6533225-1946_03_04.jpg
Digital In Arbeit

Ein Friedensversudi 1940

Werbung
Werbung
Werbung

Es war im Jänner 1940. Die deutschen Heere hatten Polen überrannt. Eine merkwürdige Ruhe schien .sich über Europa auszubreiten. Hinter ihren ungeheuren Wäilen sammelten sich während der Wintermonate im Westen die gegnerischen, Armeen für die Entscheidung, die nach der Absicht der deutschen Führung England und die Verbündeten endgültig auf die Knie zwingen sollte. Um dieselbe Zeit berief Präsident Roosevelt einen seiner bewährtesten Mitarbeiter, Unterstaatssekretär S u m n e r W e 1 1 e s, zu sich, um ihn mit der Aufgabe zu betrauen, durch eine Reise in die Hauptstädte der kriegführenden Länder festzustellen, wie sidi die Regierungen die Fortsetzung des Krieges vorstellen und ob eine wenn auch geringe Aussicht zum Frieden vorhanden sei. Dabei wurde von Seiten des Präsidenten • betont, daß die USA. als Nichtbeteiligte am Kriege weder den Vermittler abgeben wollten noch einen Druck auszuüben gewillt seien. Sollte eine Möglichkeit vorhanden sein, so wollten die USA. dafür eintreten, einen dauernden wirklichen Frieden, nicht aber einen Waffenstillstand, wenn dieser auch Jahre währen könnte, moralisch zu unterstützen.

Dies waren die Grundlinien, die Sumner Welles für seine nicht leichte Aufgabe erhielt. Welles, der seinem Lande seit dem ersten Weltkriege als Diplomat auf hervorragenden Posten gedient hatte und der die europäischen Konflikte auf die ungenügende Beteiligung der Vereinigten Staaten an einer umfassenden Friedensorganisation des Völkerbundes zurückführte, hat die Geschichte seiner Mission nach Europa in seinem 1944 in den Vereinigten Staaten erschienenen Buch: „Die Zeit der Entscheidung“ beschrieben. Es stellt nicht nur eine Art Rechenschaftsbericht des Verfassers über diese Episode des zweiten Weltkrieges dar, sondern gewährt gleichzeitig auch einen Einblick in die Grundideen der amerikanischen Außenpolitik und ihre Nachkriegspläne. Schon bei der theoretischen Erwägung des Planes hatte Roosevelts Abgesandter alle Schwierigkeiten vor Augen, die sich aus der Tatsache ergaben, daß von den vier europäischen Großmächten sich tatsächlich drei im Kriegszustand befanden, während Italien, obwohl durch seinen Militärpakt mit Deutschland verbunden, sich als nichtkriegsführend betrachtete und scheinbar gewillt war, diesen Zustand noch längere Zeit aufrechtzuerhalten, bis der Verbündete im Norden entscheidende militärische Erfolge erzielt hätte. Andererseits schienen sich Welles Ansatzpunkte für Gespräche mit den Achsenmächten in Rom zu bieten, weil Mussolini zu dieser Zeit scheinbar noch über genügend Einfluß in Berlin verfügte. Überdies war zu bedenken, daß Frankreich und Großbritannien, obgleich sie dem Versuch / freundlich gegenüberstanden, unter keinen Umständen den Eindruck gewinnen durften, daß sich die Macht der Vereinigten Staaten für einen Frieder um jeden Preis einsetzte. Erschwerend kam noch dazu, daß zu diesem Zeitpunkt die. öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten die Gefahr eines tatsächlichen Weltbrandes noch gar nicht erfaßt hatte und weite Kreise gegen eine Einmischung in den eiaopäischen Konflikt waren.

Kaum eine diplomatische Mission der neuesten Zeit stand somit unter schlechteren Vorzeichen als diese Reise Sumner Welles. Wenn sie auch eine Episode geblieben ist, darf sie doch heute als der einzige bisher erkennbare bedeutende wirkliche Versuch betrachtet werden, die Ausweitung des Krieges zu verhindern, der bei seinem Gelingen die europäische Katastrophe unmöglich gemacht hätte. Der Schlüssel lag zweifellos in Berlin. Von dort war bisher nur eine kühle und förmliche Antwort in Washington eingetroffen.

Welles erreichte am 25 Februar Rom und traf sofort sowohl mit C i a n o als auch mit Mussolini zusammen, die die Anregungen des Präsidenten freundlich begrüßten. Aus den offen und klar geführten Gesprädien ging hervor, daß der Duce wohl auf die Macht seines nördlichen Verbündeten rechnete und auch erkannte, daß er und sein Land bei einem Ausbruch des Krieges früher oder später mit hineingezogen würden. Die italienische Staatsführung schien diesem Moment mit gemischten Gefühlen entgegenzusehen, um so mehr als Ciano durchblicken ließ, daß das Verhältnis zwischen den beiden Verbündeten infolge der maßlosen Forderungen Deutschlands kein vertrauensvolles war. Besonders die Person des Reichsaußenministers von R i b b e n-t r o p wurde von Ciano treffend charakterisiert: „W enn Hitler etwas will — und weiß Gott, Hitler will immer viel — will Ribbentrop' immer mehr.“ Mussolini betrachtete den Zeitpunkt der Entsendung des amerikanischen Diplomaten als günstig, da die Waffen zwischen den Großmächten noch nicht gesprochen hatten. Aber es bot sich keine Möglichkeit, Mussolini als Vermittler für Berlin ins Auge zu fassen.Über die Schweiz ging die Reise des Amerikaners nach Berlin; bereits vor Überschreiten der Grenze versuchten Agenten des deutschen Geheimdienstes in Verbindung mit Sumner Welles zu treten. Die Ankunft in Berlin erfolgte am 1. März. Am gleichen Nachmittag, , ohne daß die Öffentlichkeit zunächst etwas ahnte, wurde Sumner Welles von Ribbentrop empfangen, der sich nicht nur als vollkommen weltfremd erwies, sondern auch als grenzenlos taktlos. Ribbentrop überfiel Sumner Welles mit einer zweistündigen Vorlesung über die deutsche Außenpolitik, wobei er immer wieder seinen prononcierten Englandhaß herauskehrte, um damit zu schließen, daß der bevorstehende Sieg der deutschen Waffen alle anderen Lösungsmöglichkeiten ausschließe.

Die Kritik, die Sumner Welles unmittelbar darauf selbst notierte, ist vernichtend: Ribbentrop ist vollkommen engstirnig. Er ist erfüllt von einem Haß gegen England, der iede andere Meinung ausschließt. Er übersieht absolut nicht den Hintergrund der internationalen Beziehungen und ist verantwortlich für die Hunderte von Lügen in der gegenwärtigen deutschen Politik.“

Die folgende Unterredung mit dem Staatssekretär von Weizsäcker, einem Mann, der der gebildeten Beamtenschaft des Auswärtigen Amtes angehörte, ließ die Z w e i-geleisigkeit der deutschen Außenpolitik klar hervortreten. Während er offiziell Ribbentrops Ausführungen wiederholte, ließ er doch durchblicken, daß eine Aussprache zwischen Mussolini und Hitler ohne die Gegenwart Ribbentrops von Erfolg sein könnte. Der Empfang bei Hitler und anschließend bei Heß und G ö r i n g, wobei Heß scheinbar unter Bewachung herumstehender Parteifunktionäre die gleichen Ausführungen wie Ribbentrop herunterlas, boten keinerlei neue Anhaltspunkte. G ö r i n g schien dem Amerikaner wenigstens eine Ahnung der weltpolitischen Zusammenhänge zu haben, wenngleich sidi auch er als vollkommen unbelehrbar erwies.

Der Schlüssel zur Lösung der europäischen Frage schien, wenn überhaupt noch' möglich,bei Mussolini zu liegen, den Welles nach seinen Vorsprachen in Paris und in London nochmals aufzusuchen beschloß. Die Besuche in London und in Paris brachten den Eindruck, daß sowohl die französische als auch die englische Regierung sich des Ernstes der militärischen Lage bewußt waren und bereitstanden, bis znm letzten zu kämpfen, jedoch war das Regime D a 1 a-d i e r in Frankreich durch mächtige Kreise stark defaitistisch beeinflußt. Nur Finanzminister Paul Reynind war für ein Durchhalten unter allen Umständen. In London zeigte sich, wie im ersten'Weltkrieg, eine grimmige Entschlossenheit des britischen Volkes.

Am 16. März fanden die letzten abschließenden Besprechungen in R o m statt. Berlin war inzwischen nicht müßig geblieben und hatte durch einen Besuch Ribbentrops versucht, ■ jede Anknüpfung zu zerstören. Wiederum beeindruckt Ribbentrop die italienischen Politiker durch die bevorstehende Offensive und durch das Pochen: die einzige Friedensmöglichkeit sei ein deutsches Friedensdiktat. Ciano gab bereits in den ersten Gesprächen zu, daß anläßlich einer geheimen Besprechung in Berchtesgaden Ribbentrop jede Möglich keit einerfriedlichen Einigung zurückgewiesen hätte und bemerkte dazu bitter, daß seiner Meinung nach Hitler vollkommen unter dem bösen Einfluß Ribbentrops stünde. Außerdem beleuchtete Ciano in ausführlichen Gesprächen die internationale Lage wie er sie sah, wobei aus den sarkastischen Bemerkungen über den Bundesgenossen die Unsicherheit in der eigenen Politik hervorleuchtete.

Bevor das Gespräch beendet war, bt Ciano Welles, die Abreise um einen Tag zu verschieben, um ihm die letzte Information zu geben, ehe endgültig die Verbindung mit Berlin in dieser Angelegenheit abgerissen würde. Anschließend empfing Mussolim nochmals den Abgesandten des Präsidenten zu einer fast dramatischen Besprechung. Mussolini, der weitao frischer schien, als bei der ersten Begegnung, ließ sofort durchblicken, daß trotz des Be-

• suches Ribbentrops keine Entscheidung über den Kriegseintritt Italiens gefallen war und er noch immer an die Wiederherstellung eines guten Friedens glaube, allerdings eines Friedens, der auch Italien entsprechende Möglichkeiten sichern sollte. Als Wichtigstes teilte Mussolini ihm mit, daß Hitler ihm zugesagt habe, mit ihm am folgenden Tag am Brenner zusammenzutreffen, was um so bedeutsamer sei, als nach seiner Ansicht die deutsche Riesenoffensive im Westen jede Minute ausgelöst werden könnte. Doch benötigte er, Mussolini, um Hitler von seinem Vorhaben abhalten zu können, irgendeine Unterlage, um Verhandlungen auch wirksam führen zu können. Welles versprach, besondere Instruktionen telephonisch einzuholen, bevor er eine Antwort geben könne. In einem großen Überblick über die europäischen politischen Themen, in denen das Minderheitenproblem eine- hervorragende Rolle spielte, widersetzte sich Mussolini unter anderem wie bei der ersten Unterredung einer Wiederherstellung Österreichs, die von

Frankreich besonders befürwortet i wurde Ehe die Unterredung abgebrochen wurde, machte Mussolini noch die bezeichnende Bemerkung: „Ich möchte Sie noch daran erinnern, daß ich, trotzdem der deutsch-italienische Pakt besteht, nichtsdestoweniger die Freiheit der Entscheidung besitze.“

Sumner Welles übermittelte dem Präsidenten Roosevelt telephonisch die Hauptpunkte der Unterredung und erbat die Zustimmung, das Ergebnis der Brenner-Zusammenkunft abzuwarten. Roosevelt war damit einverstanden und zeigte sich sehr interessiert ah Mussolinis Ausführungen; er ließ nur durchblicken, daß auf jeden Fall der Eindruck vermieden werden müßte, als ob die Vereinigten Staaten nach irgendeiner Seite einen Druck ausübten.

Während Sumner Welles in ' Rom die Endentscheidung abwartete, die irgendwo in einem Salonwagen inmitten der Alpenwelt heranreifte, besuchte er auch Papst Pius XII., dessen Persönlichkeit auf ihn einen unauslöschlichen Eindruck machte. Der amerikanische Diplomat charakterisiert den Papst mit folgenden Worten: „Ich verließ den Vatikan mit der Überzeugung, daß der gegenwärtige Papst und viele Männer seiner Umgebung eine jener konstruktiven Kräfte sind, die an der Erneuerung derMensch-h e i t arbeiten“.

Am frühen Morgen des 19. März 1940 kehrte Graf Ciano nach Rom zurück und im Golfklub informierte er Welles über die Ergebnisse der Brennerunterredung. Sein Pessimismus hatte ihn nicht betrogen. Die zweistündige Unterredung zwischen Mussolini und Hitler in der Hitler den Hauptteil des Gespräches bestritten hatte, war ohne ein positives Ergebnis verlaufen. Nicht eine Andeutung auch nur eines konstruktiven Vorschlages war von dem deutschen Verhandlungspartner gemacht worden. Interessant war aber, daß die teilnehmenden Generalstäbler, vor allem Generäle der I ufr waffe, scheinbar offen einer Offensive entgegentraten.

Sumner Welles' Europa-Mission war zn Ende. Er hatte den Eindruck gewönnen, daß, obgleich starke Kräfte in Italien und auch in Deutschland in der Opposition standen, der Ausbruch des wirklichen Krieges nicht zu verhindern war, eines Krieges, der über kurz oder lang unermeßliche Ausweitungen nach sich ziehen mußte. Als er nach Washington zurückgekommen war, hatten die Waffen bereits das Wort, Die Okkupation von Dänemark und Norwegen hatte begonnen, die Auftakte jener großen Offensive, die Ribbentrop dem amerikanischen Abgesandten in Berlin voll Arroganz angekündigt hatte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung