichberechtigter Partner angesehen werden würde, so vollzog sich nunmehr die schrittweise Unterwerfung der sudetendeutschen Führung unter den Berliner Kurs. Ribbentrop gab mit großer Bestimmtheit seine Richtlinien: die Sudetendeutschen sollten u n-erfüllbare Forderungen an die Prager Regierung stellen und im übrigen auf dem legalen Sektor sich der Weisung der deutschen Gesandtschaft in Prag, auf dem halbillegalen Sektor der sogenannten „Volksdeutschen Mittelstelle“, einer Dienststelle der SS, bedienen.

Ein Termin für eine Endlösung wurde nicht genannt. Am 24. April verkündete Henlein auf dem Parteitag in Karlsbad das Achtpunkteprogramm. Die Diskussion um eine mögliche Autonomie der nationalen Minderheiten begann die Staatskanzleien in Paris, London und Rom in steigende Erregung zu versetzen, denn auch dort ahnte man, daß die Gedanken der deutschen Führung um die Zertrümmerung der Tschechoslowakei kreisten. Was man jedoch nicht wußte, war die Tatsache, daß selbst Hitler, wie aus einer Tagebuchnotiz General Jodls hervorgeht, Österreich zuerst verdauen wollte und der „Fall Grün“ (Aufmarschplan gegen die Tschechoslowakei) zunächst ohne Festsetzung eines Datums im Oberkommando der Wehrmacht bearbeitet werden sollte. Durch ein Mißverständnis wurde Hitler, der eben verärgert über die Zwischenfälle bei seiner Triumphfahrt nach Rom nach Deu'schland zurückgekehrt war, zu einer Beschleunigung seiner Pläne gezwungen. Denn am 20. Mai mobilisierte die Tschechoslowakei auf Grund angeblicher Meldungen über einen vorbereiteten deutschen Einmarsch. Tatsächlich war, wie Erich' Kordt in seinem jüngst veröffentlichten Werk („Nicht aus den Akten“, Union deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart) plausibel darstellt, zu diesem Zeitpunkt keinerlei militärische Vorbereitung im Gange und die Westmächte' waren ebenso wie die Tschechoslowakei einer falschen Agentenmeldung aufgesessen. Der schweife psychologische Mißgriff der internationalen Presse, nunmehr den Berliner Diktator öffentlich des Zurückweichens vor der militärischen Drohung Prags geziehen zu haben, weil er auf die irrtümliche Mobilisierung der Tschechoslowakei nicht sofort reagierte, führte zu einem folgenschweren Entschluß: Am 30. Mai änderte Hitler den „Fall Grün“; in die Präambel dieses Plans fügte er den schicksalsschwangeren Satz: „E 6 ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechslowakei durch eine militärische Aktion zu zerschlagen“, während es in dem seinerzeitigen Entwurf ausdrücklich hieß: „Es liegt nicht in meiner Absicht, die Tschechoslowakei ohne Herausforderung schon in nächster Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.“

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