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Kennedy im Kreuzfeuer

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Die meisten Beobachter der amerikanischen politischen Szenerie nahmen an, daß im neuen Kongreßjahr die republikanische Opposition dem Weißen Haus vor allem in den für Kennedy so wichtigen innenpolitischen Bemühungen um die Zivilrechte, die Einbeziehung der Krankenversicherung für alte Leute in die Sozialversicherung, die federale Erziehungsbeihilfe und die Steuerreform militant entgegentreten würde.

Nun haben sich zwar bereits die ersten Kritiker zur Steuerreform gemeldet — und zwar teilweise massiv —, aber die Experten im Kongreß haben bereits angekündigt, daß die Frage kaum vor dem Herbst zur Verhandlung kommen würde: Hier handelt es sich deutlich um Vorgefechte.

Die Opposition, die alle ihre öffentlichen Aktionen und Stellungnahmen bereits bewußt und mehr oder minder eingestandenermaßen auf die 1964 bevorstehende Präsidentenwahl einstellt, zieht es vor, statt mit dem Präsidenten über die Zukunft zu streiten, ihn wegen der Gegenwart zu attackieren.

Und zwar in der Außenpolitik. Die Kritiker machen das Weiße Haus dafür verantwortlich, daß de Gaulles Haltung die „Interdependence“ zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den USA gefährdete, als er ein Veto gegen Englands Eintritt einlegte; die Sonderverhandlungen mit Macmillan mußten dem General mißfallen ...

Man findet die brüske Form, in der das State Department Kanada wegen seiner Weigerung, atomare Waffen zu gebrauchen, zur Rede stellte, unnötig provozierend: Man meint, daß man dabei ist, Amerikas Verbündete nach der Kubakrise die Form dank-

Die andere Räumung

Der New Yorker republikanische Senator K e a t i n g s bestritt öffentlich die Exaktheit der von der Administration über die militärische Situation Kubas gegebenen Informationen, was dazu führte, daß der Verteidigungsminister MacNamara in einem zweistündigen Fernsehvortrag ungewöhnlich detaillierte Angaben über die von den Vereinigten Staaten unternommenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen machte.

Und als die Administration bekanntin steigendem Maße zu verschnupfen...

Vor allem aber — nachdem ursprünglich , ejn allgemeines Aufatmen barer Anerkennung für den Präsidenten anzunehmen schien — bezichtigt man jetzt Kennedy der — bewußten — Halbheiten bei der Behandlung Kubas, der Bagatellisierung der verbleibenden Gefahr, die restliche russische Instrukteure und Waffen in Kuba darstellen.

Der „liberale“ Repräsentant der Republikaner, Gouverneur Rockefeller von New York State, unterscheidet sich dabei nicht vom „konservativen“ Senator Goldwater aus Arizona. gab, daß man beabsichtige, die Flug-zeugbasen in der Türkei und in Italien zugunsten einer systematischen Sicherung der Ära durch mit Polaris-Raketen ausgerüstete Unterseebote zu ersetzen, erinnerte sich die Kritik plötzlich nicht nur daran, daß dem berüchtigten „Saturday-Evening-Post“-Artikel zufolge Adlai Stevenson genau d?s als Verhandlungspakt mit den Russen vorgeschlagen haben soll, sondern auch daran, daß die Russen damals sehr plötzlich die Forderung nach

Aufgabe der Basen als Gegenleistung für die Entfernung der Angriffswaffen aus Kuba fallengelassen haben.

Es drängt sich die Vermutung auf, daß — neben den offiziellen Verhandlungen — stillschweigende Vereinbarungen zwischen dem Kreml und Washington vorgelegen sein könnten, die, unter der Voraussetzung, daß darüber nicht weiter öffentlich geredet werde, die eine „Räumnung“ gegen die andere „Räumung“ ausgehandelt hätten.

Mit eiserner Ruhe

Journalisten und Kommentatoren sind teilweise um so williger, ein solches Gerücht zumindest als eine der Wahrheit nahekommende Möglichkeit zu erachten, als sie noch immer ziemlich böse darüber sind, daß es der Kennedy-Administration in den kritischen 24 Stunden der Kuba-UItimata — man kann sagen, zum erstenmal in der Geschichte der amerikanischen Pressefreiheit — gelungen war, die Presse völlig über die beabsichtigten Schritte im Dunkeln zu halten.

Aber ganz unabhängig davon, ob solche Kombinationen beweisbar sind; die republikanische Opposition hat ganz allgemein ein konzentrisches Feuer auf Kennedys Außenpolitik eröffnet und nicht nur behauptet, daß sie infolge ihrer Ungeschicklichkeit Alliierte verärgert, das amerikanische Prestige in der Welt lädiert habe, sondern vor allem in der für die USA entscheidenden Frage der kubanischen Bedrohung für Frieden und Freiheit der Hemisphäre weder willens noch in der Lage sei, die Lebensinteressen des Landes effektiv zu vertreten.

Kennedy reagiert auf all das bemerkenswert ruhig.

Keine der in der letzten Pressekonferenz geäußerten Anfragen (Hätte er Sanktionen gegen de Gaulle vor? Was beabsichtige er gegen Kuba? Sei er über die Alliierten enttäuscht? Würde er die amerikanischen Truppen wirklich au9 Europa zurückziehen?), die obwohl höflich formuliert, teilweise ausgesprochen provokativen Charakter hatten, brachte ihn aus der Ruhe.

Er versagte sich jeden Ausfall gegen die innenpolitische oder alliierte Opposition, bemerkte nur mit einem leisen sarkastischen Unterton, es wäre ganz natürlich, wenn eine außenpolitische Krisensituation vorübergehend gemeistert wäre, daß die innere Opposition artikulierter würde, nur daß auch Alliierte in Gefahrenzeiten das Gemeinsame, in ruhigeren Zeiten Meinungsverschiedenheiten in den Vordergrund stellten.

Die de-Gaulle-Frage fegte er mit einer Handbewegung als absurd hinweg, erklärte, daß die USA nur auf ausdrücklichen Wunsch europäischer Partner amerikanische Truppen zurückziehen würde — wofür nicht das geringste Indiz vorliegt —, machte unmißverständlich klar, daß die Regierung die Situation in Kuba unter eingehendster Beobachtung halte, sich aber weigere, auf Grund unbewiesener Gerüchte 1700 Russen in Kuba als eine Bedrohung der USA zu betrachten, so lange keine Beweise dafür vorlägen, daß sie dort seien, um geheime Atomwaffen zu bemannen.

Gefährliche Kritik

Mit großem Ernst machte er deutlich, daß jeder endgültige Schritt der USA in der Weltpolitik über Krieg oder Frieden entscheide, das heißt über Weiterleben oder Untergang der Menschheit.

Er sei nicht bereit, bevor alle Möglichkeiten des Gesprächs erschöpft wären, sich solcher Maßnahmen zu bedienen, die das unvermeidlich machten.

Es ist kaum anzunehmen, daß Rockefeller, Goldwater oder irgendein verantwortlicher Republikaner der Gesprächswilligkeit des Präsidenten wirklich die Alternative eines Präventivkrieges abzufordern versuchen. Sie sind nicht fanatisch genug dazu.

Was die Republikaner heute tun, ist sehr einfach, aber nicht ungefährlich. Sie verlangen, daß die USA (und sie versprechen es für ihre Kandidaten) eine Sprache spreche, die täglich mit der Drohung des Endkrieges argumentiert, in der Hoffnung, die Russen abzuschrecken. Kennedy hält wenig von einer solchen Rhetorik. Er bewies Ende 1962, daß er dem Osten Grenzen setze, ohne den dritten Weltkrieg zu wollen. Sie verstanden es drüben. Die republikanische Kritik gibt vor, es nicht verstanden zu haben.

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